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von Frankfurt am Main an. Da ist Maryam inzwischen Mitte dreißig, erfolgreiche Schauspielerin und hat das Gefühl, getrieben zu sein. Sie beschließt, stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Maryam Zaree setzt sich in den Kopf, dem Schweigen nachzugehen. Ihre Familie unterstützt ihren Film - obwohl ihre Mutter nicht reden mag. Die beste Freundin ihrer Mutter in Paris erzählt ihr, dass alle Frauen in der Zelle klatschten, als ihre Mutter nach der Geburt mit dem Baby zurückkam, kein Säugling habe so viel Liebe erfahren wiesie. Ihr Vater Kasra Zareh wird ihr das Handtuch zeigen, das vor ihm zwei Mithäftlinge benützt hatten. Beide wurden gehenkt, er sollte der dritte sein. Ihr Stiefvater, der Psychoanalytiker Kurt Grünberg, ist ein Kind von Überlebenden der Shoah, er forscht zum szenischen Erinnern und zur wortlosen Weitergabe der "Iraumata über Generationen. Zaree macht sich aufdie Suchenach Gefängniskindern. Siesuchtsie überall- außer im Iran. Nur wenige wollen sprechen, auf Konferenzen exilierter politischer iranischer Gefangener fehlen sie: die Kinder ihrer Elterngeneration. Dortlernt sie die Angst der Exilierten vor dem iranischen Geheimdienst - in Europa - kennen. Shala Shafır, Soziologin und Expertin für das Gefängniswesen im Iran, ermutigt sie weiterzumachen: „Das ist nicht nur deine Geschichte. Das ist unsere kollektive Geschichte.“ Es ist eine der eindringlichsten Szenen im Film. Denn das Regime wollte und will Schweigen. Das Aufdecken des Schweigens sei Teil des Prozesses, ein Akt des Widerstands, so Zaree im Interview zum Film. Die „Anerkennung des eigenen Verschrtseins“ helfe, die Menschlichkeit zurückzugewinnen. Daher schneidet Zaree die Szenen, in denen geweint wird - sie selbst hatte sich im Laufe der vierjährigen Arbeit entschlossen, nicht nur Regisseurin, sondern auch Protagonistin zu sein — nicht heraus, denn: „Die Tränen sind politisch.“ Vielleicht liegt auch darin das Geheimnis, warum der Film, wie jemand in einer Kritik schrieb, „wunderschön“ ist: Der Film ist voller Lebendigkeit, Heiterkeit und Zärtlichkeit. Maryam gelingt es, Menschen zu verbinden, nicht nur während der Filmarbeit, auch im Kinosaal. Sie spricht mit der Autorin von „Kinder des Jacarandabaums“, mit Altersgenossinnen, die - was für ein Zufall!, sagt sie voller Ironie - Psychologinnen wurden, mit Chowra Makaremi, deren Mutter hingerichtet wurde, als sie acht Jahre alt war. Mit Hilfe der Aufzeichnungen ihres Großvaters über die Folter an seiner Tochter sagte Chowra beim Iran Tribunal aus. Letztendlich zeigt der Film auch den privaten politischen Kampf der Kinder von Überlebenden, ihrer eigenen Angst und dem Zuriickweichen vor der Schweigemauer auf die Schliche zu kommen und Bindeglied zu werden. Maryam Zaree fahrt zur alljahrlich stattfindenden feministischen Konferenz von Exiliranerinnen. Dort erfahrt sie erstmals, wie Frauen im Gefangnis ihre Kinder zur Welt bringen und was Babys und kleine Kinder mitansehen mussten. Sprache und Umarmung werden Teil der Geschichte ihrer Geburt. Das Iran Tribunal wurde von Angehörigen, ehemaligen politischen Gefangenen, MenschenrechtsaktivistInnen und JuristInnen gegründet, mit dem Ziel, dem Verbrechen einen Namen und ein Gesicht zu geben. Außerdem wollte man aufzeigen, worüber in Europa nicht gesprochen wird. Das Iran Tribunal ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Verbrechen eines Tages bestraft werden. Die „Islamische Revolution“, die in Wahrheit eine Gegenrevolution war, Ansätze von Landreform und Frauenrechten zerstörte und die Privilegien der Geistlichkeit und der Kaufleute des Basars reinstallierte, hat Zehntausende aufdem Gewissen und eine ganze Generation mit ihren Hoffnungen, ihrer Kritik und Freiheitsliebe „neutralisiert“. Der Großteil der Anfang der 1980er Inhaftierten waren SchülerInnen, sechzehn, siebzehn Jahre jung. Die Mullahs betrachteten und betrachten Frauen und Mädchen nicht als politische Gefangene, sondern als Frevlerinnen gegen Gott und ihr Geschlecht. Das Iran Tribunal war ein symbolisches, denn die Täter von damals, Mitglieder der „Todeskommission“, sind an der Macht. Dr. Nargess Eskandari-Grünberg hat in ihrer psychotherapeutischen Praxis Menschen, die in den letzten Jahren aus dem Iran geflüchtet sind und berichten, dass die Folter genauso weitergeht, schlimmer noch, systematisierter. Maryam Zaree, die auch beim autobiographischen Projekt „Denial“ am Maxim Gorki Theater in Berlin mitwirkte und mit „Kluge Gefühle“ erstmals als Autorin eines Iheaterstücks in Erscheinung trat, erhielt für ihr Regiedebüt „Born in Evin“ den Newcomerpreis beim 30. Hessischen Film- und Kinopreis. In ihrer Dankesrede nahm sie Bezug auf den antisemitischen Anschlag von Halle, der für sie nicht überraschend kam: „Vielleicht hat Sie selbst, Hetze, Rassismus, Antisemitismus, noch nie getroffen, aber es sollte Sie betreffen.“ Maryam Zaree, eine starke Stimme. Ihren Film widmet sie ihrer Familie. Ihre Mutter kam mit gefälschten Papieren nach Deutschland... An dieser Stelle sei ein weiterführender Gedanke erlaubt: Der iranische Geheimdienst existiert gewiss nicht nur in der Fantasie. Welche Stimmen sind es, die wir in der Verhüllungsdebatte hören? Wie soll jemand, die/der in den Iran reisen möchte, öffentlich Stellung nehmen? Angst- und risikofreisprechen können jedenfalls jene, die wie die Mullahs der Meinung sind, Frauen und Mädchen hätten ein „Recht“ auf Verhüllung. Das „Recht auf Verhüllung“ hatten die Mullahs gefordert. Die Mädchen und Frauen in den Gefängnissen hatten verbundene Augen und mussten einen Schleier tragen, aber ihre Beine waren bis obenhin nackt, denn auf Fußsohlen und Beine wurde gepeitscht. Rutschten ein paar Haare unter dem Schleier hervor, was die Gefangene aufgrund der Augenbinde nicht merken konnte, traten sie die Männer mit schweren Militärstiefeln in den Bauch - auch die Schwangeren. Auch bei der Geburt waren die Augen verbunden. Schrie die Gebärende, wurden alle Frauen verprügelt. Die Wärter im Gefängnis nannten sich Brüder. Das Baby von Nargess wurde nach der Geburt mit „Das ist der Sohn einer Hure“ kommentiert. Hinweise, Quellen Dankesrede von Maryam Zaree beim 30. Hessischen Film- und Kinopreis in Frankfurt, Frankfurter Rundschau, 20.10.2019: https://www.fr.de/frankfurt/hessischer-film-kinopreis-frankfurt-dankesrede-maryam-zaree-sorgtestanding-ovations-13133994.html Ruben Donsbach: ,,Es ging darum, die Menschen in ihrem Inneren zu brechen.“ Interview mit Maryam Zaree. Zeit online, 9.2.2019: https://www. zeit.de/kultur/film/2019-02/maryam-zaree-berlinale-film-premiere-allesueber-evin-foltergefaengnis/komplettansicht Cam Diindar: Politische Tranen. Was im Iran passierte, passiert nun in der Türkei. Die Zeit, Nr. 8, 14.2.2019: https://www.zeit.de/2019/08/born-inevin-iran-tuerkei-diktatur-islam-laizismus Homepage des Iran Tribunals mit Videos der Aussagen von ZeugInnen: hetp://www.irantribunal.com/index.php/en/sessions/truth-commission/335testimony-presenations-truth-commission Interview mit Nargess Eskandari-Grünberg. „Ich kenne nur die Stimmen“, Frankfurter Allgemeine, 27.12.2012: https://www.faz.net/aktuell/politik/ ausland/opfer-des-chomeini-regimes-ich-kenne-nur-die-simmen-11940962. html?printPagedArticle=true#pagelndex_10 März 2020 65