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BERICHTE Jeanette Reinfrank-Koch Rede im PEN-Club, Wien, 19. September 2019 Meine Freude ist groß, wieder hier zu sein. Ich danke dem PENClub und der Theodor Kramer Gesellschaft für die Einladung! Wie gerne wäre auch Arno Reinfrank noch einmal in meine Vater-Stadt Wien gekommen. Er hat sogar mit mir einen endgültigen Umzug, weg aus seiner Wahlheimat London geplant — nicht nach Mannheim oder Ludwigshafen, wo er geboren und aufgewachsen ist, nicht in die geliebte Pfalz und nach Speyer, wo sein schriftstellerischer Nachlass verwahrt und sein Andenken gepflegt wird... Nein - hierher nach Wien wollte er mit mir ziehen. Nicht, dass dazu ein aktueller Anlass bestanden hätte, obwohl ich zugeben muss, dass Arno sich zunehmend unwohler fühlte wegen der politischen und sozialen Verhältnisse in England. (Was würde er heute sagen! Ob es ihm die Sprache verschlagen hätte angesichts unserer Brexit- und No-Brexit-Debatten, angesichts unseres Boris Johnson?) Nein, es waren damals keine Fluchtgedanken, die ihn und mich bewogen, London zu verlassen. Er fühlte sich hingezogen in diese kulturelle Metropole an der Donau aus vielfältigen Gründen. Da waren zunächst einmal rationale Motive, weshalb wir eine Übersiedlung planten. Er lebte in England und schrieb auf Deutsch. Ein Schriftsteller muss aber in seiner Sprache sozusagen baden können; er muss sich in seiner Sprache, in der er schreibt, mit fertigen und unfertigen Gedanken austauschen und diskutieren und streiten, oder beim Wein auch Witze erzählen und sich welche erzählen lassen können. Das vermisste er mehr und mehr und sehnte sich immer wieder und immer mehr nach einem Leben in einer deutschsprachigen Umgebung. Eine Rückkehr in seine Heimat, oft erwogen, aber immer wieder verworfen, hatte nämlich einen Haken. Das war die Vergangenheit. In seinen Schriften finden sich wiederholt ambivalente Reflexionen über sein Verhältnis zu Deutschland, namentlich in Die Totgesagten. Biographisches und Autobiographisches vermischen sich, immer auch schlüpft er als Dichter in die Haut eines anderen, aber immer ist dies auch seine eigene Haut. Er schreibt: ...das ist mein Land mein Land ist das nicht das ist mein Kreuz mein Kreuz ist das nicht das ist mein Gott mein Gott ist das nicht Noch deutlicher heißt es an anderer Stelle: Will ich zurück ins deutsche Land,/ das flüchtend ich verlassen?/ Bedeutet Draufsenbleiben nicht! den eignen Schatten hassen? Auch diese Verse enden unversöhnlich mit den Worten: Ich liebe dieses Land und kann doch nicht auf Gräbern tanzen. Da Arno also nicht nach Deutschland zurückkehren wollte, erwogen wir, nach Wien zu ziehen. Und damit bin ich bei den nicht — oder besser: nicht nur— rationalen Beweggründen. Es sind „affektionale“ Motive. Denn Wien war für ihn - um den Ausdruck eines Wiener Gelehrten, Sigmund Freud, zu gebrauchen - ein „libidinös besetztes Objekt“. Ja, es ist nicht übertrieben: Arno Reinfrank liebte diese Stadt. Also lebte und arbeitete er vom Herbst 1999 bis Juli 2000 in Wien. Vorher war alles schon mehr oder weniger organisiert. Freunde waren ja schon da, eine Bleibe wurde bald gefunden, eine große, altmodische Wohnung, die uns eine Freundin vorübergehend überließ, und in der sich Arno pudelwohl fühlte. Es war eine erfüllte und fruchtbare Zeit. Er trat in den österreichischen PE.N. ein, dessen Präsident, Dr. Wolfgang Fischer, ebenfalls im Exil gelebt und im Londoner PE.N. deutschsprachiger Autoren (Arno war der Sckretär) mitgewirkt hatte. Arno war Mitarbeiter in der Theodor Kramer Gesellschaft und nahm überhaupt regen Anteilam kulturellen und literarischen Leben der Stadt. Hier wollte er mit mir zusammen für immer bleiben. Doch dann kam die „Krebs-Keule“, wie Arno zu sagen pflegte. Der Iraum von Wien war vorbei. Im August 2000 hatte eine ärztliche Untersuchung in London ergeben, dass Arno an Darmkrebs erkrankt war. So gerne hätte er noch sein tausendseitiges Fin-de-Siecle-Werk über die letzten tausend Tage des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorstellen wollen. Vieles aus diesem Monumentalwerk — Lyrik und Prosa, Anekdoten und Einfälle, Beobachtungen und Betrachtungen — hat er ja geschrieben hier in Wien, „die Stadt endloser Gassen und Winkel, Anekdoten, subjektiver Erinnerungen und objektiver politischer Irrtümer“, wie er in seinen Grußworten formulierte, die er damals nicht mehr selber vortragen konnte. Ich musste sie für ihn überbringen damals, als bei Buch und Wein in Wien am 15. November 2000 die Präsentation des Buches und eine Lesung daraus stattgefunden hat. Zehn Monate später war er tot. Als Schriftsteller aber ist er lebendig geblieben. Viele Ausstellungen haben seither stattgefunden. Ein anerkannter Literaturpreis, mit dem Autorinnen und Autoren ausgezeichnet wurden, von denen einige erst nach der Verleihung berühmt geworden sind, und der alle drei Jahre in Speyer verliehen wird, ist mit seinem Namen verbunden; nicht nur das, die Kandidaten setzen sich vor der Verleihung auch intensiv mit dem Werk Arno Reinfranks auseinander und halten darüber eine Rede, die nachher veröffentlicht wird. Und nun ist zum 85. Geburtstag Die Zwitschermaschine exschienen. Arno lebte in einer Zeit, die ganz anders war als die heutige. Aber wenn man seine Gedichte liest, die über fünf Dekaden hinweg verfasst und von denen eine „erlesene“ Auswahl in dieser Anthologie versammelt worden ist, dann erkennt man, wie viele seiner Worte geradezu prophetisch und auf die Gegenwart zutreffend erscheinen. Arno Reinfranks ausgewählte Gedichte sind 2018 unter dem Titel „Die Zwitschermaschine“ mit einem Nachwort von Monika Rinck als Band 14 der Reihe „Nadelstiche“ im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft erschienen. März 2020 59