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des Films steht, ist kein Zufall: Die damals neunjährige Natalie Wood spielte tatsächlich eine ähnliche Schoßszene im berühmten Film Miracle on 34th Street! Kein Close-Up fiir die Figur Polanski Ein weiterer unaufgeklarter Justizfall schwebt tiber die gesamte Filmlänge von zweieinhalb Stunden. Im Jahr 1977 soll Roman Polanski die damals 13-jahrige Samantha Geimer am Pool von Jack Nicholsons Anwesen vergewaltigt haben (auch hier gilt die Unschuldsvermutung). Wahrend der Pool als Schauplatz in Once Upon a Time in Hollywood eine nicht unwesentliche Rolle einnimmt, prangt vor der Villa der Filmfigur Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ein riesiges Filmplakat, auf dem der Darsteller Jack Nicholson im Großformat zu schen ist. Es sind versteckte Hinweise wie diese, die Tarantinos Filme einmal mehr so sehenswert machen. Dennoch, klare Stellungnahmen sind Tarantinos Sache nicht. Es bleibt ein Spiel der Innuendos und Implikationen. Antworten bleibt der Regisseur ganz Hollywood-like schuldig. Wenn derart viele Saiten angezupft werden, wünscht man sich als Zuseher nur noch, es möge doch endlich ein klarer Ton erklingen. Die stille Hauptfigur, der dieses Filmspektakel gewidmet ist, ist Sharon Tate, die im Sommer 1969 von der Manson-Bande an jenem Cielo Drive ermordet wurde. Sharon Tate war Roman Polanskis Ehefrau und hier schließt sich wieder der Kreis an gewollt verdeckten Hinweisen. Es bleiben Wagners und Polanskis unaufgeklärte Vergehen auf jeder Bildminute kleben für denjenigen, der gewillt ist, Tarantinos Spuren zu folgen. Seit mehr als vierzig Jahren ist Roman Polanski auf der Flucht vor der amerikanischen Justiz. Margot Robbie mimt eine dümmlich wirkende Sharon Tate, eine Regieanweisung. Tarantino montiert ein zum Erbrechen naiv herumhüpfendes Starlet am Wendepunkt ihrer beginnenden Karriere. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Darstellung der wahren Sharon Tate nicht gerecht wird. Neben der omnistrahlenden, unbeschwerten Margot Robbie alias Sharon Tate wird die Figur Roman Polanski ganz bewusst nie ausgeleuchtet, sein Gesicht ist bis auf eine einzige Szene nie zu sehen, die Kamera fängt Polanskis filmisches Konterfei stets nur von hinten oder seitlich, von einem undefinierten Haarwulst umwölkt ein. Es ist als Statement des Regisseurs zu werten: Einerseits die obskure Vergewaltigungsgeschichte, die Polanskis Leben seit Jahrzehnten überschattet, andererseits das Einläuten der neuen Ära im Hollywood, jetzt so wie Ende der 60er Jahre. Exemplarisch wird dieser Umbruch an dem noch jungen, überaus talentierten Neoregisseur aus Polen aufgezeigt. Es war einmal in Hollywood Männerbünde, rauchend, saufend, Faunen gleich — das alte und das neue Hollywood am Wendepunkt im Jahre 1969. Der billige Western hat im Film wie im Fernsehen in den USA ausgedient, die Altmeister der Schauspielriege diirfen noch einmal zum Schaulaufen antreten, wie jüngst die Supermodels der Neunziger Jahre auf der Chanel Modeschau zu Ehren von Karl Lagerfeld. Rick Daltons Charakter basiert auf den Biografien der in Europa unbekannten Stars der 50er und beginnenden 60er Jahre wie Ty Hardin, Pete Duel und Edd Byrnes, um nur einige zu nennen. Aber gerade diese nicht enden wollenden Rückblicke, die Filmausschnitte des Film im Film-Film machen Tarantinos neues Kinoereignis an diesen Stellen öde. Man kann die bis zum Ermüden reflexiv eingesetzten Reminiszenzen der glorreichen alten Zeiten sowohl als ehrfürchtige Hommage, als auch als mitleidiges Abwinken deuten: Die Altmeister, die ausgedient haben sind dazu verdammt, sich selbst zu beweinen, weil die jüngere Generation sich unaufhaltsam der Gegenwart und Zukunft zuwendet. Tarantinos Leitmotiv „Alt versus Neu“ mit den einhergehenden Umstrukturierungen macht diesen Reigen an Andeutungen dennoch zum Kinovergnügen. Wo Tarantino draufsteht, ist eben auch Tarantino drin. So wird Cliffs Pitbull detailverliebt mit Dosenfutter der Marke Wolf’s Tooth gefüttert, die reißenden Wolfszähne symbolisieren die Nazis, die in weiteren Film im Film-Ausschnitten mehrfach über die Großleinwand flitzen. Wie in Inglourious Bastards darf auch im jüngsten Tarantino-Film der Nazi-Basterd mit einem Flammenwerfer abgefackelt werden (abermals wird der rote, schwere Theatervorhang zur Seite gezogen). Recht so! GIRLS GIRLS GIRLS Hollywood wird von den Frauen erobert, seit die #MeToo-Debatte folgewirksam misogynistische Mechanismen in die Schranken weist. Man denke etwa an Reese Whiterspoons erfolgreiche Produktionsfirma Hello Sunshine oder an die populäre Serie Big Little Lies, die mit einer Triple A-Schauspielerinnenriege aufwarten kann. Jener Girls-Reigen kann sich schen lassen und erfährt in Once Upon a Time in Hollywood eine Fortsetzung als best ofin Form der weiblich dominierten Hippie-Clique. Girls, Girls, Girls? Nein, Frauenpower! Tarantinos Skepsis wie Ehrfurcht vor dieser Entwicklung ist im Film spürbar. Nur auf den ersten Blick werden die betörenden Mädchen als heißeste Versuchung seit der biblischen Eva (großartig lasziv interpretiert von Margot Qualley, Tochter von Andie McDowell) in der ambivalenten Verkörperung des verruchten und dennoch umwerfend natürlich wirkenden Hippie Girls mit einer Prise Wilderness ins Spiel geführt. Pussycat nennt Tarantino schlicht und provokant sein Lockvögelchen Nummer Eins. Die Hippie Girls auf Spahns Film Ranch treten immer bedrohlicher als Rudel auf, ihr Leitwolf, nein, ihre Leitwölfin, wird verkörpert von keiner geringeren als Lena Dunham, Serienmacherin und Hauptdarstellerin der Serie GIRLS (sic!). Zudem darf die gesamte Töchterschaft Hollywoods jene Hippie Girls darstellen, die als Protagonistinnen im Film kaum volljährig, später in der realen Filmwelt möglicherweise die Regeln bestimmen werden zu Ungunsten einer ewig gestrigen Mannerschaft, zu der dann der Regisseur selbst zählen wird. Für diese polarisierenden Anspielungen zwischen den Zeilen muss man Quentin Tarantino einfach applaudieren! Wohin wird das alles führen, fragt er sich, lässt aber dennoch die aktuelle Tendenz zur geballten Frauenpower auf die Leinwand bannen. Ein schr kluger Schachzug. Once Upon a Time in Hollywood ist Tarantinos erster Film ohne den Filmmagnaten Harvey Weinstein als Geldgeber, der wohl am folgenschwersten über die #MeToo-Bewegung stolperte. Ein weiteres Innuendo sei hier erwähnt in Bezug auf Tarantinos implizierten Begriff GIRL. Polanskis vermeintliches Vergewaltigungsopfer Samantha Geimer hatte 2013 ein Buch veröffentlicht über ihre Lebensgeschichte seit jenem Vorfall in Jack Nicholsons Haus. Titel des Buches: 7he Girl (sic!). September 2020 79