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Anna Weinkamer Wenn der Himmel sich rot färbt Bringen wir uns gemeinsam um. Das hast du gesagt. Du hast mich angeschaut. Und ich habe dich angeschaut. Ungläubig. Weil ich an uns geglaubt hatte. Mein Gehör hat gehört, was du gesagt hast, mein Verstand hat es aber nicht verstanden. Du hast dann nichts mehr gesagt. Und ich hätte nicht gewusst, was ich hätte darauf sagen sollen. Alles war gesagt. Ich habe meine Handtasche gegriffen, die ich im Fußraum zwischen meinen Füßen abgelegt hatte. Abgeschnallt habe ich mich. Aus seiner Lage befreit hat sich der Gurt nach dem klickenden Geräusch. Ist in seine Ausgangsposition zurückgekehrt. Die Autotür habe ich aufgemacht und bin ausgestiegen. Du hast immer noch nichts gesagt. Die Autotür zugeworfen habe ich. Ich sche es jetzt noch vor mir, wie ich sie zuwerfe. Umgedreht habe ich mich nicht mehr. Bin einfach drauflos und um die nachste StrafSenecke verschwunden. In die Straße, die zu meinem Elternhaus führt, in das Haus, in dem jetzt meine Schwester lebt. Nie hast du mich vor der Haustür abgesetzt. Es hätte uns jemand zusammen sehen können. Bringen wir uns gemeinsam um. Das hast du gesagt. Dann hätten es alle gewusst. Bringen wir uns gemeinsam um. Hat das auch Stefan zu seiner Lotte gesagt? Auch sie war seine zweite Frau. Du kannst nicht ohne mich leben, hast du gesagt. Mit mir leben kannst du aber auch nicht. Und jetzt willst du gar nicht mehr leben? Bringen wir uns gemeinsam um, hast du gesagt. Und sofort ist in meinem Kopf ein Film abgelaufen. Habe vor mir geschen, wie du die Schlaftabletten kaufst, wie wir uns nebeneinander aufs Bett legen und wie ich die Schlaftabletten schlucke, wie ich tot bin. Habe vor mir geschen, wie du frei wirst von mir. Ein Leben ohne mich. Ohne mich kannst du nicht leben, hast du Anfang des Jahres gesagt. Hast mir ins Telefon geweint. Als schon längst Schluss war. Du, der du nie geweint hast. Und ich habe dir geglaubt. So wie ich dir immer geglaubt habe. Du wirst nach Hause fahren und es ihr gestehen, hast du gesagt. Und ich habe dir geglaubt. Du wirst ihr von mir erzählen und dir einen Anwalt suchen, hast du gesagt. Und ich habe dir vertraut. Mit dem Auto gegen eine Betonmauer wird sie fahren, hat sie zu dir gesagt. Das hast du mir berichtet. Darauf sollen wir dann unser glückliches gemeinsames Leben aufbauen, hat sie gesagt. Hast du mir erzählt. Bringen wir uns gemeinsam um. Das hast du geantwortet. Das hast du geantwortet auf meine Frage, was wir jetzt machen sollen. Eine Tasche habe ich gepackt, als ich in meinem Elternhaus angekommen bin. Nachgegangen bist du mir nicht. Einen Zettel habe ich geschrieben. Gut sichtbar aufden Küchentisch habe ich ihn gelegt. Ein Taxi zum Bahnhof habe ich mir gerufen. Ausgeschaltet habe ich mein Handy. Ein Ticket habe ich mir gekauft. In einen Zug bin ich gestiegen. Weggefahren bin ich. Angekommen bin ich. Irgendwo. Seit ungefähr sechs Wochen bin ich jetzt hier. Glaube ich. Ich lebe nicht, versuche nur, zu überleben. Den Tag zu überstehen. Stehe völlig neben mir. Esse und schlafe. Ab und an wasche ich meine Wäsche. Dann bleibe ich im Bett. Spazieren gehe ich, durch den Ort, in den Wald, über die Felder, am See entlang. Ich esse. Zu wenig. Ich schlafe. Schlecht. 58 _ ZWISCHENWELT Seit ungefähr sechs Wochen bin ich jetzt hier. Hier, das ist ein kleines Zimmer in einem Gasthof. Die Wände sind mit Holz getäfelt. Rustikal. Die Einrichtung ist minimalistisch. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Kasten. Neben der Tür ist eine Abwasch. Auf der Arbeitsfläche daneben steht eine Mikrowelle. Sie, die Mikrowelle, wirkt fehl am Platz. Und doch ist sie genau richtig. Oft ist mir nicht danach, mit anderen Menschen in der Gaststube zu essen. Sie schauen mich an. Reden tun sie nicht mit mir. Nur miteinander. Und über mich. Dann gehe ich in den Supermarkt, kaufe mir ein Tiefkühlprodukt und wärme es in der Mikrowelle. Die Kassiererin schaut mich ebenso an wie die Menschen in der Gaststube. Nicht das Handy eingeschaltet habe ich, nicht den Fernscher. Nichts gelesen habe ich. Kein Buch. Keine Zeitung. Jeden Tag tauscht das Zimmermädchen die Tageszeitung aus. Unberührt. In mein Leben, wie ich es kenne, kann ich nicht zurückkehren. Gekündigt ist der Job. Wenn ich jetzt gehe, brauche ich nicht mehr wiederzukommen, hat er gesagt. Untervermietet ist die Wohnung. Die Nachmieter haben den Mietvertrag bereits unterschrieben. Eingelagert sind die Mébel. In Kisten gepackt ist mein Hab und Gut. Meine Wahlheimat hinter mir gelassen habe ich. Heimgekehrt bin ich. Dieses Mal fiir immer, habe ich gedacht. Um mit dir zu leben. Am Fenster stehe ich, die Stirn gegen die Scheibe gedriickt. Angenehm kühl ist sie noch. Die Scheibe beschlägt. Wenn der Himmel sich rot färbt, dauert es nicht mehr lange, bis die Sonne aufgeht. Ich sche es aus den Augenwinkeln. Die Stirn an die Scheibe gelehnt. Neben mir liegt die Tageszeitung. Ich ziehe mir einen Sessel vor das Fenster und lasse mich darauf nieder. Ich warte. Warte, dass die Sonne aufgeht. Wenn der Himmel sich rot färbt, dauert es nicht mehr lange. Ich nehme die Zeitung zur Hand. Zum ersten Mal seit Wochen. Lege sie auf meinen Schoß. Lasse das Gefühl auf mich wirken. Schlage sie auf. Und öffne die Tür zur Welt von Gestern. Anna Weinkamer, geb. 1998 in Wien, aufgewachsen in Salzburg, derzeit Studium der Germanistik in Salzburg, Gewinnerin des Wiener Jugend Literaturpreises 2015, veröffentlichte u.a. in „SALZ. Zeitschrift für Literatur“.