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Jüngst noch versprengte Reiter, Heut eherne Phalanx, Sind wir die Wegbereiter Des Weltuntergangs. Irene Spiegel Marseille 1943-1947 Auszug aus: Gegen den Faschismus kämpfen. Spanien und Frankreich 1937-1947. Erinnerungen Zur Autorin?!? Die US-amerikanische Krankenschwester Mabel Irene Goldin/ Golden (Brooklyn 2.1.1910- Wien 15.1.2004) stammte aus einer jüdischen Familie, wuchs in Connecticut auf, war in den 1930er Jahren Mitglied der Gewerkschaft „United Professionals“. Als sie hörte, dass Freiwillige für den Spanischen Bürgerkrieg gesucht wurden, dachte sie: „[...] it would be nice to take care of people without having to do it for money“”'? und meldete sich, um sich dem Abraham-Lincoln-Bataillon anzuschließen. Ihr erster Einsatzort war Huete in der Provinz Cuenca, weitere Einsätze in Frontnähe in El Escorial und bei Teruel folgten. Im Interbrigaden-Hospital in Matarö lernte sie den österreichischen kommunistischen Ex-Philosophiestudenten Harry Spiegel?'‘, Polit-Kommissar im Bataillon 12. Februar der XI. Internationalen Brigade?"’, kennen; er waran der Ebro-Front verwundet worden. Im September 1938, als die internationalen Brigaden aufgelöst wurden, heirateten die beiden und flüchteten nach Frankreich. In Paris arbeitete Irene als Privatkrankenschwester und im amerikanischen Krankenhaus. Gemeinsam mit dem Ehepaar Alfred (Pädagoge) und Fritzi (Ärztin) Brauner betreuten die Spiegels im Rothschild-Schloss Chäteau de la Guette bei Paris jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland und Österreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Harry als feindlicher Ausländer interniert, Irene als chemalige Spanienfreiwillige entlassen. An Tuberkulose erkrankt, Hüchtete sie beim deutschen Einmarsch aus Paris. Im unbesetzten Süden arbeitete Harry, wieder in Freiheit, in den Wäldern um das kleine Dorf Cazaux-Debat in den Pyrenäen’', am Berg Cole d’Aspin, mit einer Gruppe anderer ehemaliger österreichischer Spanienfreiwilliger als Köhler und Holzfäller. Irene brachte am 7. Juli 1941 im nahe gelegenen Arreau den Sohn Peter/Pierre zur Welt. Ab Jänner 1943 war Harry Spiegel unter dem Decknamen Henri Verdier?!” im Rahmen des Travail anti-allemand?'®, der antideutschen Arbeit, eingesetzt und als Dolmetscher in der Bauaufsicht der Deutschen Kriegsmarine in Marseille tatig. Oskar Grossmann, der die Sektion Südfrankreich der Organisation österreichischer Kommunisten im Exil leitete, trug Irene auf, sich ihrem Mann bzw. der Resistance anzuschließen. Diese gemeinsame Arbeit war unüblich und laut dem R£sistance-Kollegen Walter Stein „gegen die Regel“. Irene arbeitete als „Quartiermeisterin“ im deutschen Marine-Spital, nach der Niederlage der Deutschen im amerikanischen Spital von Marseille. 1945 bis 1947 leitete sie das Büro des Unitarian Service Committee in Marseille, lebte danach ein Jahrlang in den USA und zog schließlich zu ihrem Mann, der schon 1945 nach Österreich zurückgekehrt war. Sie fand eine Anstellung in der Die Lebenden, die Toten, Wir Alles und wir Nichts, Wir sind die Flammenboten Des jiingsten Weltgerichts.“ unter sowjetischer Verwaltung stehenden Akkumulatoren-Fabrik EN 2 : pen Irene Spiegel als Mitarbeiterin der Unitarier-Hilfe in Marseille 1947 Zum Text Irene Spiegels Memoiren entstanden vermutlich Anfang der 1990er Jahre. Die Autorin verfasste in ihrer Muttersprache Episoden, die sie, so wird vermutet, US-amerikanischen Magazinen anbieten wollte. Die Theodor Kramer Gesellschaft lief’ das Typoskript von Robert Fallenstein übersetzen. Fiir den Frankreich-Schwerpunkt der Zeitschrift Zwischenwelt wurde die Marseille-Episode ausgewählt. Die vollständigen Erinnerungen sollen im Verlag der "Theodor Kramer Gesellschaft erscheinen. Laut Konstantin Kaiser bedeuteten für Irene Spiegel die zehn Jahre in Spanien und Frankreich, „im Servicio Sanitario der Brigadas Internacionales, im Travail Anti-Allemand, im Untergrund und auf der Flucht, in der Flüchtlingshilfe der Unitarier in Marseille, den entscheidenden Relais in ihrem Leben. War sie vorher eine linksorientierte, gewerkschaftlich organisierte Krankenschwester in New York gewesen, lebte sie danach im Bezichungs- und Spannnungsgeflecht österreichischer KommunistInnen in Wien [...]“” Das Schreiben von Erinnerungen über die Periode 1937 bis 1945 stellt, so Kaiser, „einen trotzigen Akt der Vergegenwärtigung dar, der sich gegen die Vorstellung richtet, dies alles gehöre einer längst abgeschlossenen, ,abgekapselten‘ Vergangenheit an“””’. Text Marseille 1943-1947 Am nächsten Tag fuhren Pierre und ich nach Marseille.””' Die Reise verlief ohne Zwischenfälle, wir kamen sicher an unser Ziel. Ich hatte Harry mit einem Telegramm unsere Ankunftszeit mitgeteilt, September 2020 51