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Selbst Dein Fühlen will sich Dir verkehren, Lieblos scheinst Du Dir, zu eig’'ner Qual: Was Dich kühl ließ, wirst Du heiß begehren, Was Du liebtest, wird Dir plötzlich schal. Noch so emsig magst Du Scheite legen, Daß des Wissens Flamme hoch sich reckt, Bald hat des Vergessens Aschenregen Sie Dir neidisch wieder zugedeckt. Jugendglanz, Du wirst ihn schwinden schen, Deine Züge wechseln, Strich um Strich, Wirst beklommen vor dem Spiegel stehen Und Dich staunend fragen: Bin das ich? Lerne drum aus schmerzlichem Erleben: Was Du hast, wird schattengleich vergeh’n. Es zu halten, ist Dir nicht gegeben. Einzig, was Du bist, das bleibt besteh’n. Meslay du Maine, im Camp Wir hocken auf dem Stroh im dunkeln Zelte, Der Regen tropft durch unser Dach. Die Schuhe sind zerweicht, wir leiden Kälte, Wir liegen halbe Nächte wach. Verdreckt, verludert, aufgeschmissen, Was ist's, das uns erhält, da alles uns verrät? Wer schlingt das Band, das jäh zerrissen? Die Solidarität! Die Solidarität! Judenlied aus Montauban?”* Du mein Schirmort Montauban, Längst geschleifte Feste?®, Gassen, klimmend hügelan, Bröckelnde Paläste, Alter Platz”, du lichter Saal, Aus entschwund’nen Tagen, Laßt mich nun viel tausendmal Lebewohl euch sagen. Silbrig bald, bald lehmig braun Wälzt der Tarn die Wogen Durch die immer grünen Au’n, Durch der Brücken Bogen. Ach, mir wird mit eins so bang! Daß wir scheiden müssen! Sankt Jakobus von dem Hang?” Grüßt mit Abschiedsgrüßen. Montauban, nicht freundlich hast Du mich aufgenommen, Sahst den Flüchtling, nicht den Gast, Sprachest nicht: Willkommen! Dennoch sei gebenedeit, War gleich karg dein Wesen: Bist doch eine lange Zeit Heimat mir gewesen. 50 ZWISCHENWELT Einmal noch den Blick zurück — Ach, zum letzten Male! Send‘ ich von der neuen Brück ?'® Nach der Kathedrale.?” Heute früh, noch aus dem Bett, Kamen sie mich holen. Ob nach Deutschland, ins K.Z.? Oder gar — nach Polen? Emigrantensizilianen?"” (Unterwegs vom Lager Les Milles ins Lager Gurs) Im Regen hock‘ ich stumm am Straßenrande — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Auf Stroh fahr‘ nächtens ich durch die welschen Lande — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Die Heimat, sie versank im Weltenbrande — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Kehraus der Völker, wilde Sarabande?'! — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! O edles Frankreich, welche Schmach und Schande! — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Hort der Gesittung an des Abgrunds Rande! — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Die liebsten Freunde schlugen sie in Bande — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Wer weiß, wo ich zu böser Letzt noch strande? — Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! In Übersee? Am Pyrenäenrande?Mein Gott, mein Gott, so hast Du mich verlassen! Doch bleib‘ ich, der ich bin, in jedem Lande — So hast du mich, mein Gott, doch nicht verlassen! (Gedicht ohne Titel) Die wir lungern, die wir lauern Tatenlos, doch tatbereit, Wissen: lang wird es nicht dauern Daß uns ruft die strenge Zeit. Brüder tragt die schwere Bürde, Uns verhängt durch Schicksals Zwang, Nehmt im Sprung die letzte Hürde, Zukunftssicher, mit Gesang: „Der Zukunft blasse Schemen, Wie Spreu von Gottes Zorn, Wir dürfen uns nicht grämen, Wir Saatkorn unverlorn.