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als Rinnans Sekretärin. Versorgt die Wunden der Gefolterten, kocht ihnen Essen und lässt die Tochter dort schlafen, trotz der Schreie, die aus dem Keller kommen.“ ($. 232-233) ERKLÄRT SICH DAZU BEREIT. Verschlägt es einer Leserin, einem Leser angesichts dieser Sprache nicht die Sprache? Vielleicht tappt Stranger in diese Sprache, weil er sich an keiner Stelle des Buches die Frage stellt, wie jemand zum Widerstand kam, welche Einstellungen, Gespräche, Verbindungen dazu führten, welche Hoffnungen, Träume, Ängste, Familientraditionen, welche Widerstandskultur diesen Entschluss nährte. Relevant scheint ihm dagegen das Stereotyp vom dunkelhaarigen Juden, das er mehrmals bemüht, etwa auf Seite 129 das „dunkle, fast schwarze Haar, von dem jedermann sofort sagt, dass es nicht arisch ist“. Das ist befremdlich, denn das Stereotyp vom dunkelhaarigen Juden setzt das entgegengesetzte Stereotyp einer weitgehend homogenen norwegischen Bevölkerung voraus, das die Nazis zwar durchaus finden wollten, aber nicht finden konnten, nicht zuletzt aufgrund der samischen Urbevölkerung Norwegens. Sollte der norwegische Autor das vergessen haben? Obwohl Trondheim, der Schauplatz des Romans, in die samisch-norwegische Geschichte einging? 1917 tagte in Träante, wie Trondheim auf südsamisch heißt, zum ersten Mal der Rat der Samen, die Initiatorin Elsa Laula Renberg wurde zur politischen Ikone der Samen. 2017 wurde in Trondheim das hundertjährige Jubiläum gefeiert, dies bemerkte auch die internationale Presse.! Den Nazis waren die Samen aus mehreren Gründen ein Dorn im Auge: Eheschließungen bedrohten die „Reinhaltung“ der „nordischen Rasse“, das Wissen der Samen über die norwegischschwedischen Grenzgebiete machte siezu wichtigen Fluchthelfern, und mit Verddevuohta kannte die samische Kultur ein eigenes Konzept von ,,Gastfreundverhiltnis“? zwischen nomadisierenden Samen und sesshaften Samen oder auch Nichtsamen, das man mit Ich helfe dir, und du hilfstmirübersetzen könnte, wobei Verddevuohta Warenaustausch, Vertrauen und Freundschaft umfasste. Samen sucht man bei Stranger vergebens. So wenig wir also von David Wolfsohn erfahren, so wenig werden wir von Hirsch Komissars politischem Engagement, geistiger Regsamkeit und Intellektualitat erfahren. Stattdessen lasst uns der Autor Hirschs letzten Tag erleben, den 7. Oktober 1942, als Hirsch als „Sühneopfer“ für eine Aktion des norwegischen Widerstands im Falstadskogen, dem Wald nahe dem KZ Falstad, zusammen mit neun anderen erschossen wird. Diese sieben Seiten (S. 342-348) unter dem Buchstaben Z sind schwer zu ertragen, denn der Autor beschreibt, was er denkt, dass Hirsch denkt, hört, spürt- und gespürt und gehört hätte, wäre er nicht schon tot. Denkst du an Gerson und Jacob? An Lillemor? Oder Marie? [...] Und dann? [...] Dann die Schüsse, gefolgt von einem überraschenden, überwältigenden Schmerz. Das Leben ist ein Strom. Ein Fluss aus Impulsen, der die ganze Zeit durch alles rinnt, was lebt. Und der Tod? Der Todist das, was abschließt. Die Kugeln bohren sich in dich und [...]. Das Letzte, was du spürst? Ein Zweig, der ...] Das Letzte, was du hörst? Ein Mann, der [...]. Dann gleitet dein Bewusstsein aus der Welt, und dein Körper geht in den Kreislaufalldessen ein, was tot ist, wie ein abgebrochener Zweig, der Schädel einer Elster oder der Kadaver eines Wals, der in absoluter Dunkelheit auf dem Grund des Meeres liegt, während das Fleisch von winzigen Maulern abgekaut wird. [...] Jetzt lassen die Soldaten deine Knöchel los und werfen dich in das Loch im Boden. Ein Riss im Fleisch der Erde. [...] Wenn deine Ohren nicht auf dem Weg in die Erde gewesen wären, wenn sie nicht verwesen würden, hättest du dort oben Schritte gehört. [...] Wenn das Gefühl in deiner Haut nicht schon längst verschwunden wäre, hättest du die Arme gespürt [...]. [..] So vergehen mehr als siebzig Jahre. Wahrscheinlichgibtes immer noch Teile deines Skeletts [...] Lieber 50 ZWISCHENWELT Hirsch. Du hast ein großes Geschlecht hinterlassen. [...] Die Welt dreht sich weiter und ich schliefe die Augen [...] (S. 348) Warum diese Gewichtung in solch pathetisch-trivialer Sprache, möchte man den Autor fragen. Ist das Vermächtnis eines Menschen —und das, was man von ihm erinnert—die kunstvolle Beschreibung des Todes und der Verwesung? Zwar leitet Stranger seine Motivation für das Buch mit der Frage seines Sohnes ein, der, den Stolperstein für Hirsch Komissar abwischend, fragt: „Warum wurde er ermordet, Papa?“ (S. 8) und streift im Versuch, diese Frage zu beantworten, im Laufe der 350 Seiten durch die lange Geschichte der Judenverfolgungen weltweit, wobei er diesund jenes Faktische nüchtern-prosaisch referiert, jedoch seine Leserschaft über die Geschichte der Juden in Norwegen weitestgehend in Unkenntnis lässt. Der Eindruck, den das Buch hinterlässt: Antisemitismus ist etwas Naturgegebenes. Das Grab von Hirsch ist „ein Riss im Fleisch der Erde.“ Wie schreibt einer der berühmtesten Norweger über Hirsch Komissar? Odd Nansen gilt als Held des Widerstands, wie sein Vater Fridtjof engagierte er sich mit viel Mut humanistisch und gründete 1936 die Nansenhilfe für staatenlose Flüchtlinge, die260 Erwachsene und Kinder aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, ein Großteil davon Jüdinnen und Juden, nach Norwegen bringen konnte. Odd Nansen war bereits im Jänner 1942 von den Nazis inhaftiert worden und trafals Gefangener aufden Gefangenen Hirsch. Es gelang ihm, insgeheim Tagebuch zu führen, 1946 veröffentlichte er es mit viel Erfolg. Am 7. Oktober 1942 schreibt er: Unter ihnen war Hirsch Kommisar [sic!], der Jude, der aus dem Lager Baddern hierher kam und einige Zeit später von hier wieder mit dem ersten Transport nach Südengeschickt wurde. Niemandverstand, warum dieser arme kleine, untersetzte Kerl zuerst hierher und dann nach Süden geschickt wurde. Er selbst glaubte wohl, er solleals Dolmetschergebraucht werden, denn er sprach Russisch, oder freigelassen werden. Nun ist er erschossen! Ganz sicher völlig unschuldig, eine Repressalie für irgendetwas, was da passiert ist. - Ich muss daran denken, wie unanständig Einzelne hier zu ihm waren, wie sie immer einSchimpfwortaufden Lippen hatten, wenn er auftauchte. [...] Ich muss an seine Frau denken, die Arme; ich kenne sie aus den Versammlungen der Studentenschaft, wo die beiden ständig waren. Wer tröstet sie in dieser bodenlosen Trauer und Angst? Wer denkt jetzt an sie? Arme Menschen. (Bruland 2019, S. 260-261) Was Nansen in wenigen Sätzen gelingt, einen Menschen fassbarzu machen und Verbundenheit aufzubauen, vermag Stranger auf 350 Seiten nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass Nansen nicht nur Hirsch Komissar beim Namen nennt, sondern auch den Antisemitismus, der selbst in Teilen des norwegischen Widerstands herrschte. Aufdiese komplizierte Geschichte lässt sich Stranger nicht ein. Was er uns aber wiederholt wissen lässt, ist, dass er selbst nicht Jude ist: Lieber Hirsch. Dies ist der Versuch, den zweiten Tod hinauszuschieben und das Vergessen zu verhindern. Ich bin kein Jude, aber meine Kinder, Deine Urenkel, haben jüdisches Blut in den Adern. Deine Geschichte ist ihre Geschichte. (S. 18) Ist diese Geschichte nicht unser aller Geschichte? Was soll diese Abgrenzung? Stranger formuliert in „Vergesst unsere Namen nicht“ die Erkenntnis: Seine Kinder wären unterdem NS-Regime vermutlich umgebracht worden. Weiterführende Fragen knüpfter nicht daran, kein: Wie hätte ich mich als Vater verhalten, was hätte ich versucht, wäre ich aufgrund meiner politischen Haltung gefährdet gewesen? Es versteht sich von selbst, dass man darauf keine fertige Antwort formulieren kann, ABER logisch wären diese Fragen doch gewesen. Die Thematik ist jedenfalls bei Stranger nicht in den behutsamsten Händen. Das zeigt nicht zuletzt die Wortwahl sowie die Verknüpfung grotesk-grausamer Szenen: Menschen, auch Kinder, werden im Buch wiederholt als „Körper“ beschrieben: „das Geräusch der Kinder, [...] wenn einerder Körperaufden Teppich fiel“ (S. 21), „Wie