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Karabiner, ein französisches Garde-Mobile-Mousqueton?”", zog er hinter einem Kasten hervor: „Das ist deine Waffe.“ Ich wandte ein, daß ich diese Waffe nicht kenne: „Das lernst gleich“, und ich mußte üben: Laden, zielen usw. Ich machte Einwendungen: Man könnte doch cher die französischen Familien rechtzeitig verständigen. Ja, schon, aber wenn das nicht gelingt? Was aber nachher tun, wenn es uns schon gelänge, „die andern in Schach zu halten“? — „Verstecken, zu den Partisanen gehen...“ Offensichtlich war es schließlich Ludwig, der die Aussichtslosigkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung einsah. Und so kamen zunächst andere Fragen in den Vordergrund: Ihm wie mir fehlte die Information: Ich besaß nur ein Päckchen mit veraltetem Material. Da machte mich Ludwig aufmerksam, daß sich in dem Zimmer, welches der Zahlmeister bewohnte, ein eingebauter Radioapparat befand und er war sofort bereit, das Radio von mir ausbauen zu lassen. Wir hörten ohne Schwierigkeiten London: Zuerst kam die Sendung in Französisch; durch den Schatten auf dem Kiesweg im Garten merkten wir, daß die Franzosen nebenan allean der Wand horchten. Wir stellten den Apparat an die Wand und so hörten sie London gut. Dann kam die deutschsprachige Sendung. Und dann diskutierten Ludwig und ich über die Lage. So ging es jeden Abend. Urlaub in Marseille Diese politische Idylle beruhigte mich nicht. Was konnte gegen die beabsichtigte Sprengung des Lagers wirklich getan werden? Und wenn die Deutschen abgezogen waren, wie sollte ich mich dann verhalten? Ich mußte nach Marseille, um mich mit den Genossen zu beraten. Am 11. August hatte ich eine tolle Idee: Ich wandte mich an den Zahlmeister und sagte ihm, daß ich ganz gern auf ein paar Tage nach Marseille fahren möchte, ich hätte dort was zu erledigen. Ob er nicht nach Marseille fahren wolle, es würde doch wahrscheinlich bald keine Möglichkeit mehr bestehen. Ich erinnere mich, daß ich sehr überrascht war, als er sofort begeistert zustimmte: „Da haben Sie eine gute Idee gehabt!“ — Und gleich ließ er den Gefreiten den Wagen fertig machen. Nach einer Stunde waren wir schon unterwegs. In Marseille war, als wir auf der Canebiére ankamen, gerade Fliegeralarm. Der Zahlmeister ließ mich aussteigen, empfahl mir, mich für die Rückfahrt an die Bauabteilung zu wenden, die noch in Marseille war. Sie sollte in einigen Tagen über St. Remy nach Avignon zurückverlegt werden. Ich fuhr nach der Entwarnung zu Henri und er konnte für den nächsten Tag Roger, unseren Verbindungsmann, mobilisieren. Was die beabsichtigte Sprengung des Lagers betraf, überließ er es mir, so zu handeln, wie die Umstände erfordern würden. Nur nicht unnötig mich und andere in Gefahr bringen! Das Wichtigste aber sei, mich mit der örtlichen Resistance”' in Verbindung zu setzen. Aber wie sollte ich das tun? — Einfach irgendwen fragen! Wenn es nicht anders geht, jemanden auf der Straße. So sei eben jetzt die Lage; niemand würde mich den Deutschen denunzieren. Bei der Bauabteilung erfuhr ich, daß sie am 15. abfahren würden; ich möge mich Nachmittag einfinden. In der Nacht von 14. auf den 15. wurde Marseille bombardiert; nicht so schlimm wie das erste Mal, Ende Mai. Draußen bei Henri, in Le Redon?”?, war es nur ein schaurig-schönes Schauspiel. Am nächsten Tag ging ich, wie vereinbart, nachmittags zur Bauabteilung: Die hatten einen kleinen LKW zur Verfügung, 68 _ZWISCHENWELT den sie bei einem Fuhrwerksunternehmer requiriert hatten. Der Fuhrwerker lenkte den Wagen; zur Vorsicht hatte er seitlich sein Fahrrad angehängt, für die Heimkehr. Wir fuhren nach Nordwesten; französische Rot-Kreuz-Autos kamen uns entgegen, voll mit jungen Leuten. Sie riefen uns höhnisch zu: A Berlin, 4 Berlin!“... Am Abend kamen wir nach Salon*”’, wo in den Bunkern der Deutschen FLAK übernachtet wurde. Dort erst erfuhr ich von der Landung der Alliierten bei St. Tropez.””* Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung St. Remy. Sehr häufig tauchten britische Tiefllieger auf, der Fahrer stellte dann den LKW in den Schatten der Platanen und wir sprangen ab und verschwanden in den Ein-Mann-Löchern’”® neben der Straße. Bald ging es wieder weiter. Gegen Mittag kamen wir nach St. Remy, ich stieg ab und marschierte zur Mas Mistral. Die H.U.V. 43 zieht ab Dort war die Lage völlig verändert: Eine Kompanie Festungspioniere war einquartiert worden, rund 50 Mann. Sie hatten einen großen Lastwagen mitgebracht, den sie in einer Grotte im Park abgestellt hatten. Ich erfuhr später von Ludwig, daß dieser mit mehreren Tonnen Sprengstoff beladen war. Ludwigs Ideen waren damit hinfällig und er sagte mir das auch; ich aber hatte auch keine Vorstellung, wie man da noch etwas unternehmen könnte. Die Verbindung mit der Rösistance aufzunehmen, war in der Tat einfach: Ich traf im Park einen Bewohner der Mas, sprach ihn an: Ich sei von der Resistance und müßte die Verbindung mit der örtlichen Resistance aufnehmen. — Er wisse leider nicht, an wen ich mich wenden könnte, aber ich möge den Gemeindesckretär fragen, vielleicht könne der mir helfen. Den Gemeindesckretär kannte ich schon. Ich hatte mit ihm zu tun, weil ich jede Woche bei ihm die Lohngelder für die Lagerarbeiter abholte. Er war mir schon aufgefallen, weil neben seinem Schreibtisch an der Wand eine Karte von Frankreich hing, auf der mit blau-weiß-roten Fähnchen der Frontverlauf abgesteckt war. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich mich ihm direkt vorstellte oder ob ich Nicolas einschaltete. Jedenfalls wußte Nicolas ebenso wie der Gemeindesekretär von der Absicht der Deutschen, das Lager in die Luft zu sprengen. Dann aber ging alles sehr rasch. Zwischen dem 16. und dem 19. August merkte ich eigentlich nichts von der Absicht, aufzubrechen. Erstam Samstag den 19. nachmittags war es klar, daß der Aufbruch bevorstand. Ich glaube, Ludwig hatte mich verständigt. Als nun Nicolas um 17 Uhr den Lagerschlüssel brachte und ich ihn wie immer in eine bestimmte Schublade legte, hatte ich bald darauf die Idee, den Schlüssel zu verstecken. Als ich allein war, nahm ich den Schlüssel aus der Lade und schob ihn unter die Papiere auf meinem Schreibtisch. Kaum eine halbe Stunde später erschienen mein Zahlmeister und der Hauptmann der Pioniere und verlangten den Schlüssel. Ich zog die Lade auf, tastete hinein, führte ein ganzes Iheater auf: „Wo hat Nicolas den Schlüssel hingegeben?“ Machte Schubladen auf und zu... „Er muß ihn bei sich haben, denn ich erinnere mich gar nicht, daß er da war, und ich war doch nicht weg!“ Der Zahlmeister schickte mich in den Ort, ich sollte Nicolas suchen... Ich ging die zwanzig Minuten nach St. Remy, setzte mich eine Viertelstunde in ein Cafe (von dem ich wußte, daß dort Nicolas nicht verkehrte), ging dann wieder zwanzig Minuten zurück... Die beiden Offiziere standen bei meinem Schreibtisch, waren hochrot im Gesicht, schwankten; sie hatten jeder eine schon fast