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es, den Schwerpunkt während der Ausbildung zu wechseln wie Alma Siedhoff, die zuerst in der Weberei und später in der Holzbildhauerei war. Bevor die Weberin und Designerin Gunta Stölzl, die den Unterricht in der Textilabteilung schon lange geleitet hatte, offiziell Werkmeisterin wurde, war sie an der Wende des Bauhauses zur industriellen Fertigung beteiligt. Ausgebildet an der Miinchner Kunstgewerbeschule wurde sie eine „großartige Lehrerin“, erfuhr jedoch lange Zeit nicht die gebührende Anerkennung. „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“, diffamierte Oskar Schlemmer die Textilkünstlerinnen. Eine von Gunta Stölzls besten Schülerinnen, Anni Albers, hatte die Abwertung der Webtätigkeit so verinnerlicht, dass sie die Weberei lange Zeit selbst für „zu weibisch“ gehalten hatte, bevor sie sich für eine Ausbildung dort entschied. Beeinflusst von ihren Lehrern Kandinsky und Klee fertigte sie später eindrucksvolle Wandbehänge, doch sie blieb lange Zeit im Hintergrund, obwohl sie über ihre Werke hinaus noch mehr erreicht hatte: Ihr war es gelungen, Handwerk, industrielle Textilproduktion und abstrakte Kunst zusammenzuführen. Die herkömmliche Wohnform bezeichnete sie als eine „verbrauchte Maschinerie, die die Frau zum Sklaven des Hauses macht“. Ihre Theoriebeiträge wurden hoch geschätzt: z.B. ihr Beitrag zur Entwicklung des Tastsinns und seiner Bedeutung beim Weben, den Moholy-Nagy in einen seiner Theoriebande aufnahm. „Viele Frauen fühlten sich [...] abgeschoben“, so die Direktorin des Bauhausarchivs Annemarie Jaeggi in einem Interview. Den Grund dafür sicht sie in der Auswirkung der geschlechtsspezifischen Sozialisation, der Männer wie Frauen gleichermaßen unterworfen waren. Als mehr für Männer geeignet galt die Arbeit in der Metallwerkstatt, der Töpferei sowie der Druckerei. Weibliche Begabungen änderten daran wenig. Zwar wurde Marianne Brandt von MoholyNagy als „beste und genialste Schülerin“ bezeichnet, doch lange Zeit musste sie „vorwiegend langweilig-mühsame Arbeit“ verrichten und erhielt keine Leitungsposition. Der Bauhaus-Gründer Walter Gropius, der sich ursprünglich für die Gleichberechügung in der Ausbildung einsetzte, sprach sich aufgrund des Druckes von außen gegen die Ausbildung von Architektinnen aus: „Es ist nach unserer Erfahrung nicht ratsam, dass Frauen in schweren handwerklichen Bereichen, wie Möbelbau [...] arbeiten. Zu diesem Zweck wurde eine Frauenklasse am Bauhaus ins Leben gerufen, die hauptsächlich mit Textilien arbeiten; die Buchbinderei und die Töpferei akzeptieren auch Frauen. Wir sind grundsätzlich gegen die Ausbildung von Frauen als Architekten.“ Nur wenige Studentinnen mit diesem Schwerpunkt konnten ihre Berufswünsche durchsetzen wie Lilly Reich, die später Dozentin an der Hochschule für bildende Künste wurde oder Lotte Beese, die sich in Amsterdam als gefragte Architektin etablieren konnte. Zahlreiche Frauen, die am Bauhaus studierten und arbeiteten, erfuhren ab 1933 Diffamierung und Verfolgung. Sie gehörten zu denen, die aufgrund ihrer Kreativität und Expressivitat als „entartet“ galten, jüdischer Herkunft und/oder politisch oppositionell waren. Sie sahen sich gezwungen, ins Exil zu gehen und viele von ihnen gerieten in Vergessenheit. Schon seit etlichen Jahren wird in der Exilforschung daran gearbeitet, die vergessenen Kunstschaffenden wiederzuentdecken, aber der Fokus lag auch da lange Zeit auf den männlichen Exilierten. Was die Forschung über Frauen im Bauhaus anbelangt, hatte vor 2011 nur Claudia Schoppmann 1999 in dem Buch „Im Fluchtgepäck die Sprache“ die Bauhausschülerin Hilde Rubinstein porträtiert. Erst die Tagung im Oktober 2011 der Arbeitsgemeinschaft Frauen im Exil widmete sich dieser Lücke in der Bauhaus-Rezeption und erinnerte an die Lebensgeschichten der Bauhaus-Frauen, das Werk der Künstlerinnen als auch ihren Beitrag zur Entwicklung des Bauhauses. Nunmehr können in dem Sammelband „Entfernt — Frauen des Bauhauses während der NS-Zeit“ die Ergebnisse dieser Tagung nachgelesen werden. Jenseits der Exilforschung boten Bücher wie „Gespiegeltes Ich“, „Architektinnen“ und „Designerinnen“ Einblicke in die Kreativität und das Schicksal der Bauhaus-Frauen: darin werden Re Soupault, Marianne Brandt, Lucia Moholy, Ellen Auerbach, Grete Stern sowie Margarete Jahny, die bedeutendste Designerin der DDR, porträtiert. Während sich die Neuerscheinungen zum 90jährigen Bauhausjubiläum thematisch eher kommerziellen Aspekten des Bauhauses verschrieben, standen 2019 neben „Umbruch“ und „Amerika“ endlich die Frauen im Vordergrund. So stellt die Architekturprofessorin Jana Revedin in ihrem Buch Ise Gropius als eine Partnerin auf Augenhöhe vor, die mehr als nur die Sekretärin im Hintergrund war. Eher unterhaltsam hingegen wendet sich Ursula Muscheler Ise Gropius und anderen Frauen zu, die ihr künstlerisches Potenzial zwar nicht ausschöpfen konnten, aber „mutig genug“ waren, „zu neuen Ufern aufzubrechen“. Einen lebendigen Einblick in einen Teil der Bauhausgeschichte liefert Nicholas Fox Weber, der bereits 22jährig Anni und Josef Albers persönlich kennenlernte. Er bringt den Lesern sechs Bauhäusler näher, davon mit Anni Albers allerdings nur eine Frau, die jedoch für das Bauhaus eine äußerst bedeutsame Rolle spielte. Neu überarbeitet wurde Ulrike Müllers überaus informative Porträtsammlung von zwanzig Bauhausfrauen, die die Werke der Künstlerinnen und Designerinnen und deren Einfluss auf die Produktion der Moderne bis heute vorstellt. Auf ein Buch sei besonders verwiesen: Frauen am Bauhaus, Wegweisende Künstlerinnen der Moderne, hg. von Patrick Rössler und Elizabeth Otto. Dieses Buch erzählt die andere Seite der Bauhaus-Geschichte, die der weiblichen Mitglieder. Es zeigt die zentrale Rolle der Frauen am Bauhaus auf, aber auch die Rolle der Frauen für die moderne Kunst. Jede der Frauen - insgesamt 45 stellvertretend für die Frauen am Bauhaus -, ihr Leben und ihr künstlerischer Werdegang werden ausführlich beschrieben. So finden sich unter ihnen auch pointierte Porträts über Bauhausschülerinnen, die in der k.u.k. Monarchie geboren wurden. Da ist die 1904 in Bratislava geborene Irena Blühovä (1904 - 1991). Sie engagierte sich bereits politisch, als sie noch Aushilfssekretarin und Bankangestellte war. Früh interessierte sie sich für Kunst und Kultur. Neben dem Beruf besuchte sie eine weiterbildende Schule und wandte sich der Fotografie zu; erste touristische Fotos entstanden. Bald darauf wurde ihr Schwerpunkt die Dokumentation von Kinderarbeit. Sie wurde eine der ersten Sozialfotografinnen. Fotozyklen wie „Kinder und Kinderarbeit“, „Jahrmärkte im Waagtal“ oder „Saisonarbeiter“ entstanden. Während ihres BauhausStudiums in den Jahren 1931 und 1932 professionalisierte sie ihre Sozialfotografie und fokussierte sich auf Porträtaufnahmen von Bettlern, Vagabunden, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sowie Landarbeitern und Arbeiterinnen. Eine ihrer bekanntesten Fotografien ist „Bedienerin am Bauhaus“ - eine Frau, die als Reinigungskraft arbeitet. Über ihre Zeit am Bauhaus schrieb Irena Blühovä, dass ihr „jeder Tag neue, schöpferische Impulse“ Oktober 2020 7