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sein Werk“ beweise.”* Lindtberg hingegen galt als der Fremde — und es sollte für längere Zeit seine letzte Inszenierung bei den SF bleiben. Begebnisse wie diese sind mehr als das Auf und Ab in der endlosen Folge von Festspiel-Inszenierungen, man kann an ihnen die Bruchlinien des Nachkriegstheaters erkennen, und die zurückgekehrten Exilierten waren nicht vorab einer Seite zuzuordnen. Auch im Jahr 1950 führten ausschließlich aus dem Exil zurückgekehrte Theaterleute Regie bei den Schauspielproduktionen. Neben dem Jedermann, für den weiterhin Helene Thimig verantwortlich zeichnete, war Ernst Lothar mit Ferdinand Raimunds Verschwender wieder in seine Domäne der österreichischen Dramatik gewechselt, und Josef Gielen — 1948 aus dem Exil in Buenos Aires geholt, um Direktor des Burgtheaters zu werden — inszenierte in Salzburg Shakespeares Was ihr wollt. Der unter seiner Burgtheater-Direktion wieder engagierte Werner Krauß spielte den Malvolio, die Inszenierung wurde im Herbst in den Spielplan des Burgtheaters übernommen. Durch Gielen und Lothar war eine für die SF strukturell wichtige Zusammenarbeit mit dem Burgtheater manifestiert, womit sich zwei Symbole österreichischer Kultur verbanden. Im Verschwender spielten drei Personen, die im Exil in den USA gewesen waren: Erneut Hans Jaray, seit 1948 wieder am Volkstheater (1931 hatte er übrigens bei den SF den Stani im Schwierigen von Hofmannsthal unter der Regie von Reinhardt gespielt), sowie erstmals Oscar Karlweis, der nach seiner Rückkehr unter anderem am Theater in der Josefstadt auftrat, und schließlich Adrienne Gessner. Sie war ihrem Ehemann Ernst Lothar ins Exil gefolgt, hatte in den USA in dessen Ensemble „Die Österreichische Bühne“ und in englischsprachigen Produktionen gespielt, war nunmehr Mitglied des Ensembles des Theaters in der Josefstadt und gehörte ab 1955 dem Burgtheater an. Lustspiel im Kalten Krieg Inhaltliche Bruchlinien zeigen sich wiederum bei Berthold Viertel, der von seinem Schwager Josef Gielen 1949 als Regisseur ans Burgtheater geholt worden war und 1951 bei den SF Kleists Lustspiel Der zerbrochene Krug inszenierte.”° Den Dorfrichter Adam spielte Oskar (Oscar) Homolka, der vor 1938 zu den wichtigen Schauspielern der SF zählte und im amerikanischen Exil erfolgreich in Broadway- und Hollywood-Produktionen gespielt hatte. Jetzt war er für Berthold Viertel zurückgekehrt, bevor er wieder in englischen und amerikanischen Filmproduktionen mitwirken sollte. Viertel bekundete in einer Pressekonferenz zur Inszenierung, dass für ihn „die Rückkehr Oscar Homolkas auf deutsche Bühnen einen festlichen Anlass erster Ordnung“ bedeute und sprach über dessen „erste große Periode in Deutschland vor 1933“ sowie über das Exil.” Diese Deutlichkeit hob sich von den üblichen Umschreibungen ab.” Therese Gichse, seit ihrer Exilzeit Protagonistin des Zürcher Schauspielhauses und 1949 Berthold Viertels Wassa Schelesnowa im gleichnamigen Stück von Maxim Gorki am Berliner Ensemble, spielte die Marthe Rull. Elisabeth Neumann-Viertel war die Frau Brigitte, 1940 hatte sie im amerikanischen Exil Berthold Viertel kennengelernt, dessen Lebensgefährtin und spätere Ehefrau sie wurde. Für die Blätter der Salzburger Festspiele schrieb Viertel, dass die „Weltereignisse“ diesem Stück eine „aktuelle Bedeutung verliehen“ hätten.”® Das Motiv der zutage tretenden Untat und der Versuch ihrer Verschleierung war angesichts der erlebten Schrecknisse 12 ZWISCHENWELT gedanklich nicht nur in ein fernes Land der Vergangenheit zu bannen. Das verhinderte keineswegs den Beifall von durchaus konträrer Seite: Ilse Leitenberger, ehemals NSDAP-Mitglied und Mitarbeiterin im NS-Propagandaministerium, jetzt bei den Salzburger Nachrichten, äußerte sich lobend und sprach von einem „Musterbeispiel österreichischer Iheaterkultur der Gegenwart“.” Aber es gab auch publizistische Abwertungen, etwa durch Rudolf Holzer in der Presse, der zudem Therese Giehse vorwarf, dass in ihrer Darstellung „vom Herz in einer wirklich lebendigen Menschenbrust [...] keine Spur vorhanden“? sei. Als die Inszenierung im Herbst mit Homolka und Gichse ins Burgtheater (im Ronacher) übersiedelte, schrieb Holzer: „Dem Burgtheater wesensfremd, ja arrogant gegenüberstehende Elemente, denen Sinn und Geist des letzten deutschen Kunsttheaters, des letzten Widerscheines von dem, was Jahrhunderte als ‚Nationaltheater‘ hochhielten, Plunder und Reliquie ist, zerstören den Charakter des Repertoire- und Ensembletheaters.“*! Wie eine besondere Truppe wirkte das Ensemble des Zerbrochenen Krugs, und seine Mitglieder fühlten sich in Salzburg durchaus isoliert. Berthold Viertel schrieb an Salka Viertel: „Hier in Salzburg sind wir tatsächlich umzingelt; mit Homolka, der Gichse arbeiten wir, umgeben von witch hunt, Antisemitismus, Klerikalismus u. Nazitum, wie in einem belagerten Blockhaus.“?? 1951 war auch das Jahr zweier Begebenheiten im antikommunistischen Kulturkampf: die Skandalisierung der österreichischen Staatsbürgerschaft von Bertolt Brecht, die dieser 1950 mit Unterstützung von Gottfried von Einem erhalten hatte, der mit ihm auch Gespräche über dessen mögliche Einbindung in die SF geführt hatte,” und die Verhinderung der Mitwirkung des deklarierten Kommunisten Karl Paryla als Teufel im Jedermann, gestützt auf den Vorwurf, dieser habe sich in der Zeitschrift Tagebuch negativ über die SF geäußert.” Der Geist Salzburgs Blieben Leopold Lindtberg und Berthold Viertel die Außenseiter der Nachkriegs-Festspiele, war Ernst Lothar ihr Repräsentant. Komplikationen begleiteten dennoch seine Arbeit, und ins Direktorium gelangte er nie. Lothar warb für die SF und beschwor Salzburg als Inbegriff des Österreichischen. „Der Geist Salzburgs*, so der Titel eines Vortrags, den er 1949 in London hielt, erwuchs für ihn bereits aus Stadtbild und Landschaft, aber auch aus einer ewigen Präsenz der idealisierten Begründer der SF.’ Wenn er die NS-Zeit erwähnte, die bei offizidsen Anlässen meist verschwiegen wurde, suchte er dieser zugleich auszuweichen. Dabei hatte er sich etwa im Exil 1941/42 in einer Rede vor Studierenden als Verfolgten beschrieben, der „?s?eine Existenz bis zum letzten Groschen und seine Ehre bis zum Angespienwerden“ verloren hatte. In Büchern thematisierte er das gespaltene Verhältnis des zurückgekehrten Exilanten zu seinem Land, ?” auf seine jüdische Herkunft ging er nicht ein und verstand sich selbst als Katholik.?® Dies wiederum passte zu seiner Salzburger Rolle, die auf angestrengte Positivität angelegt war: „Wenn es Zukunft geben soll, wird sie die Bitterkeit nicht züchten dürfen. Aus Bitterkeit wird Gift. Es ist keinen Augenblick zu früh, es auszuscheiden.“ Konkurrenz gegenüber anderen Institutionen und Festspielen, Traditionalismus und Vorschläge zur Internationalisierung sowie die Forderung nach einem „geistigen Plan“ gehörten zu Lothars Salzburger Wirken.“ Als er antrat, um 1952 anstelle von Helene