OCR
Fachmann, aber was glaubt er? — „Ich glaube, der Krieg ist verloren, aber warum führen Marschälle und Generäle ihn weiter, die ja wissen müßten, daß er aussichtslos ist?“ So begann es ... Ich überlegte, wie ich ihm irgendwie unsere Flugblätter und Zeitschriften zukommen lassen könnte. Da kam mir ein Zufall zu Hilfe: Mein Verbindungsmann bat mich, etwas zu tun, damit ein junger Genosse bei meiner Dienststelle „eingebaut“ werden könnte. Nun war die Lage so, daß man jemanden brauchte, der die Namen der auszugebenden Gegenstände den französischen Arbeitern übersetzte. Ich dachte mir was aus: Ich saß damals mit dem ehemaligen Fremdenlegionär (ich glaube, er hieß Hermann), der für die Aufnahme von französischem Personal zuständig war, in einem Raum. Der Genosse sollte hereinkommen und auf Französisch fragen, ob man für ihn Arbeit habe. Er kam, wandte sich an Hermann, den ich meinem Verbindungsmann Roger beschrieben hatte, der ablehnte; als er schon im Weggehen war, fragte ich ihn, ob er vielleicht Deutsch spreche, was er bejahte; daraufhin wurde er von Hermann zurückgerufen und aufgenommen. Die Ausgabe der Gegenstände hatte Emil Rutschke über, er saß in einem Glaskiosk im großen Lagerraum und zu ihm setzte man unseren Genossen Lucien.’ Nach einigen Tagen sah ich, daß die beiden im Kiosk - sangen, und dabei offenbar schr gut aufgelegt waren. Ich traf mich mit Lucien immer mittags in einem Cafe und er erzählte mir lachend, daß Emil und er die Internationale, „Brüder, zur Sonne“? und andere Kampflieder gesungen haben! (Man hörte übrigens draußen nicht das Geringste.) Lucien war ungefähr gleich alt wie Emil und so hatte er schr schnell guten Kontakt mit ihm und erfahren, daß Emil als Jugendlicher Lehrling in Breslau und Mitglied der kommunistischen Jugend gewesen war! (Durch den Tod eines älteren Bruders hatte er dann das landwirtschaftliche Anwesen übernommen, oder war es anders, ich weiß es nicht mehr). Lucien war nun sehr viel mit Emil zusammen. Teils im Soldatenheim, teils in einem kleinen Cafe. Emil mußte, um mit Material versorgt und angeleitet zu werden, mit jemandem außerhalb in Kontakt kommen. Das machte Lucien so: Er tat so, als ob er lieber ins Soldatenheim ginge, während Emil natürlich lieber ins Cafe ging. Eines Tages saß auf Luciens Veranlassung in dem Cafe ein anderer Genosse. Lucien wollte wieder einmal lieber ins Soldatenheim, Emil aber ins Cafe. Dort begrüßte der Genosse Lucien als alten Bekannten. Sie sprachen Französisch, dann: „Du kannst ja Deutsch?“ — Emil wurde vorgestellt und so war Emil mit dem „dritten Mann“ in Verbindung gekommen. Bald traf Emil den „Dritten“ allein, bekam Material und begann zu arbeiten. Einige Tage nach der „Übergabe“ kam Emil lächelnd zu mir und sagte: „Das habt ihr schlau ausgedacht.“ Er erzählte mir nichts von dem Dritten. Ich stellte mich natürlich blöd; von da an berichtete er mir immer über seine Tätigkeit... Emil legte im Soldatenheim Flugblätter unter die Servietten, auf der Fahrt in den Urlaub unter das Klopapier. Er sprach, sehr vorsichtig, mit anderen Soldaten. Er berichtete mir, wenn er vom Urlaub zurückkam, von der Lage in seiner Heimat: Er hatte eine Polin zur Frau, der Ort lag schr nahe an der damaligen polnischen Grenze. Er war fast überzeugt, daß diese Gegend zu Polen kommen werde. Vom Dortbleiben hielt er nichts. (Ich: „Als Antifaschist...?“) „Deutsche werden dort nicht bleiben können.“ Er bemühte sich daher, sich in Thüringen anzukaufen. Einmal berichtete mir Emil, daß er von seinem Verbindungsmann mit einem höheren Offizier („in Zivil“) zusammengebracht worden war („mindestens ein Major“), der ihm mitteilte, daß er 64 ZWISCHENWELT vom „Freien Deutschland“? sei und eine Art Inspektion durchführe. Diesmal hatte Emil kein Mißtrauen; der Offizier war, wenn er gespielt war, jedenfalls schr gut gespielt. Später, im Juli 1944, wurde eine Gruppe von Soldaten nach Millau?? (in den Cevennen?“) abkommandiert, wo eine H.U.V. von Partisanen überfallen und aufgerieben worden war, und sie sollten sie ersetzen. Natürlich hatten sie Angst vor diesem Himmelfahrtskommando. Emil war darunter, und er wandte sich an mich um Rat, was sie tun sollten. Ich wußte nichts Besseres, als ihnen zu empfehlen, ein Leintuch mitzunehmen, und wenn unterwegs ihr LKW angegriffen würde, das Leintuch zu „hissen“. Sie kamen nach einigen Tagen heil und mit Leintuch zurück; die Kommandatur in Béziers*! hatte sie nicht weiterfahren lassen: „Das wird nicht erlaubt, seid ihr verrückt? Das ist ja Selbstmord.“ — So oder ähnlich schilderte es mir Emil. Bald darauf wurden er und eine Reihe anderer Soldaten nach hinten versetzt. Die Stabshelferinnen?* Eines Tages, ich war schon „warm“ geworden in der Dienststelle, kamen vier Stabshelferinnen (in Zivil) an, darunter drei Österreicherinnen. Ich wurde ihnen vom Stabsfeldwebel?* vorgestellt: „Das ist Herr ‚Fahrgott‘, er hat längere Zeit in der Ostmark gelebt.“ — „Gehn’s, wo waren’ denn in Österreich?“ — „In Wien.“ — „Net wahr, a scheene Stadt.“ Mit zwei Österreicherinnen hatte ich dann Kontakt, oder richtiger, die beiden suchten den Kontakt mit „dem Franzosen, mit dem man offen reden kann“. Die Tirolerin Theres Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, wie der erste Kontakt zustande kam; aber ich glaube, es war nach einer „Szene“, die uns Theres vorspielte: In der Zeitung stand die Nachricht, daß sich Hitler zu einem Treffen mit Franco an die spanische Grenze begebe. Da gab's eine Diskussion, welche Route Hitler wohl nehmen werde. Es standen und saßen ein halbes Dutzend Landser herum, ‘Theres war auch dabei und ich. Die wahrscheinlichste Route war bald klar; da sagte Theres, die an der Wand lehnte, laut: „Wenn i nur a Méglachkeit wifst, den Englandern zu funken, die taten ihm schon a paar Bomben am Schädel schmeißen, dem...“ Da war ein Schimpfwort, das habe ich vergessen. Die Anwesenden waren sprachlos; ich glaube, nachher hat es mein erstes ausführliches Gespräch mit ihr gegeben. Wahrscheinlich begleitete ich sie nach Hause; sie wohnte mit Fräulein Böhm, einer anderen Stabshelferin, in einer beschlagnahmten Wohnung am Cours Thierry’*, Sie erzählte von sich: Sie war Verkäuferin in einem Sportgeschäft in Kitzbühel gewesen, wo viele Engländer den Urlaub verbringen, und ging Mitte der 30er Jahre als Hausgehilfin nach England. Kurz vor Ausbruch des Krieges, 1939, wurde sie „zurückgeschickt“, wie sie sich ausdrückte. Sie haßte die Nazi und vor allem Hitler; sie wollte Österreich wiedererrichtet sehen, vor allem müßte Tirol frei werden. Aber sie wünschte, daß dies durch die westlichen Alliierten geschehe und ja nicht durch die Russen. Und Österreich müßte womöglich eine Monarchie werden. Ich vermied es, mit ihr darüber zu diskutieren, versuchte ihr klar zu machen, daß alle Hitler-Gegner zusammenhalten müßten.