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darauf aufgebaut, daß dies zufällig nicht geschehen ist. Allerdings habe ich Grund anzunehmen, daß die französische Polizei mitunter auch die Augen zudrückte: So mußte ich später meine I-Karte Nacht für Nacht im Hotel in der Portierloge deponieren, wo dann die Karte durch Polizeistreifen überprüft wurde; und nichts ist geschehen! Aber das zur Kennzeichnung der Tollkühnheit dieser Methoden, die offenbar so unwahrscheinlich waren, daß vielleicht die Polizei dachte, daß wir Agenten der Deutschen waren, und sich nicht die Finger verbrennen wollte, wenn man nicht annehmen will, daß die Marseiller Polizei mit der Resistance zusammenarbeitete. In der Wehrmachtseinheit Ich hatte in der H.U.V. zunächst die Kartei über die Ausgabe von Geräten und Materialien zu führen; ich saß neben dem Schalter, an dem im Laufe der Zeit tausende Soldaten, Unterofhiziere und manchmal auch Offiziere erschienen und wo die Anweisungen an das Lager ausgestellt wurden; alle sahen mich als Zivilisten neugierig an: viele Österreicher, Wiener waren darunter: Zufällig kannte oder erkannte mich niemand. Die „Außenarbeit“ Zunächst also versuchte ich, mit Wehrmachtsangehörigen außerhalb der H.U.V. in Kontakt zu kommen. Das war in Marseille außerordentlich schwierig, besonders für mich, der ich nicht sehr geschickt im Umgang mit fremden Menschen bin. Ich setzte mich in Parks in der Nähe von Unterkünften, ging auf Aussichtspunkte, in Cafés: Ohne viel Erfolg; es kam nur ein-, zweimal zu einer Fortsetzung des Gesprächs und dann brach es ab: Die Partner waren mißtrauisch und jede Diskussion über die politische oder militärische Lage führte dazu, daß sie mich mieden. Insoferne war mein Einsatz ein vollkommener Mißerfolg. Dem kontaktfreudigen und geschickten Henri ging es auch nicht anders. Wenn wir nicht auf politische Arbeit verzichten wollten, so mußte sie innerhalb der Einheit erfolgen, in die man „eingebaut“ war. Die Probleme innerhalb der Wehrmachtseinheit In der Wehrmachtseinheit ergaben sich sofort einige schwierige Fragen. Zunächst interessierte man sich dafür, woher ich Deutsch konnte. „Man“, d.h. sowohl die Deutschen, im Hintergrund „Abwehr“?!® und Gestapo. Aber auch (und viel unangenehmer) die französischen Mitarbeiter, die besonders am mangelhaften Französisch Anstoß nahmen. Meine „Geschichte“ mußte ich immer wieder vorbringen; da durfte ich mich nicht „verhaspeln“. Ich hatte mir ausgedacht, daß ich 1909, als 8-jähriger mit meinen Eltern nach Wien gekommen sei, wo mein Vater eine französische Hochmodefirma?” vertrat. Ich ließ meinen Vater 1914, vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, sterben, einen polnischen Grafen für meine Mutter und mich eintreten, damit wir nicht interniert wurden. 1920 ließ ich meine Mutter sterben; ich wurde Textilvertreter?° (da ich tatsächlich ursprünglich Textiltechniker war), legte mir eine Wohnadresse in Untermiete zurecht, in einem Haus, das ich kannte. 1937 besuchte ich die Pariser Weltausstellung, fand, daß es in Frankreich 62 _ ZWISCHENWELT leichter zu leben wäre, als im damaligen Österreich. Im zweiten Weltkrieg wurde ich nach Limoges verschlagen. Jetzt hängte ich die weitere Geschichte an ein (kleines) Mikroskop, das ich aus Österreich mitgenommen hatte. Ich wäre also Buchhalter bei einem Optiker in Limoges gewesen (das Geschäft hatte ich mir schon dort ausgesucht), der mich aber, weil wenig zu tun war, entließ, und mir ein Mikroskop als Abfertigung gegeben hätte. Nun wollte ich das Mikroskop verkaufen, kam so nach Marseille, wo ich es zwar nicht anbrachte (ich hatte es tatsächlich bei mir), aber wo ich auf die Idee gekommen wäre, meine Deutsch-Kenntnisse zu verwerten... Das Interesse der Deutschen konzentrierte sich auf meinen langen Aufenthalt (28 Jahre) in Wien. Was gab es an Überprüfungen seitens der Wehrmacht? Ein Zahlmeister””' z.B., der in einem Lazarett „auf einem Hügel“ in Wien??? gelegen war, wollte wissen, welche Iram dorthin fuhr. — „Der Vierziger.“?”.- „Ach ja, die Vierzig“, war zufrieden und machte wahrscheinlich Meldung, daß ich tatsächlich in Wien gewesen war. Darauf konzentrierten sich die meisten Fragen, die mir öfters gestellt wurden, offenbar auf Veranlassung von Gestapo und „Abwehr“. Einige Male fragte man mich, warum die Marseiller Polizei mich nicht kenne. Ich sagte, ich sei nicht von hier, sei nur zufällig in Marseille (vielleicht erzählte ich da die Geschichte vom Mikroskop, ich weiß das nicht mehr), als „passager“‘, tatsächlich bezog ich meine Lebensmittelkarten von einer eigenen Kartenstelle, die es für diese „passagers“ gab (fast 1 Y% Jahre). Dort waren Tausende solcher Typen registriert, die sich meist illegalisiert hatten, um nicht nach Deutschland zu müssen. Nur einmal verlangte man in der Dienststelle die Vorlage meiner I-Karte, zur Anmeldung bei der Krankenversicherung! Aus all dem ergibt sich, an was für einem dünnen Faden die ganze Geschichte hing; aber, wenn man Glück hatte, ging sowas in Frankreich. Viel gefährlicher war meine Lage gegenüber den Franzosen, die bei den Deutschen arbeiteten. Darunter gab es auch Gestapoagenten, z.B. einer, Personalreferent über die dort beschäftigen französischen Lagerarbeiter, ehemaliger Fremdenlegionär (er hatte in Deutschland etwas ausgefressen), beschäftigte er sich so nebenbei damit, der Gestapo Lieferanten zu denunzieren, um dann deren Rechnungen, wahrscheinlich gemeinsam mit Gestapoleuten und Zahlmeistern, zu kassieren. Während er auf Urlaub war, durchsuchte ich seinen (offenen) Schreibtisch, fand einen Notizkalender, aus dem hervorging, daß er einen jüdischen Möbelhändler der Gestapo angezeigt hatte, welche ihn verhaftete und wahrscheinlich umbrachte. Ich meldete das meinem Verbindungsmann; der Fremdenlegionär soll nach der Befreiung verhaftet worden sein. Andererseits war da ein Elsässer, Albert Würtz, als Dolmetsch beschäftigt; französischer Berufsunterofhizier, hatte er sich bei der H.U.V. in der „Höhle des Löwen“ mit einem falschen Geburtsort in der I-Karte untergestellt, weil er (fälschlich) befürchtete, bei der Wehrmacht einrücken zu müssen. Er vermutete wahrscheinlich bald, daß mit mir „etwas nicht stimmt“, und unterstützte mich den andern gegenüber, die die mangelhafte französische Aussprache bemerkten, indem er es als selbstverständlich hinstellte, nach 28 Jahren Aufenthalt in Österreich eher Österreicher zu sein als Franzose, und wettete, daß ich nach dem Krieg nach Österreich zurückkehren werde. Das entschärfte die Situation. Ein besonderer Fall war der franzésische Lagermeister*”, Nicolas. Gleich in den ersten Tagen fiel mir auf, daß er „Czernowitzer“ Deutsch sprach: „Drei Dobbelbetten unbrauchbar.“ Ich stellte seinen Familiennamen fest: LEIBOVICI (rum. sprich Leibowitsch).