OCR
Als die französische Regierung kapitulierte, war uns nicht erlaubt, die Kompanie nach England zu bringen, sondern es wurde uns beJohlen, sie den Franzosen wieder zu übergeben. Ich versuchte sehr nachdrücklich, die Erlaubnis zu erhalten, sie nach England zu bringen, aber ohne Erfolg. Ich sah den französischen Oberst, dem ich die Kompanie übergab und erhielt sein feierliches Versprechen, daß sie innerhalb von zwei Tagen nach der Übergabe nach dem Süden evakuiert werden sollten. Die Deutschen waren damals in einiger Entfernung von Nantes, wo wir stationiert waren. Ich hatte keine Ursache, den Franzosen sehr zu vertrauen, daher unternahm ich Schritte, um mich zu vergewissern, daß falls dieses Versprechen nicht gehalten werde, andere Mittel vorhanden wären, damit die Kompanie selbst ihre Evakuierung durchführen könne. Ich verabredete mit einigen Offizieren der RA.E®, daß sie genügend Nahrungsmittel und Benzin in einem Wald nahe dem Lager lassen würden, und sagte meinen Männern, dies zu benützen, um in den Süden zu gelangen, falls sie nicht ofhziell evakuiert würden. Ich habe allen Grund zu glauben, daß dies geschehen ist. Die Verlobte eines dieser Männer, die in London lebt, hat mir mitgeteilt, daß sie ein Telegramm aus Bordeaux erhalten habe, daß er gesund sei. Ein oder zwei anderen gelang es, nach England mit eigenen Mitteln zu gelangen, und sie sind jetzt hier, wie ich hoffe vorübergehend, interniert. Wenn Sie keine Nachricht haben, müssen Sie daran denken, daß jeder Brief, der aus Frankreich hierher gesandt wird, von Franzosen, die vielleicht nicht freundlich gesinnt sind, geprüft wird und der Schreiber die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Es besteht kein Grund zur Annahme, daß irgendein Mitglied meiner Kompanie in der freien Zone Frankreichs durch die Deutschen gefährdet sein könnte und ich bezweifle nicht, daf es Gelegenheiten gibt, nach Spanien oder möglicherweise in eine französische Besitzung in Nordafrika zu gelangen. Ich weiß, da ich mit ihnen gelebt und gearbeitet habe, daß meine Männer fähig sind, für sich zu sorgen und man ihnen vertrauen kann, daß sie nichts Uniiberlegtes tun. Wo immer sie sind, werden sie hoffen, daß Sie, ihre Angehörigen, die Schwierigkeiten, die mit einer Kommunikation mit Ihnen verbunden sind, kennen und daß sie keine Nachrichten für gute Nachrichten halten. Ich werde alles tun, was ich kann, um Informationen aus jeder verfügbaren Quelle zu erhalten, und bin in Verbindung mit einem der nach England gelangten Männer. Wenn ich irgendwelche Nachrichten habe, werde ich sie Ihnen mitteilen. Zum Schluß möchte ich sagen, daß es ein Vergnügen war, diese Kompanie zu befehligen; daß ich sie in Frankreich zurücklassen mufste, gehört zu den traurigsten Dingen, die ich jemals das Unglück hatte, tun zu müssen. Ihr aufrichtiger Unterschrift Nachdem die Engländer mit dem Ruf „Wir kommen wieder!“ abgezogen waren, bestiegen wir die bereitgestellten LKWs. Vorher hatten wir unsere gelben Anzüge abgelegt und englische Buttledress* angezogen, damit wir „nach was gleichschauen“. Eine Menge Menschen standen herum, nicht um sich von uns zu verabschieden, sondern um das Lager zu „beerben“, da das Material praktisch zur Gänze zurückgelassen wurde. Auch Leute von uns wollten da mittun. Aber was sollten sie wohin mitnehmen? Ich sehe noch, wie einer ein Kisterl schnappte, weil er wahrscheinlich dachte, es wäre weiß Gott was drinnen und das könnte man leicht mitnehmen. Er öffnete es: Es war voll mit falschen Eckzähnen. Naja. Wir zogen also los mit unseren 10, 12 LKWs, irgendwie geführt von unseren Unterschappseln® — Richtung Süden. Wir sollten uns irgendwo im Süden an der Atlantikküste einschiffen, wie und mit welchem Ziel, das blieb alles im Dunkeln. Man murmelte etwas vom Hafen von Bordeaux oder Biarritz. Jedenfalls zog sich die Fahrt, da x-mal von Gendarmeriedienststellen Durchfahrtserlaubnisse geholt werden mußten. Die Leute auf den Straßen sahen uns erstaunt nach. Eine geschlossene Autokolonne im allgemeinen Chaos erregte eben Erstaunen. Leute in englischen Uniformen, die Französisch sprachen, das sind vielleicht Kanadier, die im letzten Moment zur Verstärkung kommen, vermuteten manche und winkten uns freundlich bis begeistert zu. Uns war mehr zum Heulen als zum Lachen zumute. Wir erreichten Libourne, etwa 40km östlich von Bordeaux. Dort waren gerade Offiziere der polnischen Exilarmee®‘ dabei, Boote zu besteigen, um nach England zu fahren. Für uns war da anscheinend nichts zu holen. Wir glaubten uns schon bald am Ziel unserer Fahrt, nämlich im Hafen von Bordeaux, angelangt, da ging es aufeinmal nach dem Südosten und wir landeten in Toulouse. Dort erfuhren wir, daß die deutsche Wehrmacht bereits die ganze Westküste Frankreichs bis zur spanischen Grenze besetzt hatte. Also keine Abfahrt mehr aus Frankreich. Ab ging's weiter nach dem Süden, zu den Pyrenäen. Und dort war Endstation in einem Lager einer nordafrikanischen Arbeitskompanie. Wir erfuhren von der allgemeinen Lage: Waffenstillstand, Frankreich ist geteilt in eine Besatzungszone: Die nördliche Hälfte und die Westküste sowie die freie Zone mit Hauptstadt „Vichy“. Die Republik ist abgeschafft, samt ihren Symbolen°®. Frankreich, oder was davon geblieben ist, wird von einem Staatschef geführt, Marschall Petain‘”, dem Sieger von Verdun im Ersten Weltkrieg. Das ganze Drum und Dran erinnerte irgendwie an unsere vier Jahre Austrofaschismus. Wir befanden uns also in der „freien Zone“, was auch nur mit Anführungszeichen zu bezeichnen wäre. Das seltsame Zusammentreffen von Nordafrikanern und Mitteleuropäern. Am nächsten Tag erklärte man uns, wir wären unserer Verpflichtungen gegenüber der französischen Armee entbunden. Wir würden Entlassungspapiere bekommen und könnten hingehen, wohin wir wollten, aber auch im Lager bleiben, wenn wir wollten. Von dem Angebot machten nur wenige Gebrauch, „nein danke“ hätten die meisten heute gesagt. Sommer 40 bis Sommer 42: Débrouiller — Durchwursteln Die durch äußere Umstände zusammengeschweißte Kompanie der ‚prestataires fiel rasch auseinander. Es wurden die verschiedensten Ratschläge kolportiert, wohin zu gehen es am besten wäre. Eine große Menge machte sich auf den Weg nach Montauban”, ein nördlich von Toulouse gelegener Hauptort. Es gäbe dort angeblich einen anständigen Präfekten. Für mich und eine Reihe anderer war die Aussicht, mit einem großen Haufen von Emigranten wo aufzukreuzen, nicht sehr verlockend. Wir entschlossen uns praktisch jeder allein, uns in Richtung Marseille durchzuschlagen, wo große Demobilisierungszentren errichtet waren, wie man hörte. Vor dem großen Abschiednehmen entwickelte sich noch ein lebhafter Basar. Die Nordafrikaner stürzten sich mit großer Begeisterung auf unsere englischen Ausrüstungsgegenstände, sie kauften wirklich alles. Ich sche noch einen ganz cleveren Ex-prestataire, der seine Gasschutzsalbe?', auch sowas gab's, als Schuhpasta verkaufte. September 2020 35