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besteht laut Lexikon aus Lorbeer-, Erdbeerbaum, Pistazien und Krüppeleichen, oder wie die Franzosen sie nennen, Grüneichen. Wir bekamen Buschmesser, mit denen wir die Grüneichen zu Kleinholz hacken mußten. Das war zwar schr lustig, in den schönen Herbsttagen des Südens, sich im Dschungel herumzutreiben, aber die Leistungen waren nicht berühmt. Man hätte dazu schon mindestens Routine gebraucht. "Trotzdem ließ man uns eine Weile herumwerken und wir konnten auch ein paar Mal im nahegelegenen Warmbad Lamalou-Les-Bains baden gehen. Dann gab es wieder Szenenwechsel. Wir wurden im Straßenerhaltungsdienst eingeteilt, wo wir lange blieben. Was aber wesentlich für uns war: Wir waren nicht mehr wie eine Truppe kaserniert, wir waren jetzt richtige Zivilisten und mußten uns Unterkünfte suchen. Unsere Arbeitsbasis und daher unser Wohnort war die Bezirkshauptstadt Béziers, eine der Weinmetropolen Frankreichs. Eine schöne alte Stadt mit der größten Stierkampfarena außerhalb Spaniens. Bizet hatte ja in Beziers Carmen?” komponiert. Ich hatte mit meinem Compagnon bei der Quartiersuche wirklich Glück, wir fanden ein nettes Zimmerl bei einer Drogerieinhaberin. Sie, die vor nicht langer Zeit Witwe geworden war, und ihre unverheiratete Tochter stammten aus Bordeaux, was für mich sprachlich ein Vorteil war. Sie sprachen nämlich bewußt ein korrektes Französisch im Unterschied zur bodenständigen Bevölkerung, sodaß ich nicht ganz in den südfranzösischen Akzent hineinrutschte. Abgesehen davon, daß sie rein persönlich nette Leute waren, war es für mich politisch-gesellschaftlich interessant. Die alte Dame erzählte mir, daß ihr verstorbener Gatte der faschistischen Organisation Croix de Feu?® angehört hatte. Um das zu illustrieren, erzählte sie mir, daß er zugunsten Francos einen Stierkampf organisiert hatte, worauf franco-feindliche Katalanen (Beziers hatte eine starke katalanische Kolonie) vor seinem Haus demonstrierten. Er hätte dazu nur gemeint: Wenn die Demonstranten die „Internationale“ wenigstens auf Französisch gesungen hätten! Im Krieg wäre er aber sofort auf Seiten Francos gegen Hitler gestanden. Sie stünden auf dem gleichen Standpunkt, die beiden Damen. In ihren Laden kamen oft gleichgesinnte Leute, darunter jüdische Großbürger aus der besetzten Zone. Ich kann mich an einen Großkaufmann aus Bordeaux erinnern, an einen Hauptmann und einen Major der französischen Armee, auch ein ehemaliger Senator (Senat = Oberhaus des französischen Parlaments) war dabei, der eine zeitlang Sekretär P£tains war. Es wurde natürlich sehr viel über die Lage gesprochen und ich glaube, daß ich damals erstmals etwas über De Gaulle” gehört hatte. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden immer größer, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gerade in diesem Gebiet der Weinmonokultur, aber auch mit sonstigen Artikeln des täglichen Gebrauchs, z.B. Seife, wurde immer ärger. Ein Glück für uns, daß wir in einer Drogerie wohnten! Diese nun schon triste Lage brachte die Menschen allmählich in eine Stimmung gegen die Petain-Regierung, weil sie sich nicht gegen die wirtschaftlichen Maßnahmen der deutschen Besatzungsmacht wehrte. Man erzählte sich auch schon Geschichten aus der Besatzungszone, wo die Verhältnisse noch viel schlechter wären. Es gab böse Anekdoten von „drüben“. So sagte einer seinem Freund, der schimpfte: „Ja, du hast doch immer gesagt, die Deutschen wären so höflich.“ — „Ja“, sagte dieser, so wie der Rauber, der dir die Uhr nimmt und dir dann sagt, wenn du schön bittest, sage ich dir, wie spät es ist, weil ich ein höflicher Mensch bin.“ Die Josef Friedler als Hilfskraft unter Straßenarbeitern in B&ziers, Winter 1941 Besatzungssoldaten, so berichtete man, würden von der Bevölkerung „Kartoffelkäfer“ genannt, weil sie aufgrund des Zwangskurses 1 Mark = 20 Francs'" allesan Nahrungsmitteln und Bekleidung zusammenkauften, was in Deutschland nicht mehr vorhanden war.!"' Hie und da erfuhr man etwas aus Deutschland oder gar aus Österreich, nachdem es besonders lebenstüchtigen Leuten gelang, die Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft zu erlangen. Da fällt mir einer ein, der mir erzählte, daß er in Breslau einen Truppenaufmarsch gesehen habe, der fantastisch gewesen wäre. „Ah“, fragte ich ihn, „würden Sie auch gerne so marschieren?“ — „Ich?“, sagte er ganz entsetzt, „ich bin ja nicht verrückt!“ Als ich eines Tages in den Laden kam, sagte die alte Drogistin zu einem jüngeren Mann, auf mich zeigend: „Schen Sie, das ist ein Österreicher.“ Er kam auf mich zu und schüttelte mir die Hände, er betrachtete mich als Vertreter der Österreicher und wollte sich bei mir bedanken für die ausgezeichnete Behandlung in Österreich. Er hatte in der Zuckerfabrik in Bruck an der Leitha'” gearbeitet. Das hat mich schon wahnsinnig gefreut und so kann ich mich hundertprozentig an diese Szene erinnern. So verging die Zeit, froh waren wir, als der Winter vorbei war. Der war kein Honiglecken. Der kalte Nordwind mit der Meeresfeuchtigkeit machte einem ganz schön zu schaffen. Man fror bei 4,5 Grad plus mehr als bei uns bei minus 15 Grad. Die Wohnungen sind mehr für die Hitze als für die Kälte eingerichtet. Die Arbeit selbst brachte uns schon nicht um, wie man sich denken kann. Einmal mußten wir am Straßenrand Platanen pflanzen, ob sie auch wirklich gewachsen sind? Wieder war die herrliche Jahreszeit ins Land gezogen, ein Jahr war schon vergangen seit dem Waffenstillstand. Da traf ich an einem schönen Vormittag einen Bekannten, der mir sagte, er hätte gehört, die Deutschen wären in Rußland eingefallen. „Ach was“, sagte ich, „was alles herumerzählt wird“, und ging in meine Bude. Im Drogerieladen überfielen mich die beiden Damen. „Haben Sie schon das Neueste gehört? Die Deutschen haben Rußland angegriffen!“ Mir verschlug es momentan die Rede und ich dachte nur: „Jetzt geht's um die Wurscht.“ Da sagte die junge Frau: „Na, jetzt könnte Hitler singen ‚C’est la lutte finale‘.“ Diese Worte sind der Beginn des Refrains des französischen Originaltextes der Internationale, und heißen auf Deutsch „Das ist der Endkampf“. Ich habe es immer bewundert, wie selbst die einfachsten Franzosen ihre Sprache beherrschen und mit ihr spielen können. Aber dies war für mich ein Höhepunkt und ließ gleich meine Simmung um einige Grade steigen. September 2020 37