OCR
Konstantin Kaiser Einmal mehr wurden wir im Zusammenhang mit dem Rücktritt der glücklos agierenden grünen Kultur-Staatssekretärin Ulrike Lunacek mit dem Bestreben konfrontiert, die Kritik an der Nobelpreis-Zuerkennung an Peter Handke als einen Affront gegen die Freiheit der Kunst hinzustellen, gegen den sich SchriftstellerInnen in gemeinsamem Interesse wehren müssten. Ulrike Lunacek hatte nämlich geäußert, „sie könne die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Peter Handke nicht nachvollziehen.“ Dazu nahmen der Geschäftsführer der Interessensgemeinschaft österreichischer AutorInnen, Gerhard Ruiss, und der Präsident des österreichischen Kunstsenats, Josef Winkler, Stellung. In der „Kleinen Zeitung“ (Graz), einem vor allem in der Steiermark und in Kärnten populären Kleinformat, war am 20. Jänner 2020 zu lesen, Gerhard Ruiss habe erklärt: „Die Unabhängigkeit von Juryentscheidungen ist ein zentraler Bestandteil der Freiheit der Kunst. Jede Kulturpolitik wie auch jede andere Politik war und ist daher gut beraten, Entscheidungen unabhängiger Jurys zu respektieren und sie weder vorher zu beeinflussen zu versuchen noch nachträglich zu missbilligen. Die Unabhängigkeit von Jury-Entscheidungen gehört genauso zur Freiheit der Kunst wie das von Lunacek geschätzte Widerständige der Kunst.“ Die Kritik an der Entscheidung des Nobelpreiskomitees seitens der damaligen Kunststaatssekretärin stellt also einen Angriff auf die verfassungsmäßig verbürgte Freiheit der Kunst dar. Warum gerade die „Kulturpolitik wie auch jede andere Politik“ keine Kritik an Jury-Entscheidungen üben dürfen, bleibt offen. Soll sich doch jede(r) LeserIn aus eigenem Ressentiment gegen die Politik eine Begründung zurechtlegen. Ist jetzt ein neuer Verfassungsartikel erforderlich, durch den die Unabhängigkeit von Jury-Entscheidungen als künstlerische Freiheit geschützt wird? Für den Wortlaut hätte ich einen Vorschlag: Paragraph 14 der im März 1849 oktroyierten Verfassung bezog sich zwar auf Franz Joseph I., Kaiser von Österreich. Aber sei dem, wie es sei: „Die unabhängige Jury ist geheiligt, unverletztlich und unverantwortlich.“ Oder brauchen wir jetzt endlich eine grundlegend neue Ästhetik, in der neben der Freiheit der Kunst die der unabhängigen Jury als Errungenschaft der Moderne gefeiert wird? In einem Offenen Brief (zitiert nach: „Kleine Zeitung“, 21. Jänner 2020) schloß sich Autor und Kunstsenatspräsident Josef Winkler der Kritik an Ulrike Lunacek an. Er wirft der Grünen-Politikerin „wohlfeile Kindesweglegung eines Widerborstigen“ vor. „‚In diesem Sinn schlägt sich Frau Lunacek hasenfüßig auf die Seite derer, für die der österreichische Nobelpreisträger Peter Handke eine persona non grata ist [...]“ Angesichts der Äußerungen der neuen Staatssekretärin werde nun der Eindruck untermauert, dass es keinen Unterschied mache, welche Partei für die Kulturagenden zuständig sei. ‚Allesamt verstehen sie sich nicht als beherzte Fürsprecher der Künstler und ihres Tuns, sondern als ängstlich-defensive Bauchredner dessen, was sie für mehrheitsfähig halten“ so Winkler. Hätte Winkler einem männlichen Politiker, also keinem „Hasen“, so taxfrei Hasenfüßigkeit nachgesagt? Wohlschweigend 4 ZWISCHENWELT übersehen Ruiss und Winkler Ulrike Lunaceks Motiv, in Sachen Nobelpreis für Handke skeptisch zu sein. Sie war als Abgeordnete zum Europarat u.a. Berichterstatterin für den Kosovo. Da wurde sie wohl mit Geschehnissen konfrontiert, an die die KritikerInnen Handkes erinnern wollten, die Handkes Verteidiger hingegen als „außerhalb der betroffenen Länder“ ganz und gar verdrängt abtaten. Künstlerische Freiheit. Fortsetzung. — Die Oberösterreichischen Nachrichten (Linz) veröffentlichten am 9. Juli 2020 eine Karikatur, die die aktuelle Vorsitzende der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner als „Häschen“ in Dessous aus einer Torte hüpfend zeigt. Auf Kritik von PolitikerInnen verschiedener politischer Parteien hin, die in der Karikatur „grindigen Sexismus“ erkannten, antwortete die Zeitung dann mit einer „Anmerkung der Redaktion“: Wir bekennen uns zur künstlerischen Freiheit unserer Karikaturisten. Satire und Kunst sollten in ihrer Zuspitzung grundsätzlich großen Spielraum haben. Sollten wir mit dem Abdruck der Karikatur die Gefühle von Frauen verletzt haben, so tut uns das leid. Es lag weder in unserer Absicht, noch in der unseres Karikaturisten. Die Antwort gemahnt an ähnliche Formulierungen Jörg Haiders aus seinen Glanzzeiten, in denen er sich gern bei „Betroffenen“ entschuldigte (in reflexiver Form), jedoch nie um Entschuldigung bat. Da seitens der in „ihren Gefühlen verletzten“ Frauen (sind ja so empfindlich) weder eine Maßregelung des Karikaturisten, noch eine nachträgliche Korrektur seiner Karikatur gefordert wurde, sondern bloß Kritik an ihr geübt wurde, funktioniert die Berufung auf die künstlerische Freiheit seitens der Redaktion der Zeitung als Abwehr jeglicher Kritik, ob sie nun berechtigt ist oder nicht. Die Abwehrreaktion der Zeitung ist nichts als hämisch triumphierender Sexismus und Schulterschluss mit einer geistigen Verkommenheit, vor der man sich fiirchten muss. Der griechische Widerstandskämpfer und Antifaschist Manolis Glezos, der 1941 zusammen mit Apostolos Santas die Hakenkreuzfahne von der Akropolis in Athen riss, ist im März 2020 im Alter von 97 Jahren an Herzversagen gestorben. Er war bis ins hohe Alter politisch aktiv, unter anderem war er bis Juli 2015 Abgeordneter im Europaparlament. An die Aktion gegen die Hakenkreuzfahne erinnert auch eine Notiz von Michael Guttenbrunner in seinen „Politischen Gedichten“ (Wien: Ephelant Verlag 2001). Wir trauern um Erich Billig-Bannwart (Corscaux/Schweiz), langjähriges Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft, verstorben am 20. Juni 2020. In MdZ Nr. 1/1997 veröffentlichte er Erinnerungen an seine Flucht als 14-Jähriger aus Wien über den Altrhein in die Schweiz und gedachte der entscheidenden Hilfe durch den Polizeihauptmann Paul Grüninger in St. Gallen. („Wie sich eine kleine Angestellte vom Bundesrat unterscheiden kann“). 1998-20 14 gehörte er auch dem Stiftungsrat der Paul Grüninger Stiftung an.