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auch für einen solchen hielt, begrüßte: „Ah, Sie sind Wiener?“ Ich bestritt natürlich erstaunt, aber der Schreck war schon in die Glieder gefahren. Nun zu meinem Wiener. Nachdem wir eine zeitlang, wie sich’s gehört, wie die Katz‘ um den Brei geredet hatten, schoß er los- ich weiß nicht, hatte er irgendwie den Braten gerochen - er wäre aus Ottakring, hätte sich an den Kämpfen am 12. Februar beteiligt und schloß mit den Worten: „I war a Sozialdemokrat und i bleib‘ a Sozialdemokrat!“ Da beschloß ich, ihn ein bißchen zu provozieren: „Das kann denen Wurscht sein, Hauptsache, du dienst in der Werhmacht!“ — „Was ich schon dien‘, ich bin Furier'??“ (aus bestem Wienerisch übersetzt — Schani'“"). Um seine Einstellung zu unterstreichen, erzählte er: „Schaun's, da neulich bin ich mit einer französischen Katz‘'“! gegangen, da haut mir ein Bursch einen Stein nach. Hätte ich ihn niedergeschossen, hätt‘ ich vierzehn Tage Heimaturlaub bekommen. Ich hab‘ nicht geschossen. Zum Glück hat mich keiner von uns gesehen. Denn hätte mich einer gesehen und es gemeldet, so wär‘ ich in den Bau gekommen.“ Das Gespräch war für mich sehr lehrreich, und ich dachte mir: „Mit dem mußt du unbedingt irgendwie in Verbindung bleiben.“ Ich sah ihn aber nicht mehr wieder. Möglicherweise hatte er doch eine zu lange Zunge und wurde woanders hinversetzt. Ein anderer Österreicher, mit dem ich ins Gespräch kam, war ein ganz anders gelagerter Fall. Er wäre aus Wien, sagte er, was nur insoweit stimmte, als sein Ort in der südlichen Umgebung von Wien unter der nazideutschen Herrschaft zum Gau Wien gehörte. Diese Ortschaften gehörten in den zwanziger und dreiBiger Jahren zu den ärgsten Arbeitslosen- und Elendsgebieten. Im 35er Jahr ging er mit Freunden nach Deutschland, weil es dort Arbeit gäbe, überhaupt, wenn man Nazi wäre, und landete Alfred Frisch „„... Und ließ mir nichts anmerken“ Autobiographischer Text, ohne Titel Zum Autor! Alfred Frisch wurde am 8. August 1910 als Sohn des „Hof- und Gerichtsadvokaten“ Hugo Frisch!“ geboren; er wuchs in Wien und Baden auf, absolvierte mit Auszeichnung das Mariahilfer Gymnasium in der Amerlingstraße und studierte 1929-33 Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Er war Mitglied der „Roten Falken“, der sozialistischen Studentenvereinigung und nach 1934 der Revolutionären Sozialisten, hatte auch Kontakte zu Kommunisten. Schon in seiner Gymnasialzeit verfasste er Gedichte, Reportagen und historische Skizzen. Beim „Bund junger Autoren Österreichs“, Trägerverein der Kleinkunstbühne „Literatur am Naschmarkt“, fand er Kontakt zu anderen jungen Schriftstellern. Alfred Frisch war als Rechtsanwaltsanwärter in einer Anwaltskanzlei tätig. 1939 gelang ihm die Flucht nach Frankreich, von wo aus er sich vergeblich bemühte, Einreisebewilligungen für Mutter und Bruder zu organisieren. Bis Mai 1940 arbeitete er in einer Strumpffabrik in Moreuil (Region Hauts-de-France), danach arbeitete er als prestataire' bei der französischen Armee. Er wurde nach deren in der sogenannten „Österreichischen Legion“'*, die aufgestellt wurde, um bei einem militärischen Handstreich gegen Österreich als Stoßtruppe zu dienen. Er hatte es rangmäßig nur zum Gefreiten gebracht, gehörte aber aufgrund seiner Vergangenheit zum politischen Kader. Es bedurfte nicht viel Scharfsinn, um herauszukriegen, daß er sich in seiner Haut nicht wohlfühlte. Er benützte nun jede sich bietende Gelegenheit, um sich zu unterhalten und sich sozusagen auszuweinen. Ich mußte bei ihm sehr vorsichtig sein: Der Bursche konnte praktisch nur im Dialekt sprechen, und so war es fast zu erwarten, daß mich eines Tages einer fragte: „Ja, verstehen Sie denn den überhaupt?“ Ich antwortete lächelnd: „Die Hälfte versteh‘ ich, die Hälfte errat‘ ich.“ Im folgenden Gespräch hörte ich zum ersten Mal den schönen Ausdruck „Beutegermane“, mit dem verächtlich und mit einem mißtrauischen Unterton nicht nur die Österreicher, sondern auch die Sudetendeutschen bezeichnet wurden, wenn man unter sich war. Versteht sich. Es gab nämlich im Fliegerhorst auch Deutschböhmen aus dem Iglauer Raum. Sie bildeten unter anderem eine Werkstättenerzeugung. Da gab es eine Reihe, die gerne mit mir plauderten. Aber da sagte mir einmal ein Feldwebel, der sie kommandierte: „Ich weiß eh‘, daß sie meckern, aber wenn's drauf ankommt, hab‘ ich sie doch.“ Naja, war ich halt wieder ein bißl zu unvorsichtig. Das war überhaupt die große Gefahr, sozusagen im täglichen Trott die außerordentliche Situation zu vergessen... Hier endet, relativ abrupt, der Bericht von Josef Friedler. Es folgen zwei Seiten über einen Transport von Jüdinnen und Juden aus dem Lager Les Milles. Kapitulation entlassen, Hüchtete über Tours nach Lyon, wo er als Hotelportier und Hilfsarbeiter bei der Rhone-Regulierung tätig war. Zu dieser Zeit stand er in Verbindung mit der Resistance und erhielt eine gefälschte carte didentite als „Alfred Falster“, geboren in Straßburg. 1942 überquerte er illegal die Grenze in die Schweiz. In Genf wurde er interniert und arbeitete später für die „Aide Internationale pour les Intelléctuels“ und bei der Zeitschrift Lettres Suisses, er übersetzte Jura Soyfers Dachau-Lied ins Französische. Im Herbst 1945 kehrte Frisch nach Wien zurück und ließ sich als Rechtsanwalt nieder, war hauptsächlich auf den Gebieten Opferfürsorge und Restitution tätig. Er war Mitglied beim österreichischen PE.N.-Club, schrieb für die Zeitschriften Plan, Lynkeus, Log, Mit der Ziehharmonika und übersetzte aus dem Polnischen, Französischen, Italienischen und Jiddischen. 1977 erschien sein erster Gedichtband. 1967 heiratete er die Ärztin Vera Oertl. Frisch engagierte sich für verfolgte griechische Demokraten, die Rechte der Kurden, die Österreichische Liga für die Vereinten Nationen und Amnesty International. Er verstarb in der Nacht vom 27. zum 28. Oktober 1991. September 2020 45