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Lederhosen anmessen lassen. „Was soll ich noch erfinden, wenn schon alles erfunden ist?“, fragt der Volksschüler. Er verlangt vom Zahnarzt, ihm jedes einzelne Instrument genau zu erklären, er will wissen, was mit einem wertvollen Ring seiner Mutter, Bertha Schächter, passiert, wenn er ihn in den Ofen wirft - seine Neugier ist grenzenlos. Seine Freunde sind immer ein wenig älter als er: Er, der Jüngere, ist interessant für sie. Der Gymnasiast wird mit Musik- und Malstunden und mit Metallbaukästen in seinem handwerklichen Geschick gefördert. Die Besuche bei der „Mischpoche“ (Verwandtschaft) jeden Sonntagnachmittag schätzt er schr. Der große Bruch 1938: Bald nach dem „Anschlusss“ muss Friedrich Schächter am 28. April im Zuge der „Umschulung der Jüdischen Schüler“ das Gymnasium verlassen und die vierte Klasse Gymnasium vor dem Ende des achten Schuljahres abbrechen. Er erlebt die Verhaftung und Deportation seines Vaters nach Dachau und Buchenwald. Gemeinsam mit Mutter Bertha und seiner Schwester Edith wird er aus der Wohnung am Loquaipark geworfen. Ein Freund der Familie, Besitzer des Sporthauses Brunhuber in Mariahilf, nimmt sie unter großer Gefahr für sich selbst bei sich auf. In der erzwungenen schullosen Zeit organisiert sich Fritz zunächst Beschäftigung bei einem Schildermaler in einem der Durchhäuser zur Mariahilferstraße; sein Berufswunsch ist Maler. Als dieser Friedrich nach einigen Wochen bedeutet, dass er ihm nichts mehr beibringen könne, zahlen Friedrichs Eltern dafür, dass ihr Sohn Friedrich beim sozial engagierten bekannten Grafiker Victor Iheodor Slama als Praktikant mitarbeiten darf. Slama steht inzwischen unter Berufsverbot und darf eine Zeitlang nur Kinoplakate malen, wobei Fritz mithelfen darf. Schicksal der Eltern und der Schwester Schlussendlich können sich alle Familienmitglieder retten. Vater Rubin wird im Jänner 1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen. Der Anblick des kahlgeschorenen abgemagerten Mannes beim Empfang zu Hause wird sich Fritz lebenslang einprägen. Mutter Bertha kann gerade genug Geld zusammenkratzen, um den von den Nazis geforderten Betrag für ein Visum ihres Mannes Rubin nach Barbados (zu Großbritannien gehörend)'! zu zahlen. Mit einer Bahnkarte nach Hamburg und dem Visum muss Rubin Schachter innerhalb von drei Tagen nach seiner Entlassung im Jänner 1939 Österreich verlassen. Nach wochenlanger Irrfahrt — die Visa stellen sich als wertlos heraus — legt das Schiff „Königstein“ mit vielen jüdischen ExilantInnen an Bord — Großbritannien lässt die Flüchtlinge nicht an Land - im Hafen La Guaira bei Caracas in Venezuela an. 1943 stirbt Rubin an Lungenentzündung, ohne seine Familie wiedergesehen zu haben. Fritz Schwester Edith kann wie zahlreiche andere jüdische Mädchen mit einem „domestic permit“ im März 1939 nach London fliehen und muss dort als Hausgehilfin arbeiten. Mutter Bertha kann auf dem letzten Kinder-Transport nach London am 1. September 1939 einen Platz als Begleiterin für eine Kindergruppe ergattern und so gerettet werden. 10 ZWISCHENWELT Friedrichs Rettung nach Schweden Über den für sein Alter hochgewachsenen 15-jährigen Fritz wird schon länger im Haus Schmalzhofgasse getuschelt: „Der ist doch so groß, der gehört doch längst in ein Lager.“ Über Vermittlung eines Zeugen Jevohas kann für den 15-jährigen Fritz mit Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien ein Platz auf einem der Kindertransporte, Zielland: Schweden, organisiert werden. Diese sind 1938 und 1939 ein kompliziertes diplomatisches und bürokratisches Unternehmen, an dem viele Menschen und Organisationen beteiligt sind. Die Koffer sind ständig gepackt, denn die Abreise wird oft erst Stunden vor der Abfahrt angekündigt. Der Abschied muss schnell gehen. Friedrich wird seine Schwester und seine Mutter erst viele Jahre später wiedersehen. Am 14. Jänner 1939 muss Mutter Bertha der jüdischen Gemeinde in Stockholm die Vollmacht über alle erzicherische Belange, „die im Interesse meines Kindes getroffen werden“, für ihren Sohn Fritz, unterschreiben. Mutter Bertha muss alle Erziehungsverantwortung an ihr unbekannte Menschen in einem anderen Land abgeben, lange vor einer Rettung des Kindes, die monatelang ungewiss bleibt. „Ich hätte eigentlich nach Holland kommen sollen, es wurde aber Schweden“, sagt Friedrich Schächter im Interview 2000, das in der Österreichischen Mediathek nachgehört werden kann. Friedrich Schächters erste Jahre im schwedischen Exil Fritz im Kinderwagen mit Mutter Bertha und Schwester Edith (geb. 1920), ca. 1925 in Wien.