OCR
erhält. Erst später wird bekannt, dass auch sein deutscher Freund Thiess ihn während der Vorbereitungen zur Flucht schützte und ihm außerdem Manuskripte nach Schottland in den von James Joyce vermittelten ersten Exilort nachsandte. Broch dankte es ihm nach Wiederaufnahme der beiderseitigen Korrespondenz 1948 durch eine diesbezügliche Erklärung (im New Yorker Aufbau) und in der Hamburger Akademischen Rundschau, wie er am 18. August 1948 dem daraufhin sichtlich gerührten Thiess schrieb. Gleichzeitig kritisierte Broch aber — mit der ihm eigenen Höflichkeit — eindeutig dessen Attacken auf Thomas Mann. Doch damit war fiir Thiess der Weg zu einer glanzenden Karriere in Deutschland frei und er wurde einer der gefragtesten Schriftsteller der Nachkriegszeit aus den Reihen sich profilierender Vertreter der sogenannten „Inneren Emigration“. Für Broch aber entwickelte sich da, seit Zuerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1944, bereits eine gegensätzliche, zunehmend seine Existenz bedrohende Situation. Die Hilfsaktionen für ihn entfielen, und nach Kriegsende wurde er dagegen von Hilferufen aus Europa bedrängt. Unter diesen, ihn auch emotional belastenden prekären Umständen litt letztlich auch sein literarisches Schaffen. Wiederholt kamen monatelange Krankenaufenthalte dazu. Ein „Kinder der Rückkehr“ Das Buch Kinder der Rückkehr basiert auf einer vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderten, von Ernst Berger und Ruth Wodak gemeinsam mit Helene Maimann erstellten, unveröffentlichten Studie Die Kinderjause - zur Geschichte einer marginalisierten Jugend. Verena Krausneker, Brigitte Halbmayr und Helga Amesberger haben die Interviews geführt, Markus Rheindorf und Brigitte Halbmayr haben an den Analysen theoretisch wie methodisch mitgearbeitet (S. VI und 12). Das Buch handelt „von der Geschichte unserer Eltern, von Widerstand und Verfolgung, die in Österreich allzu lange ausgeblendet und verschwiegen wurden“. (S. 12) Es geht um Kinder von Eltern, die in der Zeit des Nationalsozialismus als Kommunisten bzw. revolutionäre Sozialisten im Exil, auf der Flucht, im Widerstand, im Untergrund, in den Armeen der Alliierten kämpfend, in den Gefängnissen der Gestapo eingesperrt oder deportiert und interniert im KZ überlebt hatten. (S. 7) Für ihre Studie wählten die drei ForscherInnen aus einer informellen Gruppe von circa 200 Kindern kommunistischer Rückkehrer, die sich seit 2001 regelmäßig trifft und sich Kinderjause nennt, eine Stichprobe von 29 zwischen 1939 und 1953 geborenen InterviewpartnerInnen aus (S. 15 £). Später kamen noch Interviews mit elf Kindern von Interviewten, von Enkelkindern der Zuriickgekehrten, dazu. (S. 18) 72° ZWISCHENWELT Lichtblick war die Nachricht von Thiess, dass fiir ihn ein Nobelpreis-Vorschlag erwogen werde. Thomas Mann hatte seine Unterstiitzung fiir 1952 bereits signalisiert. Auch zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Wissenschaft und Literatur in Mainz sollte Broch gewählt werden und an Literaturzeitschriften mitarbeiten. Sein plötzlicher Herztod Ende Mai 1951 beendete alle diesbezüglichen Bemühungen. Nur den Roman Die Schuldlosen hatte er kurz vor seinem Tod veröffentlichen können, allerdings in einem kleinen Verlag mit wenig Resonanz. Als er starb, war er arm und vergessen und vom Zeitgeschehen scheinbar überrollt. Im Briefwechsel spielen die wiederholt von Thiess in seinen Briefen an Broch getätigten recht diffamierenden Äußerungen über Thomas Mann oder die politische Rolle Österreichs eine wesentliche Rolle, deren Hintergründe und Nachwirkungen Broch aufgrund seiner geografisch und zunehmend auch durch Krankheit verursachten Isoliertheit in den USA kaum zu erkennen vermochte. In Hinsicht auf Thomas Mann verweigerte Broch dem Freund seine Zustimmung und betonte wiederholt seine Loyalität. Die ironischen Schilderungen von Thiess über das politisch-kulturelle Leben in Österreich musste er unwidersprochen lassen. In den Nachkriegsjahren bestimmte Frank "Ihiess nicht unwesentlich die teils erbitterte „Der Antikommunismus, der Kalte Krieg war für die Kinder der Rückkehr von unmittelbarer und prägender Bedeutung.“ (S. 44) Die KommunistInnen und ihre Kinder waren auf der einen Seite der Front zu Hause. Und außer Haus war Feindesland. Deshalb blieben sie unter sich (und — Anmerkung E.E. - in ihrer SelbstWahrnehmung glaubten, dass sie die Einzigen waren, die gegen die Nazis waren.'). Es gab einen Kalten Krieg und entweder man gehörte zu den einen oder zu den anderen ... Entweder du hast zu denen gehört, die gegen den Faschismus gekämpft haben oder du warst in dem Milieu, das mitgelaufen ist. (S. 149) Für alle Interviewten gilt, dass die Geschichte ihrer Eltern im offiziellen Geschichtsunterricht nicht vorgekommen ist. (S. 18) Die Fragen der ForscherInnen waren: Warum sind die Eltern nach Österreich zurückgekehrt? Wie haben sie ihren Kindern ihre Erlebnisse und Entscheidungen vermittelt ? Was hatten sie erzählt über die Zeiten des nationalsozialistischen Terrors und des Widerstands? Wie hatten sie den Kindern ihre Rückkehr erklärt? Welche Ziele verfolgten die Eltern, welche Visionen und Werte hatten sie; und haben sie diese weitervermittelt? Wie gingen sie mit dem Schweigen und Leugnen von Kriegsverbrechen im offiziellen Österreich um? Diskussion um die Problematik der „Inneren Emigration“. Und in den 1960er Jahren war der viel gedruckte Schriftsteller zuletzt Mitglied des Witiko-Bundes und setzte sich 1967 für die Freilassung des in Berlin-Spandau inhaftierten Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess ein. Da erklärt sich nachträglich doch seine im Brief vom 16. April 1951 an Broch geäußerte Kritik an dessen Werk Die Schuldlosen, wobei ihm besonders die namentliche und klare Charakterisierung Hitlers missfiel. Die vorliegende Briefedition gewährt nun bisher nicht mögliche Einblicke in Brochs in diesen Details noch unbekanntes facettenreiches Schaffen, beispielsweise zu dem unvollendet gebliebenen Werk zur Massenpsychologie. Die Briefe bieten keine leicht zu lesende Lektüre, zumal die jeweiligen kleingedruckten Anmerkungen unbedingt ergänzend gelesen werden sollten. Die chronologischen Werkverzeichnisse zu Hermann Broch und Frank Thiess für die Jahre 1929 bis 1951 sowie das Personenregister erleichtern allerdings den Zugang. Helga W. Schwarz Hermann Broch und Frank Thiess. Briefwechsel 1929-1938 und 1948-1951. Hg. von Paul Michel Lützeler. Göttingen: Wallstein 2018. 6165. Und wie erlebten die Kinder die nicht selten dogmatischen Einstellungen und Ideologien ihrer Eltern? (S. 8) Im Prolog zu dem Buch konstatiert Hazel Rosenstrauch: „Wäre diese sogenannte ‚erste Generation‘ [die Eltern der Interviewten] empfindlicher gewesen, ... hätten sie es wahrscheinlich in Österreich gar nicht ausgehalten.“ (S. 3) Und: Diese „assimilierten linken Remigranten ... haben ... durch ihre Kinder, aus denen Arzte, Journalistinnen, Kiinstlerinnen, Lehrer und sonstwie bedeutende Persönlichkeiten wurden, weit mehr Einfluss gehabt, als ihnen statistisch entsprechen würde ...“ (S. 4) Die Studie stützt diese beiden Thesen — dass die Kinder der Rückkehr marginalisiert waren, und dass es ihnen gelungen ist, vom Rand in die Mitte zu kommen. Die Marginalisierung der KommunistiInnen (Jüdisch-)kommunistische Rückkehrer aus Exil, Widerstand, KZ und Nazi-Haft waren in Österreich nach 1945 nicht unbedingt willkommen und wurden demnach an den Rand der Gesellschaft gedrängt. (S. 301 f.)