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den Wölfen, die, verborgen in der grauen Herde diese zum Rudel machen, hatte er schon einmal in einer nicht enden wollenden Vergangenheit als Wirklichkeit erlebt. Als Albtraum hallt sie in seinen Gedichten nach, etwa in Abend der Worte: „[...] die Narbe der Zeit / tut sich auf / und setzt das Land unter Blut — / Die Doggen der Wortnacht, die Doggen / schlagen nun an / mitten in dir.“ (HKA 4.1, S. 45) Seine ersten Erfahrungen mit dem virulenten Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland machte Celan in Mai 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf, wo er zum ersten Mal im „Land der Täter“ Gedichte vortrug. Sein erfolgloser Brief an Ernst Jünger lag ein Jahr zurück, als Ingeborg Bachmann und Milo Dor sich bei Hans Werner Richter einsetzten und ihn nahezu nötigten, auch ihren Pariser Freund als „österreichischen Dichter“ nach Niendorf einzuladen. Ein Auftritt vor diesem Forum, das als Aushängeschild der deutschen Nachkriegsliteratur galt, würde, so die Hoffnung, Celan in Kontakt mit deutschen Kollegen bringen und vielleicht auch einen deutschen Verleger auf ihn aufmerksam machen. Die Hoffnungen blieben diesmal nicht enttäuscht, der Erfolg aber hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Der Hohn und Spott, mit dem manche der Siebenundvierziger Die Todesfuge quittierten — unmégliches Pathos, Celan lese wie Goebbels, das Ganze sei ein Singsang wie in einer Synagoge — war ein frühes Beispiel jener „Projektion“ antijüdischer Ressentiments, die sich bei dieser „jungdeutschen Schicksalsgemeinschaft“ Luft machte, wenn man unter sich war.” Ingeborg Bachmann scheint den Eindruck von so einem ungezwungenen Plausch festgehalten zu haben, als sie in ihrem Tagebuch notierte: „Am zweiten Abend wollte ich abreisen, weil ein Gespräch, dessen Voraussetzungen ich nicht kannte, mich plötzlich denken ließ, ich sei unter deutsche Nazis gefallen.“ Es gab freilich keine Nazis (mehr) unter den anwesenden Gruppenangehörigen, und schon gar nicht Antisemiten, vielmehr gab man sich linksliberal bis sozialistisch, und Kriegsgegner waren sie sowieso alle. Und sie hatten auch viel Bewunderung für Ernst Jünger - nicht nur Alfred Andersch, der Mitbegründer der Gruppe 47 und lautstarker Promotor Ernst Jüngers auf der linken Nachkriegsliteraturszene, der auch noch in einem (unveröffentlichten) Brief an Jünger den Mut hatte, ausgerechnet den Waldgang mit Theodor Adornos Minima Moralia gleichzusetzen.*' Sein Engagement für Jünger war, wie Detlev Schöttker treffend vermerkt, „kein singuläres Phänomen, wie in der Literaturwissenschaft meist dargestellt, sondern Ausdruck der geistigen Präsenz Jüngers in der Gruppe 47“. Die geistige Präsenz des Waldgängers dürfte tatsächlich manch einem Kriegsheimkehrer aus dem Herzen gesprochen haben. Heimkehrer aus einem Krieg, der eigentlich gegen „den Juden“ in welcher Gestalt auch immer geführt wurde: Weltjudentum, Plutokratie, Judeobolschewismus. Es wurde ein Vernichtungskrieg gegen die europäischen Juden geführt, und als Soldat der Wehrmacht war man, gleich wie, aber irgendwie daran beteiligt. Dann kam die „Katastrophe“ und „die Stunde Null“ wurde angesagt. Schlussstrich. So einfach ist die Erklärung für die heute seltsam anmutende Verstörtheit und Verkrampftheit der Siebenundvierziger im Umgang mit dem Autor der Todesfuge während der Tagung in Niendorf 1952 und auch danach. „Ja, weißt Du: begonnen hat das alles bereits in Niendorf“ — schrieb Celan noch zehn Jahre später seinem Freund Rolf Schroers, als die sogenannte Goll-Affäre erneut hohe Wellen schlug. (RF 197) Vl Celan reagierte zunächst cher gelassen und er blieb auch in seiner Verletztheit offen für die Gruppe. Immerhin hatte er in Niendorf nicht nur einen begeisterten Verleger gefunden (Willi A. Koch, DVA), sondern sich auch einige Freunde gemacht, allen voran die sogenannten „rheinischen Freunde“ Rolf Schroers, Paul Schallück und, kurz danach in Frankfurt, Heinrich Böll. Die ab 1953 durch Claire Goll verbreiteten Plagiatbeschuldigungen stellten aber nicht nur Celans dichterische Urspriinglichkeit und Authentizität in Frage, was fiir ihn einer existentiellen Bedrohung schlechthin gleichkam. Sie brachten auch antisemitische Denkmuster und Klischees zutage, die bei manchen Autoren zu schlummern schienen und ihre braune Vergangenheit verrieten. Dazu zahlen auch tiefer gelagerte Denk- und Wahrnehmungsmuster des „Jüdischen“, die sich sowohl anti-, als auch philosemitisch artikulieren können und auf die Celan besonders empfindlich reagierte. Dazu gehören z.B. die Wahrnehmung des Juden als Gestalt und nicht als Individuum, das Denken in Kategorien von „artgleich“ und „artfremd“ und die Bemühungen um eine quasi historisch-anthropologische und judenfreundlich gemeinte „Unterscheidung des Jüdischen“. Celans Freund Rolf Schroers z.B. betrieb nahezu obsessiv diese Unterscheidung bis zu der Frage, was denn Celan von der Möglichkeit einer „duldsamen Abwehr des Jüdischen“ halte. Daran zerbrach letztendlich auch ihre Freundschaft, und das Gedicht Mit der Friedenstaube markiert diesen Bruch. Daher ist es für das Verständnis des Gedichtes sehr interessant, einen Blick auf dieses für beide Seiten schmerzhafte Zerwürfnis zu werfen, das durch den erschienenen Briefwechsel in allen Details dokumentiert ist. Am 3. Januar 1960 legte Schroers unter dem Titel Juden seinem Freund eine anti-antisemitisch gemeinte Schrift vor, in der er sich mit der Schwierigkeit auseinandersetzt, „die beunruhigende Andersartigkeit“ der Juden begrifllich zu erfassen. (RF 168ff.) Der Kernsatz seiner Schrift lautet: „Jude zu sein, heißt im Bereich des Menschen der ganz andere zu sein, der Fremde.“ Zum Zwecke seiner begrifllichen Erfassung „des Jüdischen“ bemüht Schroers die Auffassung von der Nation als Schicksal und meint, die Juden seien diesem Schicksal unentrinnbar und im weit höheren Maß als alle anderen Völker ausgeliefert. Begeistert von Ernst Jünger und sehr beeindruckt vom Rechtswissenschaftler Carl Schmitt, hebt Schroers „den Juden“ aus der Gesamtheit der Menschheit heraus, um ihn an einem „schicksalhaften“, d.h. dem freien Entschluss entzogenen Jude-Sein festzunageln. Diese schicksalhafte Andersartigkeit des Juden erkläre auch die Vergeblichkeit seiner Versuche, aus dem Judentum durch Emanzipation oder Assimilation herauszutreten. Zwar gibt Schroers jedem Juden recht, das zu wollen, befürchtet aber, dass sein Recht ihm nichts helfen werde „gegen das Schicksal“. Es gebe nichts Untröstlicheres als diesen Juden, in ihm stecke alle Verzweiflung des Selbstmörders. Etwas zugespitzt lautet Schroers‘ Botschaft: Hasst nicht den Juden, liebt ihn, er kann doch nichts dafür, Jude zu sein, es ist eben Schicksal. Indem er Leitbegriffe des Antisemitismus ins Philosemitische umstülpt, anstatt sie zu hinterfragen, bestätigt sie Schroers gerade in ihrer Unwahrheit und vollzieht erneut jene Ausscheidung „des Juden“ aus der „eigentümlichen deutschen Gestalt“, die bereits Jünger in seinem Artikel Nationalismus und Judenfrage „dem Juden“ androhte.” Celan reagiert zunächst schr moderat. Er finde Schroers‘ Fragestellung vereinfachend und nivellierend, denn die sogenannte Judenfrage stelle sich schon aus geschichtlichen Gründen in März 2020 39