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Biografien ablesen, wie sie für die zusammengestellten Theaterensembles der SF typisch war. Als Tod, den er in der Folge immer wieder spielte, trat Ernst Deutsch auf. Er war 1947 aus dem amerikanischen Fxil zunächst nach Zürich gelangt und stand mit dem Auftritt in Salzburg am Beginn seiner Nachkriegslaufbahn.'? Die schroffe Rolle des Todes unterschied sich von zwei Figuren, mit denen der jüdische Schauspieler in der Nachkriegszeit vor allem verbunden wurde, den Titelrollen in Lessings Nathan der Weise und Schnitzlers ProJessor Bernhardi. Deren Darstellung als gute Menschen konnte bei Publikum und Presse als Versöhnlichkeit vereinnahmt werden, die die Verbrechen des NS-Regimes übertünchte. In den Jahren 1948 und 1949 verkörperte Maria Becker die Buhlschaft. 1936 mit ihrer Mutter, der Schauspielerin Maria Fein, aus Deutschland vor den Nationalsozialisten nach Wien geflohen, wurde sie Schülerin des Reinhardt-Seminars und zählte als solche zu jenen, die bei den SF auftreten durften, etwa in der Reinhardt-Inszenierung des Faust als Dienstmädchen beim „Osterspaziergang“. Im Schweizer Exil, in dem sie ab 1939 war, gehörte sie dem Zürcher Schauspielhaus an, 1946 wurde sie ans Burgtheater engagiert, wo sie auch unter der Regie von Ernst Lothar auftrat, verließ aber das Haus bald wieder. Nicht wenige hatten unter dem NS-Regime in Salzburg gespielt, wie Lotte Medelsky, Fred Liewehr, Hedwig Bleibtreu, Richard Eybner. Letzterer hatte bereits vor 1938 zur nationalsozialistischen Zelle am Burgtheater gehört, er galt als der von Reinhardt sanktionierte Dünne Vetter, denn er hatte die Rolle ab 1931 verkörpert, und sie gehörte ab 1948 erneut über viele Jahre ihm. 1949 trat Werner Krauß als Teufel auf, den er ebenfalls schon unter Reinhardt gespielt hatte. Hier begegnete Ernst Deutsch seinem Kollegen wieder, dem Parteigänger der Nationalsozialisten und Antisemiten Werner Krauß. Während Helene Thimig den weltlichen Anforderungen der Salzburger Theaterwelt entriickt schien, war Ernst Lothar Akteur darin. Die SF waren Traum und Organisation für ihn, der als ‘Theatre and Music Officer der Information Service Branch (ISB) 1946 nach Österreich zurückkehrte und im selben Jahr Leiter der Theater- und Musikabteilung der ISB wurde. In den Entnazifizierungsverfahren™, bei denen er mitzuwirken hatte, mussten sich auch Schauspielerinnen und Schauspieler verantworten, die bald wieder bei den SF auftraten — darunter Attila Hörbiger und Paula Wessely, für die er sich einsetzte." Schon als Kulturoffizier und dann nach dem Ende dieser Tätigkeit 1947 pragte Lothar das Programm der SF wesentlich mit. Lothar, von 1935 bis zu seiner Vertreibung 1938 Direktor des Theaters in der Josefstadt, war an der Reinhardt-Verehrung im Nachkriegsösterreich führend beteiligt. Er hatte die Rückkehr von Helene Thimig initiiert und für die große Publizität bei ihrem Eintreffen am Salzburger Hauptbahnhof gesorgt.'° Dass seine erste Inszenierung bei den SF 1948 einem Stück von Franz Grillparzer galt, war ein Signal. Die Entscheidung für Des Meeres und der Liebe Wellen war dabei nicht so wichtig, es ging primär um die Grillparzer-Aufführung.” Lothar agierte stets als Herold des Dichters, oft mit einem österreich-ideologischen Credo „ständestaatlicher“ Prägung. In Zeitungen wurde die Aufführung eines österreichischen Dramatikers bejubelt, „Endlich!“, hieß es in einer Kritik."® Schon vom Spiel her handelte es sich um ein heterogenes Ensemble: Neben Paula Wessely als Hero, deren Wiederauftreten wie eine Rückkehr gefeiert wurde, spielte Horst Caspar den Leander. Caspar war Heldendarsteller, am Berliner Schillertheater, daneben auch am Burgtheater, hatte größere Bekanntheit durch seine Darstellung des Schiller im 1940 herausgekommenen Film Friedrich Schiller — Der Triumph eines Genies erlangt und war im Durchhaltefilm Kolberg (Regie: Veit Harlan, 1945) aufgetreten. Er hatte unter dem NS-Regime nur mit Sondergenehmigung spielen dürfen, da er als „Mischling 2. Grades“ klassifiziert worden war. Darstellerischer Kontrapunkt war Karl Paryla als Naukleros, der offenkundig die Sprache ins Volkstümliche brachte.” Intellektualität im Feindesland 1949 kam Leopold Lindtberg mit Goethes Iphigenie auf Tauris als Regisseur hinzu, und somit wurden in dieser Saison, mit Helene Thimigs regielicher Verantwortung für den Jedermann und Ernst Lothars Regie bei Goethes Clavigo, alle drei Sprechtheater-Produktionen von Theaterleuten inszeniert, die im Exil gewesen waren. Anlass für die Aufführung der beiden Goethe-Stücke war dessen 200. Geburtstag; von einer „Goethe-Huldigung“” wurde gesprochen. Dass dieses Jubiläum begangen wurde, gehörte zum steten Geist des Offiziellen, der die SF kennzeichnete. Lothar hielt die Ansprache vor dem Goethe-Gedächtnis-Konzert der Wiener Philharmoniker, sprach von „Bewunderung“, „Liebe“, „Ehrerbietung“, „Freude“ und von vertrauter „Beziehung“ zum Dichter.” Lindtberg, seit Beginn seiner Exilzeit 1933 einer der wichtigsten Regisseure des Zürcher Schauspielhauses, blieb dies auch nach 1945 und kehrte, trotz seiner Regietätigkeit am Burgtheater ab 1947, niemals dauerhaft aus seinem Exilland zurück. Seinen Bühnen- und Kostümbildner Teo Otto, seit 1933 mit ihm im Schweizer Exil, musste er bei den SF erst durchsetzen. Wie in seiner Zürcher Inszenierung spielte in Salzburg Maria Becker die Iphigenie und Robert Freitag den Pylades. Den als Orest vorgeschlagenen Horst Caspar lehnte Lindtberg nach einem Vorsprechen ab und entschied sich stattdessen für Will Quadflieg. Thoas wurde von Ewald Balser gespielt, mit dem Lindtberg bereits in den 1930er-Jahren gut bekannt gewesen war. Lindtbergs Inszenierung störte das festgefügte Arcal der „Klassiker“-Pflege, zumindest wurde er in Theaterkritiken der österreichischen, insbesondere der Wiener Presse heftig angegriffen, übrigens nicht nur von politisch konservativer, sondern auch von linker Seite. Ein massiver Anti-Intellektualismus wurde gegen Lindtberg in Stellung gebracht, der durchdachten Gestaltung wurde mit Ressentiments begegnet, zu denen etwa der Vorwurf des „arroganten Intellektualismus“ gehörte.” In Verkehrung der Verhältnisse wurde Lindtberg als der Veraltete dargestellt, während ein Theater, das das Gewohnte als Tradition affırmierte, zum Zeitgemäßen erklärt wurde. Dahinter stand, dass die intellektuelle Durchdringung eines Textes, obwohl gerade bei Lindtberg vom Schauspielerischen niemals getrennt, als den heimischen Theatersitten nicht gemäß empfunden wurde. In diese Polarisierung wurde auch Ernst Lothar einbezogen, den man konträr dazu als Vertreter des österreichischen Theaters, namentlich des Burgtheaters, ansah. Ihm war das Gedankliche durchaus wichtig, er folgte jedoch mehr einem feierlichen Bildungsanspruch und stellte publizistische Vergleiche mit anderen Werken her.” Lothars Inszenierung des Clavigo — in der Will Quadflieg den Clavigo, Hans Jaray den Carlos, Karl Paryla den Beaumarchais und Käthe Gold die Marie spielte - wurde in den Kritiken gelobt und ihm dabei attestiert, dass er passend zum Goethe-Jubiläum „Ehrfurcht vor dem Genie“ und „Wissen um September 2020 11