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sowohl für ihre professionelle als auch ihre politische Arbeit gab. Bereits 17jährig trat sie der kommunistischen Studentenfraktion bei, weil sie etwas gegen die Armut unternehmen wollte, die sie als Kind kennengelernt hatte. Während der Kriegsjahre war sie als Antifaschistin aktiv. Bekannt wurde sie dafür, dass sie mit ihren Fotografien Außenseitern ein Gesicht gab. Das Fotografieren war für sie eine ihrer „schärfsten Waffen gegen Armut, Ausbeutung, Unrecht“. Gleichzeitig setzte sie die Fotografie ein, um Klischees zu hinterfragen: So fotografierte sie ihren Mann nackt auf Skiern und erreichte, dass diese Aufnahme als erstes Aktfoto einer Frau von einem Mann bekannt wurde. Gut befreundet war Irena Blühovä mit der acht Jahre jüngeren, in Szeged geborenen Judit Käräsz (1912 — 1977). Bereits als Jugendliche interessierte sich Käräsz für Fotografie und erweiterte ihre Grundkenntnisse, als sie mit 18 Jahren als eine der jüngsten Studentinnen am Bauhaus anfing. Auch sie wurde eine der führenden Vertreterinnen der Sozialfotografie. Mit ihrer Kamera sah sie hinter die Kulissen des bürgerlichen Lebens und dokumentierte das Leben in Armut und sozialer Ausgrenzung. Weil sie verbotenes Material für ihre politischen Aktivitäten druckte, musste sie 1932 das Bauhaus verlassen. Sie ging nach Berlin, arbeitete dort für eine Fotoagentur als Laborassistentin und lernte zahlreiche Künstler und Intellektuelle kennen. Gegenstand ihrer Fotografien wurden nunmehr Brücken, große Straßen und Baugerüste, Ausdruck ihrer Arbeit mit der Leica als Dokumentarfotografin. Weiterhin richtete sich ihr Augenmerk auf das Leben in ländlichen Regionen. Fotoreportagen zeigen arme Kinder, erschöpfte Bauern und im Kontrast dazu herausgeputzte Hochzeitsgäste und Prozessionsteilnehmer. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs floh Käräsz auf die dänische Insel Bornholm, wo sie bei der mit ihr befreundeten Familie des deutschen Schriftstellers und Orgelbauers Hans Henny Jahnn lebte. Erst 1949 kehrte sie in ihre Heimat zurück und wurde Fotografin für das Kunstgewerbemuseum in Budapest. Nach einer Krebsdiagnose nahm sie sich im Mai 1977 das Leben. Da ist des Weiteren Friedl Dicker-Brandeis (1898 — 1944), die bereits als Kind im Wiener Papierwarengeschäft ihres Vaters Anregungen zum Malen erhielt. Nach einer Lehre in Fotografie und Reproduktionstechnik besuchte sie die Textilklasse bei Franz Cisek, folgte 1919 Johannes Itten ans Bauhaus Weimar und ließ sich in Architektur ausbilden. Sie war in ihrem Beruf erfolgreich und wurde u.a. mit der Ausstattung eines Montessori-Kindergartens beauftragt. Als aktives Mitglied der Kommunistischen Partei fertigte sie Fotocollagen für Agitationsplakate an und wurde 1934 inhaftiert. Nach ihrer Freilassung blieb sie in Tschechien bei ihrem Mann, obwohl sie die Möglichkeit zur Emigration gehabt hätte. Beide wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert. Als „leuchtender Stern des Ghettos“ gelang es Friedl Dicker, dort Zeichenkurse für Kinder zu organisieren. Ihr Mann überlebte, sie wurde 1944 nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Gleichermaßen deportiert und ermordet wurde Zsuzsanna Klara Bänki (1912 — 1944), die als Tochter eines Gynäkologen in Györ aufwuchs, der ab 1902 neben seinem Arztberuf Direktor einer Hebammenschule war. Ihre Mutter interessierte sich für Wohnungseinrichtungen und sammelte Antiquitäten. Zsuzsanna Banki wollte wie ihr Vater und ihr Bruder Medizin studieren, doch ihre Eltern sahen den Arztberuf für eine Frau als ungeeignet an, da er nicht mit einer Familiengründung zu vereinbaren sei. Vor allem die Mutter riet der Tochter, Innenarchitektin zu werden. Zsuzsanna schrieb sich 1930 am Bauhaus Dessau für Architektur 8 _ ZWISCHENWELT ein, hatte jedoch auch bei diesem Studienfach den Eindruck, „für ein Mädchen hat das keine Zukunft“. Die Schule gefiel ihr und sie fand den Unterricht „hervorragend“, doch sie wurde immer pessimistischer hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft: „Du denkst doch nicht etwa, daß eine Frau ein Haus bauen kann, ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen.“ Zsuzsanna Bankis Interesse an Politik entwickelte sich erst durch ihre Freundschaften, u.a. zu Irena Blühovä, und durch Solidaritätsaktionen, an denen sie teilnahm. Nachdem sie wegen ihrer politischen Aktivitäten das Bauhaus verlassen musste, setzte sie ihr Architekturstudium an der Frankfurter Kunsthochschule und an der Wiener Akademie der bildenden Künste fort. Für das Examen entwarf sie ein Taufbecken, das sie bekannt machte. Später eröffnete sie ein Büro für Innenarchitektur und heiratete 1938 den Internisten Istvan Starkund. Aus Rücksicht auf ihre Mutter verschob das Ehepaar den ursprünglichen Plan, Ungarn zu verlassen und auszuwandern. Ihr Mann kam in ein Arbeitslager, wo er den Krieg überlebte, Zsuzsanna Banki und ihre Mutter wurden 1944 deportiert und ermordet. All ihre Zeichnungen und Entwürfe sind verloren gegangen. Das gleiche Schicksal widerfuhr Otti Berger (1898 — 1944). Sie hatte vier Jahre die Königliche Kunstakademie und die Kunstgewerbeschule in Zagreb besucht, bevor sie von 1927 bis 1930 am Bauhaus studierte und dort ihren Schwerpunkt auf künstlerische Formen- und Farbenlchre legte. Neben Kandinsky war vor allem Paul Klee ihr Lehrer. Anschließend übernahm sie zusammen mit Annie Albers für ein Jahr stellvertretend für Gunta Stölzl die Leitung der Weberei und unterrichtete in der Zeit selbst. Obwohl Otti Berger alle pädagogischen, produzierenden und praktischen Bereiche des Lehrprogramms ausführte, wurde sie nie ofhiziell angestellt. Von großer Bedeutung war für sie der Tastsinn, über den sie Forschungen betrieb: „Das Begreifen eines Stoffes mit den Händen kann ebenso schön empfunden werden wie eine Farbe vom Auge oder ein Klang im Ohr.“ Sie eröffnete ein eigenes Textil-Atelier in Berlin. Als Jüdin erhielt sie 1936 Berufsverbot. Sie plante, in die USA auszureisen, wo sie eine Professur in Aussicht hatte. Vorher suchte sie ihre erkrankte Mutter in Zmajevac auf. Dort wurde sie 1944 verhaftet, mit ihrer Familie nach Ausschwitz deportiert und ermordet. Am Bauhaus blieb Otti Berger für ihre Studien zum Tastsinn in Erinnerung, aber auch für ihr besonderes Gespür für Farben. Gemeinsam mit der Musikpädagogin Gertrud Grunow hatte sie den Zusammenhang von Klang, Farbe und Bewegung untersucht und ihre Erkenntnisse im Unterricht eingesetzt. Beispielsweise gab sie ihren Schülerinnen die Aufgabe, die Farbe Blau zu tanzen. Daraus entwickelten sich faszinierende künstlerische Darstellungen auf der Bühne. Otti Berger zählt zu den wichtigsten Wegbereiterinnen des Textildesigns. Weiter zu nennen ist Ivana Tomljenovi¢-Meller (1906 — 1988), die in ihrer Geburtsstadt Zagreb an der Königlichen Akademie der Künste studierte, bevor sie ein Jahr die Kunstgewerbeschule in Wien besuchte. 1929 studierte sie am Bauhaus und begann dort, neue visuelle Techniken auszuprobieren. Sie entwickelte eine neue Bildsprache. Ihr primäres Interesse galt der Gestaltung von Plakaten sowie der Fotobearbeitung. Als Hannes Meyer 1930 aus dem Amt des Bauhausdirektors entlassen wurde, verließen eine Vielzahl von Studenten das Bauhaus — unter ihnen Ivana Tomljenovic. „Viel Glück, Bauhaus und Berliner Kameraden, wir sehen uns nach der Revolution“, so Tomljenovi¢ in einer Fotocollage nach ihrem Weggang vom Bauhaus. Anschließend arbeitete sie als