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1924 in Wien, von Ernst Tollers „Hoppla — wir leben“, mit dem die Piscator-Bühne im September 1927 das Berliner Theater am Nollendorfplatz eröffnete. 1933 verließ er luchtartig Berlin und kehrte nach Wien zurück, wo er für die linksliberalen Zeitungen „Der Wiener Tag“und „Die Stunde“ weltbewegende Ereignisse verarbeitete, von der Machtergreifung der Nazis zur „Nichteinmischung in Spanien“, zum Prozess gegen die der Mörder von Engelbert Dollfuß bis hin zu den Massenmorden der Japaner in China. GOLTZ war ein kritischer, antinazistisch orientierter Beobachter der tagespolitischen Ereignisse und zeichnete bis 1934 auch für die von Maximilian Schreier herausgegebene, radikal antifaschistische Satirezeitschrift „Götz von Berlichingen“. Aus der Anfangszeit seines US-amerikanischen Exils — er war 1939 über Zürich nach New York gelangt — kann man etliche antinazistische Karikaturen aus der New Yorker Zeitschrift „Ihe American Mercury“ bestaunen. In den USA sollte der Künstler unter dem Namen Eric Peters auch für so bekannte Magazine wie „Collier’s“ oder „Ihe Saturday Evening Post“ arbeiten. Ebenfalls gezeigt werden einige Seiten der Comic-Serie „Abbott and Costello“, welche in Zusammenarbeit mit seiner dritten Ehefrau Lily Renee zwischen 1948 und 1953 entstand. „Abbott and Costello“ war ein US-amerikanisches Komikerduo, welches nicht nur in 40 eigenen Filmen und in unzähligen großen Shows und schließlich in eigenen Fernschshows auftrat, sondern dank seiner Popularität sogar in einer eigenen Zeichentrickserie und in einem Comic-Strip weiteragierte. Lily Renee Wilhelm, später Phillips, kam wie Erich Gold aus Wien, von wo sie 1939 miteinem Kindertransport flüchten konnte. Beide lernten sich gegen Ende des Krieges in New York kennen, wo sich die Künstlerin schon ab 1942, also mit 17 Jahren, als Zeichnerin in der Comicbook-Industrie etabliert hatte. In dem 2014 erschienenen Buch „Heroes ofthe Comics“, in dem der Cartoonist Drew Friedman den für ihn bedeutendsten 80 Zeichnern der USA ein Denkmal setzen wollte, heißt es in einer ausführlichen Wprdigung von Lily Renee: [she] was the first woman to work as a full-time comic book artist during the Golden Age of comics. Dieses goldene Zeitalter dauerte von 1938 bis 1956. Nach dieser Zeit verloren, mangels Interesse, die meisten ZeichnerInnen ihren Job. Lily Renées Rolle als Pionierin war auch einer der Gründe, weshalb in der US-amerikanischen Comicforschung schon lange vor 2019 von ihr die Rede war und in diesem Zusammenhang auch von ihrem Kollaborateur und Ehemann Eric Peters. Neben Bil Spira zählte sie zu jenen KünstlerInnen, die 2019 im Jüdischen Museum Wien als „Die drei mit dem Stift“ vorgestellt wurden. Erich Gold, Bil Spira, beide gehören zu einer lebendigen Szene von KünstlerInnen im Wien vor 1938, die als PressezeichnerInnen lebten, Nazi-Gegner und oftjüdischer Herkunft waren. Gerade sie sind in Österreich vergessen, auch wenn manche von ihnen vereinzelt in ihren Exilländern berühmt wurden. Wer kennt in Österreich den Zeichner Wilhelm Timym, der seine Arbeiten mit „Tim“ signierte? Seine Zeichnungen erschienen in den 1930er-Jahren fast täglich in „Der Abend“, ob als Illustration von Fortsetzungsromanen oder politischer Ereignisse. Wilhelm Timym wurde nach 1938 im Exil in Großbritannien ein bekannter Cartoonist, Porträtmaler und Bildhauer und schuf für die BBC in den 1960er-Jahren die populäre Comicserie „Bleep and Booster“. „Tim“ löste 1929 in „Der Abend“ den Zeichner „Bi-“, Otto Bittner, ab, der bis dahin ebenfalls fast täglich das Geschehen in Wien und in der Welt mit seinen Zeichnungen festgehalten hatte. 1929 zog Bittner nach Berlin, wo er für „Der Eulenspiegel“ arbeitete. Dank dieser Mitarbeit bei der bekannten Satirezeitschrift wurde Otto Bittner nach 1945 immer wieder erwähnt. So fiel mir auf, dass sich Bittner auch als Buchillustrator betätigte und z.B. 1927 für den Bericht seines Kollegen von „Der Abend“ Bruno Frei über den Aufstand der Matrosen in Cattaro die Umschlagzeichnung schuf. Es ist zu hoffen, dass sich auch für diese bissigen Bleistifte so gekonnte Biograflnnen finden wie für Erich Gold. Dieser starb 1979 in seiner Heimatstadt Wien, in die er 1965 zurückgekehrt war. Er starb, wie man bei Hans Haider nachlesen kann, „unerkannt, unbekannt“. Alexander Emanuely Hans Haider: Der Bissige Bleistift. Erich Gold — Goltz — Peters Karikaturen in Berlin, Wien, New York. Berlin: Christian A. Bachmann 2019. 224 S. mit zahlreichen, teils farbigen Abbildungen. Euro 25,Verstreutes Ein junger Zeithistoriker, der an der Universität Wien studiert hat, macht darauf aufmerksam, dass noch immer mehr als zwei Fünftel der österreichischen SchülerInnen meinen, Österreich sei 1938 ein Opfer Hitlerdeutschlands geworden. Der Zeitgeschichtler meint, man müsse dagegen etwas tun. Was will er also? Dass alle Schüler glauben, alle Österreicher seien damals für den „Anschluss“ und in ihrer großen Mehrzahl ohnehin Nazis gewesen? Und dass auch diese Minderheit, die immer noch der Opferthese anhängt, sich endlich auch zur Mitschuld Österreichs und der Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekennt? Was aber soll dieses hier im Namen einer zweifelhaften Aufklärung eingeforderte Bekenntnis kollektiver Mitschuld bewirken, wo es doch um Verantwortung für das Geschehene, also um ein Heraus aus der Passivität und nicht um eine österliche Bußübung gehen sollte? Könnte da nicht der Stachel, nicht einvernehmlich sei die Vergewaltigung des Landes durch den übermächtigen Nachbarn gewesen (so laut auch immer „Ja“ dazu gebrüllt wurde), die Spur zu einem Nachdenken über den Widerstand, der ja pro-österreichisch orientiert war, legen statt zu einem Absacken in achselzuckende Gleichgültigkeit und in trübe Distanzierung vom kaum zur Kenntnis genommenen ‚einst einmal‘ Geschehenen? September 2020 83