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Germinal Civikov Der Werwolf mit der Friedenstaube Ein Briefvon Paul Celan an Ernst Jünger erregte 2005 die Gemüter. Der 1951 noch unbekannte deutschsprachige Dichter hatte aus Paris dem prominenten deutschnationalen „Anarchen“ in Willingen geschrieben und ihm eine Auswahl seiner Gedichte vorgelegt. Bei seinen Forschungen im Jünger-Archiv hat der Publizist Tobias Wimbauer den Brief entdeckt und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) wirkungsgerecht unter dem Titel In Dankbarkeit und Verehrung publiziert. So lautet nämlich die Abschiedsformel dieses Briefes vom 11. Juni 1951, in dem Celan um Jüngers Aufmerksamkeit und Unterstützung wirbt.' Anhand des Briefes widersprach Wimbauer der Auffassung, Celan habe mit Jünger „Probleme“ gehabt und sein Verhalten im Krieg missbilligt. Ähnliche „Mutmaßungen“ des Celan-Biographen John Felstiner und der Celan-Editorin Barbara Wiedemann fand Wimbauer nun durch diesen Brief ausgeräumt. Vielmehr habe sich Ernst Jünger zu Zeiten des Dritten Reiches untadelig verhalten und Celan habe es vermutlich ihm zu verdanken, dass die Deutsche Verlagsanstalt 1952 Mohn und Gedächtnis gedruckt hat. „Hilfe kommt aus Wilflingen“, lautet denn auch der Untertitel des Artikels.” Damit löste Wimbauer eine heftige Debatte aus, die hauptsächlich in der FAZ ausgetragen wurde. Schon die Tatsache dieses Briefes und seine Auslegung durch Wimbauer schien Celans Unversöhnlichkeit gegenüber Personen vom Schlage Ernst Jüngers in Frage zu stellen. Joachim Seyppel brachte es ein gutes Stück weiter mit seiner Feststellung, der Brief sei gewiss ein „Kanossagang“ des Autors der Todesfuge, zu dem ihn „Jüngers hohe Form der Intellektualität, seine Überlegenheit im Reich des Geistes“ veranlasst haben mag.’ Ein Jude, dem während des Dritten Reiches bis auf das nackte Überleben wenig erspart blieb, übe Seyppel zufolge den Kanossagang zu einem Autor, der sich nicht nur als Wehrmachtsoffizier fiir das Dritte Reich verdienstlich gemacht hatte. Celan habe sich an einen ihm Ebenbiirtigen wenden wollen, so wie sich Schiller an Goethe gewandt habe - stellt ferner Seyppel fest. Celan als ein neuer Schiller und Jünger als ein neuer Goethe — der Vergleich ist beeindruckend. Vorbei die Zeiten, als der Jude „überhaupt in nichts, was das deutsche Leben anbetrifft, weder im Guten noch im Bösen, eine schöpferische Rolle spielen kann“ — Originalton Ernst Jünger 1930, als sich seine „Überlegenheit im Reich des Geistes“ besonders reichhaltig manifestiert zu haben scheint.‘ Wie man heute Celans nachgelassenem Briefwechsel entnehmen kann, erfolgte sein Schreiben an Jünger auf Initiative des Wiener Freundes Klaus Demus. Nach der Enttäuschung durch den mangelhaften Druck seines ersten Gedichtbands Der Sand aus den Urnen (Wien 1948) bemüht sich Celan in Paris ziemlich aussichtslos um einen neuen Verleger. In seinem Brief vom 2. September 1950 schlägt ihm Demus vor, sich in dieser Angelegenheit an Ernst Jünger um Unterstützung zu wenden. Wahrscheinlich hat Celan sehr zurückhaltend darauf reagiert, worauf Demus mit einem erneuten Vorschlag kommt: er will es seinem Freund leichter machen und die heikle Bittschrift auf sich nehmen: „Ich würde 34 ZWISCHENWELT ihm gerne schreiben und dabei auch - sogar hauptsächlich — von Dir sprechen, und Du sollst ihm Dein Manuskript schicken.“ (PC/KND, 34f.) Demus will erfahren haben, dass sich Jünger bereits erfolgreich für einen österreichischen Dichter eingesetzt habe, in Deutschland verlegt zu werden, und was ihn besonders zu ermutigen scheint, ist die Person dieses Dichters: „Denk Dir - es hat sich um H. Hakel gehandelt!!“ Der Dichter Hermann Hakel ist, was Demus unerwähnt lässt, jüdischer Herkunft. Celan reagiert auch auf diesen Vorschlag nicht, und am 17. Dezember 1950 drängt ihn Demus erneut: will denn Celan wirklich nicht für seine Manuskripte etwas bei Jünger versuchen? Auch Ingeborg Bachmann ermuntert Celan zu diesem Schritt: sie glaube, schreibt sie ihm aus Wien, dass es kein Fehler wäre, durch Jünger etwas in Gang zu bringen.’ Im Mai 1951 gibt Celan sein Zögern auf und lässt Demus wissen, er habe Jüngers Adresse ermittelt; wenn Demus möchte, könne er ihm nun seinen Brief schicken. (PC/KND, 60) Es ist ein merkwürdiger Brief, der am 18. Mai 1951 aus Wien an Jünger ging, und damit ist nicht nur das überschwängliche Pathos des damals 24-jährigen Klaus Demus gemeint. Es ist die Art, wie er seinen Freund präsentiert, den Jünger aus tiefster existentieller Not retten soll, indem er einen Verleger für ihn findet: „Niemand kennt seinen Namen: Paul Celan. 1920 als Deutscher in Rumänien geboren, nach Paris geflüchtet, wo er seit drei Jahren lebt, studiert, mühsam sein Brot verdient, dichtet.“ Und anschließend fasst Demus das Elend seines Freundes im folgenden Satz zusammen: „Seine Eltern kamen im Krieg um, seine Braur’ ist für ihn tot, er ist ganz allein.“ In seinem Briefan Celan findet es Demus ein hoffnungsvolles Zeichen, dass Ernst Jünger dem österreichischen Dichter jüdischer Herkunft Hermann Hakel geholfen haben soll; in seinem Brief an Jünger hingegen kaschiert er die jüdische Herkunft Paul Celans und auch die Tatsache, dass seine Eltern als Juden umgebracht wurden. Wusste Demus wirklich nicht von der jüdischen Herkunft seines Freundes?® Oder schien es ihm Jünger gegenüber ratsamer, diese unerwähnt zu lassen? Man kann heute nur darüber spekulieren; Tatsache ist jedenfalls, dass man in biographischen Notizen und Interviews aus dieser Zeit krampfhaft vermied, Celans jüdische Herkunft auch nur zu erwähnen - selbst dann, wenn die Todesfuge besprochen wurde.’ Celan selber schien daran keinen Anstoß zu nehmen; seinem Selbstverständnis nach war er ein Jude und er war ein deutscher Dichter, also ein Deutscher. Was Ernst Jünger von solchen Deutschen hielt, kann man in seinem Artikel Über Nationalismus und Judenfrage nachlesen. Es handelt sich um Jüngers Beitrag für eine Sondernummer der Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, die 1930 mit dem Titel „Die Judenfrage“ aufmachte und eine breite Palette von Artikeln, auch prominenter jüdischer Autoren, zum Thema brachte.'° Darin rügt Ernst Jünger zunächst den überlieferten Antisemitismus in