OCR
Bruno Schernhammer Über eine alte Mär Als Touristen getarnte deutsche Techniker wanderten 1937 durch Österreich um die Westautobahn zu planen? Wie oft wird sie noch erzählt— die alte Mär? Tatsächlich muss es beeindruckt haben, mit welcher Geschwindigkeit Taten gesetzt wurden. 13. März 1938 Einmarsch der deutschen Truppen. Wenige Tage danach verkündete Göring in der Rede in der Nordwestbahnhalle in Wien („das große Aufbauwerk beginnt“), dass in Deutschösterreich 1.100 km der „Straßen des Führers“ errichtet werden. Nicht einmal drei Wochen später, am 7. April 1938 erfolgte der Spatenstich am Walserberg. Noch im Frühjahr 1938 wurden im Abschnitt Salzburg-Regau drei „Bauabteilungen Reichsautobahn (BAR)“ — Salzburg, Seewalchen und Kammer-Schörfling- errichtet, die der „Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen (OBR)“ in München unterstanden. Für den Abschnitt Regau bzw. Scharding bis Wien wurde eine OBR in Linz eingerichtet. Dieser unterstanden Bauabteilungen in Linz, Wels, Amstetten, Eferding und weiteren Orten. Vermessungstechniker zogen über das Land: von Salzburg nach Wien, um Wien herum, dem Inn entlang in Tirol, von Passau nach Wels, weiter über den Phyrnpass bis in die Steiermark, von Salzburg südwärts nach Klagenfurt. Grundstücke wurden in aller Eile abgelöst, vielfach mit passablen Preisen, manchmal weniger freundlich. Trassen wurden abgesteckt. Die ersten Bauarbeiten in Oberösterreich begannen im Sommer 1938 in Eberstalzell. Das Salzkammergut-Heimatblatt schrieb: Die Arbeiten an der Reichsautobahn locken wegen ihrer hier noch nie gesehenen technischen Hilfsmittel immer wieder ... viele Neugierige an. Besonders wird Alberndorf aufgesucht, denn hier soll ja eine 500 m lange Brücke ... (Nr. 29/1938, S.11). Nur wenige Monate nach der Volksabstimmung mit dem großen JA kamen Hunderte von fremden Ingenieuren und Facharbeitern in die Dörfer. Ein Chronist aus Vorchdorf vermerkte dazu: Der Bau wurde eilig vorangetrieben ... Da die mit dem Strassenbau beauftragten Firmen ihr Stamm‚personal aus Deutschland mitbrachten, blühte auch das Geschäftsleben im Orte auf. Gasthäuser und Kino hatten Hochbetrieb.(zit. nach Josef Hörtenhuber, S. 39). Manner aus den Dörfern und Nachbarorten wurden vor allem als Hilfsarbeiter aufgenommen. Ein Bauprojekt dieser Größe in einem derart kurzen Zeitraum von wenigen Monaten zu planen, war unmöglich. Bald kam die Erzählung auf: Deutsche Techniker seien bereits 1937 —als Touristen getarnt — durch das Land gezogen und hätten so die Vermessungsarbeiten vorgenommen. Richtig kann das nicht sein. Man stelle sich vor: eine Gruppe von deutschen Touristen steigt in 28 — ZWISCHENWELT Laakirchen aus dem Zug. Die Manner tragen schwere technische Vermessungsgeräte verhüllt in großen Stoffsäcken mit sich. Sie begeben sich über die Weizenfelder und Wiesen ostwärts nach Vorchdorf, weiter nach Sattledt. Undenkbar, dass sie den Bauern nicht aufgefallen wären. Undenkbar, dass es bei der Vermessung von über 300 km Trasse keine einzige Meldung an die Gendarmerie gab. Dennoch hält sich diese Mär hartnäckig. Egal ob anlässlich 50 Jahre Westautobahn in Oberösterreich (Oberösterreichische Nachrichten vom 14. September 2013) oder im Gedenkjahr 2018 (siehe: Die Westautobahn - eine Vermessung. In: Der Standard vom 16.6.2018, online abrufbar). Selbst im Salzburgwiki ist es zu lesen (https:// www.sn.at/wiki/Westautobahn). Was daran wahr ist? Nichts. Was steckt dahinter? Der Historiker Bernd Kreuzer hat in seiner Dissertation nachvollziehbar ausgefiihrt, wie die Plane bereits vor dem Anschluss erstellt wurden. Unter den österreichischen Ingenieuren gab es eine Vielzahl von illegalen Mitgliedern der NSDAP. Zudem unterhielten einige deutsche Bauunternehmen Tochterunternehmen in Österreich. Der österreichische Architekt und spätere Landesplaner von Oberdonau, August Schmöller, schrieb im Februar 1938 an den Generalinspektor für den deutschen Straßenbau Fritz Todt: Neben allen anderen Aufgaben müssen nun auch die Straßen Adolf Hitlers‘ hier Wirklichkeit werden, so wie wir es im Juli 1937 in Berlin besprochen haben. (zit. nach Bernd Kreuzer, S. 78). Schmöller war ein früher Anhänger des Nationalsozialismus und hatte während der illegalen Zeit die Funktion eines „Sonderbeauftragten für Raumordnung“ innerhalb der Gauleitung Oberösterreichs inne. Schmöller behauptete später, dass die Streckenführung der Reichsautobahn auf seine Vorschläge zurückzuführen sei. (Kreuzer, S. 68f.) Eine zentrale Rolle spielte der Geschäftsführer der Vianova Straßenbau AG Wien, Rudolf GanterUllmann. Mehrheitsaktionär der Vianova war die Strabag, mit Hauptsitz in München, der Generaldirektor der Strabag Julius Bauer unterhielt zu den entscheidenden Stellen in Berlin „hervorragende Beziehungen“. (Kreuzer, S. 77) Todt schrieb am 26. Oktober 1938 an GanterUllmann: Ich habe dem Führer gemeldet, dass Sie der österreichische Ingenieur sind, der al Erster verbotenerweise in Österreich für uns die Pläne der Reichsautobahn von Salzburg nach Wien aufgestellt hat... Auch ich möchte die Gelegenheit benutzen, Ihnen nochmals für die Vorarbeit zu danken, die Sie in früheren Jahren für die Erkundung der Autobahn Salzburg — Wien geleistet haben. Ihre Vorarbeit war die erste Voraussetzung für die rasche Inangriffnahme der Bauarbeiten in Ihrer österreichischen Heimat. (zit. nach Kreuzer, S. 78) Die Liste ließe sich lange fortsetzen. So kontaktierte der Welser Spediteur Franz Wiesinger Anfang 1937 Todt, indem er ihm zwei Exemplare seiner Denkschrift „Österreichs Hauptaufgaben im Straßenwesen“ zuschickte. Anfang März 1937 besuchte er das Generalinspektorat in Berlin und bot seine Dienste für Geländebesichtigungen und für Kontakte zu offiziellen Stellen an. Die deutsche Behörde überprüfte die Zuverlässigkeit und politische Gesinnung und kam zu dem Ergebnis, dass „Wiesinger zuverlässig und einwandfrei national gesinnt ist“. (zit. nach Kreuzer, S. 67). Während sich der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen offiziell zurückhaltend gab, arbeitete innerhalb der „Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen“ München eine Arbeitsgruppe, die die Linienführung der Reichsautobahnen in Österreich plante. Von diesen Vorarbeiten stand 1938 nichts in den Zeitungen, auch im Radio war nichts zu hören. Diese Unkenntnis sollte den raschen Baubeginn und das hohe Bautempo als titanenhafte Leistung des neuen Regimes erscheinen lassen. Im Welser Anzeiger erschien kurz vor der sogenannten Volksabstimmung ein Bild der Reichsautobahn mit dem Text: „Das Reichsautobahnnetz ist das größte Bauwerk aller Zeiten; die Welt beneidet uns darum. Deutsches Volk, sei stolz auf dieses Werk des Führers! Gib ihm am 10. April dein Ja.“ (zit. nach Kreuzer, S. 80) Und diese Inszenierung wirkte. Sie wirkt bis heute nach: Es waren schon tolle Burschen, sogar in ihrem Urlaub haben die nationalsozialistischen Techniker für ihre Sache gearbeitet. Diese Erzählung ist ein Strang des Mythos Reichsautobahn. Literatur Josef Hörtenhuber: Vorchdorf, ein Dorfaufdem Weg zum Markt. In: Marktgemeinde Vorchdorf: Festschrift zur Markterhebung, 1982. Bernd Kreuzer: Schnelle Straßen braucht das Land. Planungund Umsetzung der Autobahnen in Österreich seit den Zwanziger Jahren, gezeigt am Beispiel Oberösterreich. Dissertation. Univ. Wien 2007. Bruno Schernhammer veröffentlichte im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft den Roman „Und alle winkten. Im Schatten der Autobahn“, in dem er erstmals in der österreichischen Literatur das Thema der Zwangsarbeit beim vielgerühmten Autobahnbau aufgriff.