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Zwischen Privileg und Almosen Die österreichische IG Autoren und Autorinnen fordert das „Bedingungslose Grundeinkommen“ für alle (so Geschäftsführer Gerhard Ruiss im Standard, 1.7.2020), aber zuerst einmal und zwar „sofort“ für die KünstlerInnen und Künstler, deren Situation eine prekäre ist. (Prekär ist auch die Lage vieler anderer Menschen in Österreich, z.B. die alleinerziehender Mütter...) Somit stellt sich schon einmal die Grundfrage des Kreises der Bezugsberechtigten, die Frauen in der Sahelzone oder im Lager Al Hol sind wohl mit „alle“ nicht gemeint. „Alle oder keiner“ wäre meines Erachtens ein gutes Prinzip, in gewisser Weise mit der Bolsa Familia für Familien, deren Pro-Kopf-Einkommen unter einer bestimmten Grenze liegt, in Brasilien 2004 verwirklicht. Wenn aber nicht Bedürftigkeit über die Zuerkennung entscheidet, verbleibt als Kriterium bloß die Zugehörigkeit zu einem Berufsstand oder zu einem Staat oder einer Nation, sei es durch Absolvierung einer Schreibwerkstatt oder durch Staatsbürgerschaft, eine Zugehörigkeit jedenfalls, die andere ausschließt und durch die also ein Privileg erworben wird. Welche neuen Freuden chauvinistischer Abgrenzung daraus erwachsen, läßt sich erahnen. Ökonomen waren schon länger besorgt über eine Entwicklung zu immer größerer Verteilungsungerechtigkeit, die den wirtschaftlichen Zyklus gefährdet. Während sich bei den Einen immer gewaltigere Vermögenswerte ansammeln, die auf Kosten der Anderen zu mehren und zu erhalten sind, werden die Einkommen der Anderen u.a. durch ihnen auferlegte tributäre Mieten und Pachten und indirekte Steuern derart geschmälert, daß sie mangels Kaufkraft Ihren Pflichten als Konsumenten nicht mehr nachkommen können. Dazu kommt die andere Sorge, daß fortschreitende Rationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung zur Freisetzung sehr vieler Arbeitskräfte und zur Verelendung ganzer Landstriche führen könnten und bereits geführt haben. Die herrschende Klasse könnte sich dann nicht mehr dadurch legitimieren, daß sie das Ganze der Gesellschaft nach ihren Interessen organisiert, was ja bisher — trotz phantasievoller Benennungen verschiedener ‚neuer‘ Beschäftigungsformen — durch Lohnarbeit wohlfeil bewerkstelligt werden konnte. Es werde also auf absehbare Zeit eine große Arbeitslosigkeit geben; viele Menschen würden buchstäblich vor dem Nichts stehen. Abhilfe böte als eine Art Helikoptergeld das Bedingungslose Grundeinkommen. Die Mehrausgaben für das Grundeinkommen müsste der Staat, indem er als ideeller Gesamtkapitalist entweder seinen Anteil am gesamten Profit durch Steuern auf Einkommen, Vermögen und Erbschaft erhöht, oder durch Schmälerung anderer Sozialausgaben hereinbringen, am wahrscheinlichsten jedoch durch Einsparungen bei Ausgleichszulagen, Zuschüssen zu Pensionskassen, Familienbeihilfen und der Mindestsicherung. Die Verfechter des Bedingungslosen Grundeinkommens machen aber geltend, daß ihr Modell enorme Einsparungen im Bereich der sozialen Verwaltung, der „Bürokratie“, mit sich bringt. Also Rationalisierung des Sozialwesens inklusive „Freisetzung“ unnötig gewordener MitarbeiterInnen. Damit beginnt der Kreislauf der Angst gleich wieder von vorn, den zu durchbrechen das bedingungslose Grundeinkommen angetreten scheint. Letztlich läuft es auf eine Marginalisierung der ohnehin schon geschwächten Arbeiterbewegung hinaus: Sie verlöre die Institutionen, auf die sie sich stützt. Besonders tiefe Denker setzen daher gleich schon auf die vernünftig vorausschauende Philanthropie der Herrschenden, sich selbst freiwillig ein Almosen abzuzwacken. Wie immer: Das bedingungslose Grundeinkommen erweist sich bei näherem Hinsehen als ein willkommenes Almosen, das letzlich auf Kosten der Bediirftigen gegeben wird. Ungeheuer viel wichtiger und ernsthaft zu verteidigen und aufrechtzuerhalten sind Rechte und Forderungen, die in jahrhundertelangen Kampfen aufgestellt und teilweise durchgesetzt wurden, so die Forderung, daf jeder Mensch die Méglichkeit habe, sich zu bilden, einen Beruf zu erlernen, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen und im Alter nicht mittellos dazustehen, in der kalten Jahreszeit nicht frieren und nicht hungern zu miisssen, Zugang zur Kommunikation und zur gemeinsamen Betatigung mit anderen Menschen, ein Dach über dem Kopf zu haben und auch Dinge besitzen und sammeln zu diirfen, die ihm eine Freude sind oder fiir seine Interessen zu gebrauchen sind. Auch mége er wegen seiner sexuellen Orientierung nicht in erzwungener Keuschheit leben miissen — hier aber stößt seine Freiheit möglicherweise auf die Freiheit der anderen, hat ihre Grenzen. Sie kann nicht als ein bedingungsloses „Lusteinkommen“ ausgelebt werden. Es geht also um Partizipation, Teilhabe und zugleich Mitverantwortung an den sozialen, wissenschaftlichen, kulturellen, zivilisatorischen Errungenschaften, eine Teilhabe, die durch ein Grundeinkommen in welcher Höhe auch immer nicht ersetzt werden kann. In der Tat aber führt dieses Konzept zu schweren Konflikten bei der Abgrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten und entwertet tendenziell die Arbeit, die für Lohn geleistet wird. Die Idee einer simplen Umverteilung von Geldmitteln als soziales Patentrezept ignoriert zudem die schon vorhandenen sozialen Errungenschaften und übersicht den Beitrag, den die Sozialversicherten im Umlagesystem selbst dazu nach ihren Möglichkeiten leisten. Abgelenkt wird von der drohenden Spaltung des Gesundheits- und des Schulwesens durch private Krankenversicherungen und Privatschulen bis hin zum Betrieb von Flüchtlingslagern und Gefängnissen als einem lohnenden Geschäft. Ein Anspruch auf bedingungsloses Grundeinkommen würde u.a. den familiären Druck auf Frauen, die Familie nicht durch eine neue Beschäftigung (nach Karenz) ‚in Stich zu lassen‘ erhöhen und hat insgesamt eine entsozialisierende und die Menschen vereinsamende Tendenz. Kurz gesagt: Ich finde die Kampagne für ein bedingungsloses Grundeinkommen verantwortungslos und nicht im Interesse von KünstlerInnen und Künstlern, deren Aufgabe es auch sonst nicht ist, sich für die Herrschenden den Kopf zu zerbrechen. Einzutreten wäre vielmehr für eine Reform der Mindestsicherung im Sinne der Ermöglichung eines Zuverdienstes und für die Erhaltung des Achtstundentages. (Kleine Schritte. Keine großen Gesten.) Konstantin Kaiser Oktober 2020 3