OCR
Sozialisten, Kommunisten und Schutzbündlern während der Schuschnigg-Zeit seine eigene Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, wurde gleich nach der Besetzung Österreichs verhaftet, wie wir später erfuhren, wurde er viehisch ermordet. Anni hatte bei sich ein Foto von ihm, das die Mörderjournalisten nach seiner Verhaftung im „Völkischen Beobachter“ brachten mit dem Untertitel „Ghettojude und marxistischer Verbrecher“. Wir ließen es als Wandbild vergrößern als Erinnerung und ständige Mahnung. Unser Doppelleben wurde nun zur Routine. Auch mit Max hatten wir ständig Kontakt, er war einer Kampfgruppe beigetreten, die man jetzt als Stadtguerilla bezeichnen würde. Sowohl unser Zusammenleben als auch unser Kontakt mit Max widersprachen den Gesetzen einer geheimen Kampforganisation. Aber man verließ sich auf die Sympathie der Bevölkerung, auch vieler Polizisten und Gendarmen. Wie viele aber bezahlten es mit ihrem Leben, daß sie dadurch leichtsinnig und schlampig wurden! Die Kontrollen und Razzien der faschistischen Miliz im deutschen Auftrage — auf die Polizei war ja kein Verlaß — wurden immer häufiger, sie machten nicht nur Jagd auf Widerstandskämpfer, sondern auf die sog. refractaires (= Drückeberger), d.h. also auf junge Menschen, die sich mit den verschiedensten Tricks der Arbeitsdienstpflicht entzogen.'” Um da unbehelligt zu sein, gab mir die Luftwaffe einen Dienstausweis mit dem Vermerk „Nichtvolksdeutscher Dienststellenangehöriger“. Es waren ja viele Franzosen im Fliegerhorst, vor allem in der Werft, beschäftigt. Das war ja meine Aufgabe, vor allem da den Dolmetscher zu spielen. Ich schwamm natürlich fürchterlich am Anfang bei den technischen Dingen, aber schließlich hatte es ja „mein Inspektor“ auch gelernt. Er war nicht einmal aus der Textilbranche (Gott sei Dank), sondern ein arbeitsloser Zuckerbäcker, der mit einer Textilarbeiterin verheiratet war. Textilkaufmann hingegen war der Leiter der Werft, der sich Ingenieur rufen ließ, ein „von“, der sich’s eben gerichtet hatte. Es hatten sich’s da viele gerichtet. Teils Parteigenossen, teils Leute aus „besseren Kreisen“, schließlich war es ein kleiner Unterschied, ob man 1943 in Lyon stationiert oder in Rußland im Einsatz war. Der Stammkader kam vom Fliegerhorst Gütersloh in Westfalen, die große Mehrzahl der Soldaten und Zivilbeamten war auch aus dem Raum Rheinland-Westfalen. Es waren auch Stabhelferinnen dabei, das waren Mädel in Zivil, die in den diversen Verwaltungen Dienst machten. Es waren aber auch viele, die aus anderen Gegenden kamen, und schließlich entdeckte ich auch Österreicher. Da viele Angelegenheiten durch „Annahme und Versand“ gingen, hatte ich mit recht vielen Leuten zu tun, und die ersten Monate aß ich auch mittags mit der Mannschaft. In der Hinsicht war daher mein Job für die Aufgaben, die mir die Organisation gestellt hatte, geradezu maßgeschneidert. Zunächst mußte ich eine für mich sehr angenehme Sache entdecken: Die Tatsache, daß ich Deutsch sprach, genügte, daß die Leute, beginnend beim Inspektor, siehe den Empfang, großes, wenn nicht grenzenloses Vertrauen zu mir hatten. Vor allem bei den einfachen Soldaten, die in der Luftwaffe alle „Flieger“ hießen, auch wenn sie mit der Fliegerei so viel zu tun hatten wie ich. Unteroffiziere und die Zivilbeamten waren schon eher reserviert. Es handelte sich bei denen sehr oft, wenn nicht meistens, um Nazifunktionäre. Wie gesagt, bei den einfachen „Landsern“ schien sich die Sache gut anzulassen. Und ich nutzte es bald aus. Wie jede Besetzungs- und Unterdrückungsmacht zu allen Zeiten versuchten die deutschen Sicherheitsbehörden, die Information ihrer eigenen Soldaten und der Be137 völkerung zu unterbinden. Aufallen Einheits-Volksempfängern 44 ZWISCHENWELT in den diversen Amtsstuben pickte ein Zettel, auf dem stand, daß es bei schwerer Strafe verboten sei, fremdsprachige, nichtdeutsche Sender abzuhören. Den Franzosen war es überhaupt verboten, Radioapparate zu kaufen, übrigens auch Druckpapier, um die Erzeugung von illegalem Propagandamaterial zu verhindern. Der Erstbeste, den ich bat, mit mir in ein Geschäft zu gehen und quasi für mich einen Apparat zu kaufen, willigte ein. Ich kaufte mir natürlich einen guten Apparat, mit dem man schr gut die „Feindsender“ empfangen konnte. Ich hörte die Russen und die Schweizer, täglich aber mühelos die französische Sendung der BBC, die als Sendung der französischen Widerstandbewegung fungierte, und die auch u.a. täglich über die Kampftätigkeit der Widerstandsgruppen in Frankreich berichtete. Wenn ich dann am Nachmittag oder nach einem Wochenende in die Dienststelle kam, wurde mir das Schizophrene der Situation bewußt. Die täglichen Nachrichten über die Niederlagen der deutschen Wehrmacht und dann in der Dienststelle, da schaute ja das Ganze so aus, als wäre alles in schönster Ordnung. Alles lief wie am Schnürchen nach der HDV (Heeresdienstvorschrift) und selbst die aufkeimenden Zweifel waren „eingeplant“. Überall hingen in den Schreibstuben kleine Täfelchen mit Inschriften wie z.B. „Nicht ärgern, nur wundern!“, „Einer spinnt immer!“, oder das bekannte Dichterwort: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“ und ähnliches mehr. Der ungeschriebene Hauptslogan aber war: „Das Denken ist Pferden überlassen, sie haben größere Köpfe!“ Es gab sogar ein halblegales Objekt zum Schimpfen, die Zahlmeister. Ich war noch nicht lange in der Dienststelle, da hörte ich einen laut schimpfen und dazu noch einen „Uffz“ (wie man die Unterofliziere nach ihrer Abkürzung rief): „Die Schweine, diese Zahlmeister, diese Kriegsverlängerer!“ — „Na servus“, dachte ich mir, „der kennt mich“, da setzte er fort: „Ja, wenn alle so wären wie der Leutnant soundso, dann hätten wir schon längst den Krieg gewonnen...“ Denn auch so ein Leutnant war eingeplant. Das waren Funktionäre der HJ, die man als Leutnants in die Truppe schickte, um die Leute durch „volksfeindliches Verhalten“ etwas aufzumöbeln. Sie aßen auch nicht in der Offiziersmesse, sondern schlangen den Saufraß mit den Soldaten hinunter. Wehe übrigens, einer meckerte über das Essen, da wurde ihm gleich bedeutet, er könnte besseres Essen haben — an der Front. Das war der Hauptgrund, der die Durchschnittsmenschen im Fliegerhorst veranlaßte, sich ruhig zu verhalten, denn so arg konnte es im Jahre 1943 in Lyon gar nicht sein, daß es nicht ein „ruhiges Platzer!“ war, verglichen mit einem Fronteinsatz. Nichtsdestotrotz hatte doch der eine oder andere das Bedürfnis, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht gleich alles auf die Goldwaage legte, und da bot sich einem ja geradezu dieser französische Dolmetscher an, der einem auch kleine Gefälligkeiten, wie z.B. Einkäufe usw. machte. Und so kam ich mit den Leuten ins Gespräch. Vortraining in dieser Hinsicht hatte ich schließlich von meiner illegalen Tätigkeit in Wien. Das Risiko war damals halt ein „bisserl“ kleiner. Es dauerte, glaube ich, nicht allzu lange, da kam ich dieser Art mit einem Wiener, einem echten Wiener, ins Gespräch. Es war der erste Mensch aus Wien, mit dem ich nach mehr als fünf Jahren sprechen konnte. Ich weiß nicht, ob man sich vorstellen kann, wie man sich dabei fühlt. Dabei hat man sich eingebildet, man wäre beinhart und überhaupt nicht sentimental. Ja, Schneck’n.'?? Dabei mußte ich besonders aufpassen, beim Sprechen nicht ins Wienerische hineinzurutschen. Das war mir vorher passiert, als ich mit dem Inspektor in eine Dienststelle in Lyon ging. Ich hatte nur ein paar Worte gesagt, als mich ein Zivilbeamter, der mich