OCR
2 lit. C Opferfürsorgegesetz für Leben im Verborgenen erwähnt er seine Arbeit für die Resistance nicht, gibt nur an, dass er von Unterstützungen lebte.?”! Zum Text Walter Stein hat seine Erinnerungen (27 Typoskriptseiten) ungefähr Mitte der 1970er Jahre verfasst, laut Vermutung seines Sohns wohl auf Anfrage von jemandem aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands — eventuell Herbert Steiner oder Selma Steinmetz. Aus welcher Zeit und von wem die handschriftlichen Korrekturen mit Kugelschreiber stammen, ließ sich nicht eruieren, höchstwahrscheinlich vom Verfasser selbst. Im Herbst 2018 sandte sein Sohn Paul Stein das Typoskript per Post an die Theodor Kramer Gesellschaft, eine zweite Ausgabe erging an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Text Einleitung Die folgenden Aufzeichnungen aus der Erinnerung beziehen sich nur auf meine persönlichen Erfahrungen zwischen März 1943 und August 1944. Es kann sein, daß diese Erfahrungen durch Zufälle, besondere Bedingungen am Einsatzort oder in der betreffenden Einheit der Wehrmacht kein allgemein gültiges Bild über die sogenannte „T.A.“-Arbeit („Iravail allemand‘“)?” geben. Die T.A.-Arbeit gemäß der Anleitung, die ich dafür erhielt Anfang Februar 1943 gelang es mir, aus der französischen Arbeitsgruppe für ausländische Arbeiter unter einem Vorwand und mit viel Glück auf Urlaub zu gehen und nicht mehr zurückzukommen. Dies war wegen der bevorstehenden Deportationen in die K.Z.s?” notwendig geworden; ich wurde mit einer falschen Identitätskarte?”* versehen. Man schärfte mir ein, mir eine solche Lebensbeschreibung auszudenken, daß alle Daten der I-Karte in sie eingebaut sind, daß ein langer Aufenthalt in Österreich begründet wird und damit auch das mangelhafte Französisch, das ich sprach. Keinesfalls sollte ich mich für einen Elsässer oder Schweizer ausgeben.?® In Limoges, wo ich „anlief“, hatte ich einige Tage Zeit, mir einen „plausiblen“ Lebenslauf auszudenken und wurde dann nach Lyon geschickt, wo damals die Leitung unserer Arbeit in der „unbesetzten“ Zone lag, die allerdings seit November 1942 auch von der Wehrmacht besetzt war?"; das erforderte eine politische Arbeit innerhalb der dort stationierten Einheiten der Wehrmacht. Nach rund einer Woche wurde ich für die T.A.-Arbeit bestimmt und „Anette“ (Gerti Schindel)?” instruierte mich: Der „Einbau“ sollte in eine Einheit der Wehrmacht erfolgen, bei der man nicht sehr vorsichtig mit den französischen Mitarbeitern ist; also sollte ich mich nicht z.B. der Feldpost anbieten, mich auch nicht als Dolmetsch offerieren, weil die meist genauer überprüft werden.*°* Ich entschied mich, als Buchhalter aufzutreten; andere boten sich als Chauffeure, Lagerarbeiter usw. an. Ich sollte, wenn es mir gelungen sein würde, unterzukommen, besonders anfangs Heißig arbeiten und mich unentbehrlich machen. Die Aufgaben Ich sollte nicht in der Einheit, wo ich angestellt war, politisch arbeiten, Diskussionen beginnen. Der „Einbau“ sollte mir die Rückendeckung geben, um anderwärts mit Wehrmachtsangehörigen Kontakt zu suchen („auf den Strich gehen“, wie wir das nannten). Ich sollte besonders vorsichtig sein mit den Franzosen, die dort schon arbeiteten; ihnen gegenüber war es wichtig zu begründen, warum ich nicht gut französisch sprach. Unter ihnen gäbe es sicher Gestapoagenten?”, französische Faschisten. In den Diskussionen sollte man einige Themen keinesfalls anschneiden, weil dies zu gefährlich wäre: Vor allem die Judenfrage, dann die Sowjetunion und auch die Kommunisten. Das fernere Ziel war, die Soldaten mit Flugblättern und dem „Soldat am Mittelmeer“?!° (in der besetzten Zone „Soldat im Westen“?!!) zu versorgen und sie womöglich dazu zu bringen, dieses Material vorsichtig zu verbreiten. Im Frühjahr 1944 kam dazu die Zeitschrift für Österreicher in der Wehrmacht, das „Freie Österreich“ ?"?, Man sollte bei der Anknüpfung von Gesprächen schr vorsichtig sein und erst nach besserem Kennenlernen „heiße“ Themen anschneiden. Man müßte sich auf Menschenkenntnis und genaue Beobachtung der Reaktionen des Partners stützen... Nach rund drei Wochen Instruktion wurde ich Anfang März 1943 nach Marseille geschickt; dort wurde ich von Anette und dem bereits „eingebauten“ Henri Verdier (Harry Spiegel)?'? erwartet und in ein kleines Hotel geschickt, um ein Zimmer zu mieten. Es war das ein Polizeihotel, wo bei Großrazzien die auswärtigen französischen Polizeioffiziere abstiegen.?'* Die „Höhle des Löwen“ erwies sich als durchaus geeignet, weil offenbar von der Polizei angenommen wurde, daß jemand, der etwas „Polizeiwidriges“ vorhatte, nicht gerade im Polizeihotel absteigen würde. Der „Einbau“ In Marseille war es schr schwierig, bei einer Einheit der Wehrmacht Arbeit zu bekommen: Es gab seit kurzem eine strenge Weisung, daß kein Franzose vom Torposten der Einheiten eingelassen werden durfte.?'° Arbeit in der Wehrmacht durfte nur das „Bureau de Placement“, die Arbeitsvermittlungsstelle der Wehrmacht, vermitteln. Das war recht gefährlich, denn diese Stelle vermittelte auch (und in erster Linie) Franzosen zur Arbeit nach Deutschland. Da wußte Henri einen Weg: Er (der in der Marinebauleitung „eingebaut“ war) kannte einen Mitarbeiter dieser Stelle, den er für „anständig“ hielt. Er beschrieb ihn mir, ich wandte mich an ihn, bot mich als Buchhalter an und er schickte mich zur H.U.V. 43 (Heeres-Unterkunfts-Verwaltung) zu einem Dr. Haertl?'* mit einem Zettel. Er fragte mich vorher, ob ich eine I-Karte hätte, ich zog sie hervor, aber er sah sie nicht weiter an: Man werde mich dort (in der H.U.V.) schon überprüfen. Als ich mich in der H.U.V. bei Oberzahlmeister?'’ Dr. Haertl vorstellte und einige Tage später vom Chef aufgenommen wurde, verzichtete man auf die Überprüfung der I-Karte, da ich ja schon im „Bureau de Placement“ überprüft worden sein müsse. (Mich fragte man gar nicht!) Ich schildere das ausführlicher, weil ja diese I-Karte angeblich in Limoges ausgestellt worden war, und hätte man die Marseiller Polizei veranlaßt, in Limoges rückzufragen, ich sofort hochgegangen ware. Meine Arbeit in der Wehrmacht von fast 1 % Jahren war September 2020 61