OCR
Das fiel 1 % Jahre niemandem außer mir auf! Ich war mit ihm bis nach dem Abzug der Wehrmacht zusammen. Er erzählte mir, daß er sich als rumänischer Jude in der „Höhle des Löwen“ untergestellt hatte. Er war als kleines Kind aus Rumänien nach Frankreich gekommen und hatte keine Ahnung, daß er einen jüdischen Namen hatte. Er verhielt sich natürlich falsch: Grüßte z.B. mit erhobener Hand und ähnliches, wovor ich gewarnt worden war, weil die „Abwehr“ auf solche Leute besonders aufmerksam war. Aber bei der H.U.V. 43 scheint die „Abwehr“ nicht gut funktioniert zu haben. Die Arbeit innerhalb der Wehrmachtseinheit Ich hatte jede Woche einen Treff mit einem deutschen Genossen, er nannte sich Roger, meinem Verbindungsmann.??° Mit Henri traf ich mich fast täglich, was nicht den Regeln der Konspiration entsprach; aber Roger wußte davon. Später wohnte ich sogar bei Henri. Er war mit Frau und Kind nach Marseille gekommen; das war auch gegen die Regel. Jedoch half ihm das offenbar über Verdächtigungen hinweg, denn selbst die mißtrauischsten Gestapo- und Abwehrleute wollten wohl nicht glauben, daß ein „Agent“ mit Kind und Kegel an die Arbeit geht... Allmählich bekam ich Kontakt mit den Soldaten in der H.U.V,, aber auch mit Unterofhzieren und Offizieren. Neben mir saß am Schalter der Ausgabe z.B. mehr als ein Jahr der Obergefreite Joachim König aus Neuruppin in Brandenburg; mit der Zeit faßte er zu mir Vertrauen: Er las mir z.B. sehr kritische Briefe seiner Mutter aus Berlin vor und fragte mich nach meiner Meinung dazu. Ich lobte den Mut seiner Mutter, die sich trotz Zensur das zu schreiben traue; und sie würde ihm doch nicht sowas schreiben, wenn sie nicht überzeugt wäre, daß das die Wahrheit sei. Trotzdem kam ich bei ihm nicht recht weiter; er war zu sehr mit einer jungen Französin beschäftigt, die in der Dienststelle arbeitete. Der Offizier, zu dem ich, wie schon erwähnt, vom „Bureau de Placement“ geschickt worden war, war Oberzahlmeister Dr. Haertl: er war vor dem Krieg in Wien Gerichtspraktikant (jetzt Sektionschef im Unterrichtsministerium?””, wahrscheinlich schon pensioniert). Er war ein großer fescher Mann; ich fragte ihn später, wieso er zu dieser Verwaltungseinheit gekommen ist. Er sei ein „erstes Opfer dieses Krieges“. Er war Beisitzer bei einem Prozess gegen einen Juden, der mit einer „Arierin“ verheiratet gewesen war; man wollte ihm die Kinder wegnehmen. Als das Urteil verkündet worden war, schoß er auf den Gerichtshof und traf Dr. Haertl in die Schulter.” Haertl zeigte deutlich seine Verachtung gegen die deutsche Militärmaschinerie. Er spielte einen Graf-Bobby-Typ*” (was ihm nicht schwer fiel), kam einmal am Tag in die Dienststelle, fragte: „Gibt's was zu unterschreiben?“, unterschrieb, die Handschuhe anbehaltend, Rechnungen, die ich ihm vorlegte, und ging. Die preußischen „Kommisknöpfe“ haßten ihn und setzten es offenbar durch, daß er zu seiner Truppe, Panzergrenadieren in der Rennweger Kaserne, zurückversetzt wurde; das hatte zur Folge, daß er seinen Zahlmeisterrang verlor und wieder Obergefreiter wurde. Bei der Verabschiedung tröstete er mich: „Machen Sie sich um mich keine Sorgen; ich werd mit’s schon richten.“ Eine ganze Reihe von Soldaten hielt sich, wie ich bald bemerkte, auf der Schwejk-Linie.*' Da war Helmut Patrunky aus Forst in der Lausitz, ein Buchhalter, der oft eine Menge Bier trank und seinen „Zustand“ danach benützte, um seine politischen Ansichten von sich zu geben: Wir Deutschen seien doch dumme Schweine, wir führen noch immer Krieg, wo doch andere Völker längst Schluß gemacht hätten, indem sie sich einfach besiegen ließen; und er zählte sie an den Fingern auf. Als Italien abfiel, tänzelte er, zu spät kommend, eine Bierflasche schwenkend, in die Dienststelle und sang: „Der Mussolini, der Mussolini ...“. „Was ist denn, du besoffenes Schwein, mit dem Mussolini?“, reagierte einer. „... ist auch nicht mehr! Ich habe gerade Radio gehört; Italien ist das siebente Land, das keinen Krieg mehr führt.“ Ich sprach oft mit ihm; er hatte ein Steckenpferd: Die Alliierten müßten schneller vorrücken in Italien, im Westen landen; die Deutschen selbst können oder wollen nichts dazutun... Ich wagte es nicht, ihm Material zuzustecken; erst als er im Frühjahr 1944 in die Nähe von Berlin versetzt wurde und mir erklärte, er habe dort einen „Freundeskreis von Gleichgesinnten“, gab ich ihm in einem geschlossenen Kuvert einige Flugblätter und Nummern des „Soldat am Mittelmeer“ mit dem „Befehl“, es erst dort zu öffnen. Später schrieb er einem Soldaten, er möge mir sagen, er hätte die Grüße ausgerichtet... Da gab es einen Wiener, ich glaube, er war Schuster von Beruf, mit dem ich nie ins Gespräch kam, der bei Diskussionen aufmerksam zuhörte, aber nichts sagte. Er spielte den „Blöden“, der sich für „das alles“ nicht interessiert. Aber eines Tages kam er herein, grüßte den Zahlmeister rechts mit erhobener Hand, mich aber, der ich links saß, mit erhobener Faust.” Mir war das gar nicht recht und ich ließ ihm durch einen anderen sagen, er solle das sein lassen. Von da an zwinkerte er mir nur zu. Aber Kontakten wich er aus. Später schoß er sich mit der Dienstpistole in den Schenkel, aber so geschickt, daß es den Anschein hatte, er hätte bloß einen anderen daran hindern wollen, die Pistole näher anzusehen. Er kam vors Kriegsgericht und wurde freigesprochen!** Eines Tages kam ein Kärntner, er hieß Orasch, zum „Haufen“. Ich sah ihn zum erstenmal beim Friseur der Dienststelle und fragte ihn, wie es ihm hier gefalle. „Net schlecht, aber die Sprach‘, die Sprach‘!“ Ich bot ihm Französisch-Unterricht an. „Aber net franzesisch, mit dem Franzosen red i mit Händ und Füß; aber de Preißen!“ — Auch er benützte den Alkohol als Schutzmittel. Er trank sich zum Beispiel mit Aperitiv voll und torkelte dann durch die Räume, schreiend: „I bin ka Deitscher, i bin a Slowener!“. Auch ihm passierte nichts ... Im Lauf der Zeit ergaben sich oft politische Diskussionen. Hauptthema: Wie wird der Krieg ausgehen? Ich hörte meist zu, stellte Fragen. Ich konnte natürlich nicht allzu offen sprechen und auch nicht unser Material verteilen. Ich hatte mir etwas anderes ausgedacht. Ich kaufte mir „Das Reich“, das Goebbels-Organ, gab meinem Diskussionspartner einzelne Artikel zu lesen und wir diskutierten dann darüber. Der erste Erfolg: Emil Rutschke Es gab einen Obergefreiten, er war Bauer in einer Gegend an der deutschen Vorkriegsgrenze zu Polen. Er war ein „stilles Wasser“, hörte immer aufmerksam zu, wenn ich mit anderen diskutierte, und ich hatte das Gefühl, daß er mich beobachtete. Eines Tages war ich allein im Büro, da kam er herein: „Herr Fargot, darf ich Sie etwas fragen?“ — „Natürlich, bitte.“ Da ging er noch einmal zur Tür, schaute hinaus, ob niemand in Hörweite war, und sagte: „Glauben Sie, daß Hitler den Krieg gewinnen wird?“ Diese Frage war mir schon öfter gestellt worden und ich antwortete auch jetzt, so wie ich es gewöhnlich tat, ich sei kein Militarist, kein September 2020 63