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kulturellen Simulation entstammen. So durchzicht seinen „Jargon der Eigentlichkeit“ ein kleiner „Balkanismus“ (um einen Begriff von Maria Todorova!! zu verwenden), der in späteren Texten wie der Morawischen Nacht weiterentwickelt wird. Statt einer alternativen Perspektive, die Serbien „Gerechtigkeit“ widerfahren lassen soll — an sich ein durchaus nobles Unterfangen -, bietet Handke: Intertextualität, und zwar mit den Abenteuerromanen von Karl May und vor allem den Wildwestfilmen John Fords. Die Serben werden hiermit, wie wir noch sehen werden, zu einem Indianerstamm edler Wilder. Die „Beschreibungsimpotenz“, die Handke als angry young man 1966 in Princeton der Gruppe 47 vorgeworfen hat, fällt damit aufihn zurück; ein großer Schimpfer ist er immer schon gewesen. 2) Männerphantasien und Geschlechterkonstruktion An die Wildwest-Logik der Texte knüpft die zweite Einfallslinie meiner Kritik an, die von Klaus Theweleits Standardwerk Männerphantasien von 1980 und seinen späteren Arbeiten (wie z.B. Pocahontas, 1999 ff.) inspiriert ist.’? So ließe sich zeigen, wie Handke, der in der Logik Karl Mays ja ein ‚Halbblut‘ wäre — als Sohn einer Kärntner Slowenin und eines deutschen Wehrmachtsoldaten — nach Zugehörigkeit sucht: Er zeigt sich immer wieder geplagt von Selbsthass als halber Deutscher und halber Österreicher und halber Slowene aus Kärnten, der offenbar nicht wirklich Slowenisch kann. Zunächst findet er aber emotionalen Anschluss in Slowenien'’; doch als dieses kleine Land mit seiner Unabhängigkeit 1991 ihm zu banal und „mitteleuropäisch“ wird (S. 14ff.), muss er gleichsam zu einer stärkeren imagologischen Droge greifen, zumal sich ja auch sein Sehnsuchtsort Jugoslawien auflöst. Er sucht also nach seiner Enttäuschung über Slowenien quasi den in seinen Augen authentischsten ‚Indianerstamm‘, den es für ihn auf dem Westbalkan gibt: die Serben. (Und ich möchte nochmals auf die kindisch unkritischen und ahistorischen ‚Indianer‘-Konstrukte verweisen, die das Werk Handkes durchziehen und die sicher dazu geeignet wären, ihm außer den Zorn der Slowenen, Kroaten, Bosnier, Serben und Kosovaren auch den der nordamerikanischen Ureinwohner zuzuziehen.'‘) Etwaige Vorbehalte, ich würde hier für einen Literaturwissenschaftler fahrlässig Autoren- und Erzähler-Ich vermischen, erscheinen mir bei Handke insofern hinfällig zu sein, als er selbst nicht nur einer der Begründer einer neuen Subjektivität in der deutschsprachigen Literatur war, sondern seine Jugoslawientexte auch dem autobiografischen Genre angehören; zudem hat der Verfasser in diversen Paratexten wie Zeitungsartikeln und Interviews nicht als literarische Figur, sondern als lebende Person auf Fragen, Kritik etc. reagiert. Aufschlussreich sind indes, wie ich meine, vor allem die Männlichkeitskonstrukte’, wie sie sich durch seine späten Bücher ziehen, in denen es nicht allzu viel Frauen gibt. Die Sehnsucht nach balkanischer Maskulinität wird dekuvrierend auch in einigen Fotografien sichtbar, die den Dichter in den 1990er Jahren mit Freunden zeigen.'° Man könnte vermuten, dass hier jemand, der seine in letzter Konsequenz doch ‚westliche‘ Männlichkeit als defizitär betrachtet und dies bis zu seinem Text Stunde der wahren Empfindung (1975) auch immer wieder als Selbstentfremdung beschrieben hat, sich an der vermeintlichen Urwüchsigkeit seiner neuen serbischen Freunde aufrichtet. Das Problem ist, dass diese oft einem ultranationalistischen Milieu angehören, das den begangenen Kriegsverbrechen zumindest mental nahesteht, so sehr sie selbst nicht darin involviert waren.'” (Um einen gewagten Vergleich zu bemühen: Das wäre so ähnlich, als würde ein von Selbstzweifel zerfressener Autor aus irgendeiner kleinen deutschsprachigen Minderheit in Europa sein Ego an der ‚Ursprungsnähe‘ eines H.C. Strache und seiner Trinkkumpane aufbauen wollen, wie wir sie etwa aus dem berühmt berüchtigten /biza-Video kennen. Diese kleine Übertragung — so sehr sie an den Haaren herbeigezogen scheint — macht indes auf eine mögliche Tiefenstruktur aufmerksam, die ich im Folgenden erläutern möchte, zumal sie uns auch von Serbien nach Österreich zurückführt.) Dass die erwähnten Männlichkeitskonstruktionen nach ihrer Eskalation in den Jugoslawienkriegen 1991-99 von einer jüngeren Generation postjugoslawischer AutorInnen nicht mehr als verbindlich angesehen werden, sondern — zum Teil heftig! — kritisiert werden, dazu finden sich übrigens in den Werken von Slavenka Drakulic, Aleksandar Hemon, Ismet Prcic, Sasa Stanisic, Dubravka Ugregic und anderen etliche Belege. So konnte Handke etwa in dem feinen kleinen Roman Die guten Tage des österreichischen Serben Marko Dinic von 2019, der die Wut einer diasporischen Generation über ihre gewalttätigen Väter artikuliert, Folgendes lesen: Die totale Entmündigung meiner Generation war nur ein kleiner Teil der großen moralischen Niederlage nach den Kriegen der neunziger Jahre gewesen. Und die einstigen Schlächter weilten immer noch unter uns wie ein schlechter Witz, wie das Monster unterm Bett, das ums Verrecken seine Macht über unsere Ängste nicht verlieren will. 3) Revisionismus und die österreichische „Unfähigkeit zu trauern“ Hier möchte ich auf die in der Nobelpreisdebatte wiederholt auftauchende These eingehen, Handke sei ein „Genozidleugner“.'? Diese Behauptung erscheint mir etwas stark formuliert; trotzdem lässt sich nicht in Abrede stellen, dass Handke in seinem Schreiben über Serbien und Bosnien Argumentationsmuster verwendet, die an revisionistisches Denken gemahnen und die Faktizität der blutigen Ereignisse von Srebrenica relativieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz folgende narrative bzw. argumentative Strategien der Reiseberichte Handkes und ihrer Paratexte offenlegen: * Bewusst gewahlte Einseitigkeit. Handke formuliert quasi in der Stoßrichtung seiner Erzählung von serbischen Drina-Ufer aus. Wie mir Doron Rabinovici unlängst schrieb (einer der namhaftesten Unterzeichner der Unterstützungserklärung von Autoren und Autorinnen für Handke im Herbst 2019): „Gegen die Einseitigkeit deutsch-österreichischer Perspektiven verschlug es ihn in eine eigenwillige Einseitigkeit, die ich auch nicht teile.“ Dies führt Handke immer wieder dazu — wie bereits vorhin angedeutet —, Geschichte zu entpolitisieren und durch Natur zu ersetzen. Die Poetisierung der Natur schafft so einen bedenklichen Mythos, der wie ein Schleier etliches zudeckt, wie z.B. die erwähnten BalkanStereotype, die gleichsam auch als naturhaft präsentiert werden. Wenn wir nun dem großen Kultursemiotiker Roland Barthes und seinem Standardwerk Mythologien des Alltags Glauben schenken, so ist dies freilich eine der häufigsten Strategien von Ideologie.?' * Der Text zeigt sich durchsetzt von Aposiopesen, also Lücken bzw. Auslassungen; die Opfer kommen nicht zu Wort bzw. es fehlen in seinem Narrativ relevante Teile. Ebenso wenig kommt März 2020 25