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Besuch der Leidensstationen ihrer Mutter, als sie 2006 und 2015 die heutige Strafvollzugsanstalt besucht hat. 25 Maria Prieler-Woldan: „Es ist unerhört und skandalös, dass man mit Verdächtigungen gegenüber ehemaligen Gefangenen auch nach dem Krieg weitermachte.“ Als Beispiel führte sie die Haftbestätigung an, die der Abteilung Konstantin Kaiser „Handke und die Folgen“. Bericht Ende November 2019 gelangte eine „Erklärung deutschsprachiger AutorInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, PublizistInnen, ÜbersetzerInnen u.a.“ folgenden Wortlauts zu meiner Kenntnis: Die Kritik an Peter Handke hat längst den Boden vertretbarer Auseinandersetzungen unter den Füßen verloren, sie besteht fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen, Verzerrungen und ähnlichem mehr, sie ist zu einer Anti-Handke-Propaganda verkommen, der jedes Mittel Recht ist, um gegen Peter Handke Recht zu behalten. Hämisch wurde die vom Suhrkamp Verlag veröffentlichte Richtigstellung der zumeist falsch wiedergegebenen Äußerungen Handkes quittiert. Zuletztgingen ausgerechnet Qualitätsmedien sogar soweit, die Berechtigung Handkes zur österreichischen Staatsbürgerschaft anzuzweifeln. Eine „Amtsauskunfl“— auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich?— über Peter Handke wurde eingeholt und die Möglichkeit zur Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft in den Raum gestellt. Ein ihm zur Reisefreiheit vor 20 Jahren ausgestellter jugoslawischer Reisepass soll dafür den Ausschlaggeben. Man will offenbar aus Handke mit aller Gewalt einen „serbischen Staatsbürger“ oder ihn staatenlos machen. Es ist beschämend und erbärmlich, wie hier vorgegangen wird. Es ist bestürzend, welcher Hass sich über einen Autor und sein Lebenswerk ergieftt, der konsequent und radikal ohne erkennbaren Vorteil für sich selbst, vielmehr sogar noch zum eigenen Schaden, die Autonomie seiner schrifistellerischen Existenz gegen die an ihn und alle anderen Schrifistellerlinnen gerichteten Erwartungshaltungen behauptet. Die Anti-Handke-Propaganda rechnet nicht nur mit Handke ab, sie rechnet mit jedem störenden Einfluss in öffentlichen Auseinandersetzungen von Autorenseite ab. Es wirdein Machtanspruch über jeglichen Versuch selbständiger Sichtweisen gestellt. Gegen diese mediale Hetze gegen Peter Handke und die Autonomie des Schriftstellers / der Schriftstellerin setzen wir uns mit allem Nachdruck zu Wehr. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht mit unseren ausgebürgerten Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern solidarisiert, um eine angezettelte Ausbürgerungsdebatte um Peter Handke bei uns widerspruchslos zu übergehen. Wir haben uns nicht gegen propagandistische Diffamierungen und Diskreditierungen dissidenter Autorinnen und Autoren in anderen Ländern ausgesprochen, um gegen solche Attacken auf einen Autor bei uns zu schweigen. Wir fordern alle an der Debatte Beteiligten dringend dazu auf, sich an den unmittelbar auf Handke zutreffenden Fakten zu orientieren, anstatt über den Umweg einer Diskussion über Peter Handke die versiumte Auseinandersetzung mit einem aufserhalb der betroffenen Länder ansonsten ganz und gar verdrängten Kapitel jüngerer europäischer Geschichte nachzuholen. Der Wille zur Illiberalität selbst bei sich für liberal haltenden Medien ist nur noch erschreckend. Diese Erklärung vom 13.11.2019 war initiiertvon Werner Michler, Daniel Wisser, Doron Rabinovici, Gerhard Ruiss, Julya Rabinowich, Klaus Kastberger, Teresa Präauer. Die InitiatorInnen luden für Opferfürsorge an der Salzburger Landesregierung im Mai 1953(!) zugestellt wurde: „Fast acht Jahre nach Kriegsende fehlt in diesem Schreiben jegliches Unrechtsbewusstsein und der Respekt (z.B. die Anrede als ‚Frau‘) für Maria Eizer, die nach wie vor als Verbrecherin dargestellt wurde, obwohl sie nach inzwischen aufgehobenen NS-Gesetzen inhaftiert war (s. Fußnote 8, S. 184). „alle Kolleginnen und Kollegen dazu ein, sich mit uns gemeinsam gegen diese Form der Auseinandersetzung zu wenden und der Erklärung beizutreten“. War anfangs nur von „deutschsprachigen AutorInnen“ etc. als UnterstützerInnen die Rede, wurden später auch die „Anderssprachigen“ dazugenommen. Über 300 Personen unterzeichneten den Aufruf. Die Erklärung und die breite Zustimmung zu ihr haben mich erschreckt. Der Anmutung, sich damit gemein zu machen, mußte widersprochen werden. Ich erklärte also am 1. Dezember 2019 in einem Rundbrief mein Nicht-Einverständnis: . ich bin gegen die „Erklärung deutschsprachiger AutorInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, Publizistinnen, ÜbersetzerInnen“ vom 13. November 2019, mit der der Nobelpreisträger Peter Handke vor Anwürfen in Schutz genommen werden soll. Vorweg: Ich verstehe nicht, warum hier allein „Deutschsprachige“ Stellung nehmen. Geht nur sie die Sache etwas an? Sodann: Die Erklärung beginnt selbst mit einer groben Entstellung der Tatsachen: Sie behauptet ohne jeden Nachweis, daß die Kritik an Handke „fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen“ usw. besteht. Die mir bekannten kritischen Stellungnahmen zeichnen sich fast durchwegs durch ein Bemühen um genaues Argumentieren und korrektes Zitieren aus, dies in wohltuendem Gegensatz zu etlichen Versuchen, Handke mit plumpen Berufungen aufdie „ästhetische Qualität“ aus der Welt, in der wir leben, in den Dichterhimmel zu expedieren. Die „Erklärung“ verbreitet hier „alternative Fakten‘, wohl um die weitere Diskussion mit autoritativem Gestus abzuschneiden. Woher nehmen die UnterzeichnerInnen die Befugnis, als „beschämend und erbärmlich“ zu bezeichnen, „wie hier vorgegangen wird“? Von wem wird denn hier vorgegangen — von einer geheimen internationalen Anti-Handke-Verschwörung, in der sich „Journaille“ und irgendwelche bosnische SchriftstellerInnen zusammengefunden haben, um gegen den tapferen, „die Autonomie seiner künstlerischen Existenz behauptenden“ Peter Handke vorzugehen? Wird hier eine Autonomie beansprucht, dienur den Kunstschaffenden zusteht, anderen Schreibenden und Redenden hingegen nicht? Wie immer, der Anspruch auf Autonomie geht mit Verantwortung einher, und dies insbesondere nach zwei Weltkriegen und nach der Shoah. Das Verhalten Handkes angesichts des Genozids von Srebrenica als Behauptung der „Autonomie seiner künstlerischen Existenz“ zu feiern, bleibt den UnterzeichnerInnen der „Erklärung“ vorbehalten. Wenn die „Erklärung“ beklagt, es werde „ein Machtanspruch über jeglichen Versuch selbständiger Sichtweisen“ (von wem?) erhoben, gewinnt man den Eindruck, die VerfasserInnen der „Erklärung“ selbst würden der vorherrschenden öffentlichen Meinungüber Jugoslawien in den Jahren 1991 bis 1999, die durch Urteile des „Internationalen Strafgerichtshofes“ in Den Haag bestärkt wurde, nicht recht trauen. Ich frage mich, ob alle Unterzeichnerinnen diese Windungen und Wendungen in der „Erklärung“ wirklich registriert haben. März 2020 63