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Elisabeth Malleier „Macht weiter, was gut war“ der italienischen Grünen im Europaparlament Der Todals Ankniipfungspunkt. Es war beim Begräbnis des Südtiroler Dichters Norbert C. Kaser im Sommer 1978, an dem Alexander Langer beschloss, wieder nach Südtirol zurückzukehren, nachdem er drei Jahre zuvor als Lehrer nach Rom versetzt worden war. Das Verhältnis zu seinem Geburtsland Südtirol war für den 1946 in Sterzing Geborenen nicht einfach. Seine Mutter war eine in der Südtiroler Volkspartei (vergleichbar der österreichischen ÖVP) engagierte Apothekerin, sein Vater kam aus einer jüdischen Familie und war in Wien geboren. Er war bereits als Jugendlicher mit seiner Familie nach Südtirol gezogen und wurde Arzt. 1938 verlor er seine Arbeitsstelle. Den Zweiten Weltkrieg überlebte er versteckt im Trentino und bei Freunden in Florenz. In den 1960er Jahren sollte sein Sohn Alexander in dieser Stadt Jus studieren - und dreißig Jahre später dort sein Leben lassen. Das mit dem Marillenbaum ist mir noch dunkel in Erinnerung, ich lebte damals schon nicht mehr in Südtirol. Im Juli 1995 hatte sich Alexander Langer am einzigen Marillenbaum in einem Olivenhain nahe Florenz erhängt, er war damals 49. Die Abschiedsworte auf einem Zettel: „ich derpacks nimmer, macht weiter, was gut war“. Sein Weg hatte Alexander Langer über das katholische Gymnasium in Bozen und einer tiefen Religiosität bis zur außerparlamentarischen Linken der 1960er und frühen 1970er Jahre geführt. Er wurde Redakteur der Zeitschrift „Lotta Continua“ und gehörte zu den führenden Köpfen der Bewegung. Sein zweites Studium, Soziologie, schloss er in Trient ab. In seiner Laureatsarbeit setzte er sich mit sozialen Unterschieden in Südtirol auseinander. 1978 wurde er für die neu gegründete „Liste Neue Linke/Nuova Sinistra“ in den Südtiroler Landtag gewählt, später war er in der „Alternativen Liste für das andere Südtirol“ aktiv. Er knüpfte Kontakte zu den Grünen in Deutschland und war an der Gründung der italienischen Grünen beteiligt. In Südtirol war es die „Grüne Liste — Lista Verde“ die u. a. den Erhalt des Friedens und den Schutz der Umwelt auf ihrem Programm hatte. Anfang der 1980er Jahre, während des Kalten Krieges, wurde auch in Südtirol gegen die NATO-Aufrüstung, die Aufstellung von Pershing II-Raketen und die Stützpunkte der Amerikaner in Italien demonstriert. Ein zentrales Merkmal der Südtiroler Grünen war schon damals ihr interethnischer Zugang. Langer trat vehement gegen die in Südtirol vertretene Volkstumspolitik ein, die die Menschen der verschiedenen Landessprachen möglichst in getrennten ethnischen Käfigen und ohne Kontakt zueinander sortieren wollte. Es war nicht zuletzt Langers an Südtirol geschärfte Wahrnehmung in ethnischen Fragen, die zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den innenpolitischen Spannungen während des Jugoslawienkrieges führte. Sein Selbstmord erfolgte wenige Tage vor dem Massaker von Srebrenica. Projekte wie „Adopt Srebrenica“, das Gewaltopfer in Bosnien unterstützt, sind eine der Initiativen der Alexander Langer Süftung, die auch den „Internationalen Alexander Langer“ Preis vergibt. Auch wenn die „Zehn Punkte für das Zusammenleben“ von Alexander Langer bereits vor über zwei Jahrzehnten verfasst wurden, sind sie auch heute noch aktuell - man denke z. B. an die weltweite Black Lives Matter-Bewegung. Langer bezog sich damals auf das Zusammenleben der unterschiedlichen Volksgruppen in Südtirol und im zerfallenden Jugoslawien. Die Herausforderung heute bestünde vielleicht darin, Langers „Zehn Punkte“ aufdie Utopie einer im positiven Sinn globalisierten Welt zu übertragen, d.h. auf eine Welt, in der sich alle Menschen überall auf der Welt frei bewegen können - sollten. Alexander Langer Zehn Punkte fürs Zusammenleben (1994) 1. Das gemeinsame Vorkommen mehrerer Volksgruppen wird immer häufiger der Normalzustand, nicht die Ausnahme sein; die Alternative lautet: entweder ethnische Ausgrenzung oder Zusammenleben 2. Identität und Zusammenleben sind nicht trennbar; kein Zwang zum Einschluß, kein Zwang zum Ausschluß 3. Gegenseitiges Kennenlernen, Dialog, Information, Interaktion: „je mehr wir miteinander zu tun haben, desto besser verstehen wir uns“ 4. Ethnic is beautiful? Ja, aber nicht eindimensional: es gibt auch noch andere gemeinsame Nenner (Umwelt, Geschlecht, soziale Anliegen, Freizeit ...) 5. Ethnische Zugehörigkeit so durchlässig als möglich machen, Zugehörigkeit und Mitmachen auf mehreren Seiten nicht ausschließen 6. Pluri-ethnisches Zusammenleben muß auch sichtbar anerkannt werden: Rechtsordnungen, Symbole, Alltagsgesten müssen ausdrücklich das Heimatrecht für die Vielfalt verkörpern 7. Rechte und Garantien sind wesentlich, genügen aber nicht; ethnozentrische Regeln fördern ethnozentrisches Verhalten 8. Von der Wichtigkeit der Vermittler, Brückenbauer, Mauerspringer, Grenzgänger; es braucht „Verräter der ethnischen Geschlossenheit“, doch keine „Überläufer“ 9. Eine Grundvoraussetzung: Gewalt muß ausgeschlossen sein 10. Vordenker und Vorläufer des Zusammenlebens: gemischte Gruppen Aus: Jenseits von Kain und Abel. Zehn Punkte fürs Zusammenleben — neu gelesen und kommentiert. In Memoriam Alexander Langer 1995 — 2015. Hg. von Massimiliano Boschi, Hans Karl Peterlini, Adel Jabbar. Meran: Alphabeta Edizioni 2015. Weitere Bücher mit Texten von und zu Alexander Langer: Alexander Langer: Südtirol ABC Sudtirolo. Hg. von Siegfried Baur, Giorgio Mezzalira, 2015 Fare ancora/ Weitermachen. Nachdenken über Alexander Langer. A cura de Gaia Caroli, Davide Dellai 2011. Alexander Langer: Aufsätze zu Südtirol 1978 — 1995/Scritti su Sudtirolo. Hg. von Siegfried Baur, Riccardo Dello Sbarba 1996. Mignon-Langnas-Park Am 23. September 2020 wurde der neu gestaltete Park gegenüber dem Haus 1020 Wien, Obere Augartenstraße 44 nach der Krankenschwester benannt, die im Jüdischen Kinderheim Tempelgasse in der NS-Zeit aufopferungsvoll Kinder der Verfolgten (darunter den kleinen Robert Schindel) betreute. Ihre Tagebücher und Briefe 1938 bis 1949 wurden 2010 von Elisabeth Fraller herausgegeben. Sie bieten einen Einblick in den fürchterlichen Alltag der in Wien verbliebenen jüdischen Bevölkerung unter der NS-Hertschaft. Die Bezirksvorsteherin von Wien-Leopoldstadt, Uschi Lichtenegger, enthüllte eine Gedenktafel. Dezember 2020 5