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Befreiung vom Faschismus, die Übereinkunft der hegemonialen politischen Lager, die Vertriebenen nicht heimzuholen und wenn doch, dann nur auf Basis einer Versorgungsexistenz, also bloß unter Befriedigung der „stofflichen Lebensbedürfnisse“, jedenfalls nicht, um ihre Mitarbeit, Mitgestaltung am gesellschaftlichen Leben zu erbitten — diese Verdrehungen und Versäumnisse zu durchleuchten, ihre Auswirkungen auf die Gegenwart darzustellen und vor allem in der Gegenwart aufzuheben: Das ist Kaisers, das war Bolbechers verwegenes Ziel, und das ist es für die seit 1984 bestehende TIheodor Kramer Gesellschaft bis heute geblieben. Unmittelbar mit diesem Anspruch verbunden waren die unverhofften Begegnungen, die sich infolge unseres leidenschaftlichen Interesses an den Verfolgten und Vertriebenen ergaben. Die Zeit reichte nicht, sie alle aufzuzählen, die mir im Lauf der Jahre, Jahrzehnte das Leben versüßt oder gewürzt haben, die uns und die vielleicht auch wir ein Stück weit gestärkt haben: Frederick Brainin, Stella Rotenberg, Elisabeth Freundlich, Fred Wander, Ruth Tassoni, Theo Waldinger, Else Leichter, Friedrich Katz, Alfredo Bauer, Fritz Kalmar, Franz Kain... Oder Erwin Chvojka, Kramers jüngerer Freund und Nachlassverwalter, erster Vorsitzender auch der Kramer-Gesellschaft, der sich infolge unseres Überschwangs aus der Defensive traute, in die ihn die falschen Kramer-Interpreten getrieben hatten. In die freudige Erinnerung an sie alle mischen sich Wehmut, Trauer und auch eine Spur Angst, im Wissen darum, dass man nun, ohne ihre Gegenwart, näher zur Wand steht. Weil sie, paradoxerweise, wenn man ihr Alter bedenkt, uns die Zukunft offengehalten haben. Einige von ihnen sind erst durch uns auf Theodor Kramer gekommen. Dann gibt es auch die Bruderschaften, die aus der gemeinsamen Passion für seine Gedichte entstanden sind. Ich für meinen Teil erinnere mich, wie mir nach einer Lesung in Aachen, im Wirtshaus, der Maler Rudolf Schönwald — den ich schon vorher geschätzt, aber nicht gekannt hatte — zu meiner Überraschung einige Kramer-Gedichte frei aus dem Gedächtnis vorgesagt hat, in seiner einzigartigen Redekunst. Seither sind wir — wie Kain sagen würde — miteinander „in der Freundschaft“. Ich erinnere mich auch an die erste Begegnung mit Peter und Renate Zwetkoff, im Cafe Sperl, an einem Fenstertisch neben bärbeißigen Billardspielern. Frühe Kramer-Verehrer, hatten die Zwetkoffs den Dichter um den Jahreswechsel 1957/58 in seinem ärmlichen Wiener Pensionszimmer besucht. Peter spielte ihm tags darauf seine Vertonungen von sieben Gedichten aus dem Zyklus „Die untere Schenke“ vor. Peter Zwetkoff, der Widerstandskämpfer, Kommunist und Komponist, ist vor acht Jahren verstorben. Aber Renate Zwetkofhist da, und das Band der Freundschaft, das uns hält. Alt und müd, so habe ich meine Rede begonnen. So alt ist der Preisträger, dass Kramers Geburtstagsgedichte — „Mit Fünfzig“, „Fünfundfünfzig“, „Von Fünfzig bis Sechzig“ - ihn glatt verfehlen. Einen, der für alles immer länger braucht und oft ratlos ist, ich könnte auch sagen: verdrossen, weil nichts weitergeht — in die erträumte Richtung, auf einem Weg, der in eine Welt ohne Kriege und Ungerechtigkeiten münden soll, in der die Menschen, und überhaupt alles, was kreucht und fleucht, genug zum Leben haben sollen, alle ungefähr gleich viel, jedoch zum Trinken und zum Lesen ganz nach Bedarf. In seinem schon erwähnten Blaukopf-Protokoll hatte Konstantin Kaiser eine frühe Spur zu meiner Verdrossenheit gelegt: „Zu vieles, scheint es, ist Privatangelegenheit geworden, was doch jedermann zugänglich, öffentliches Interesse sein sollte. Vielleicht haben zu viele zu früh aufgehört zu kämpfen, im Vertrauen auf eine neue 18 _ ZWISCHENWELT Generation von Kämpfern, die eben nicht herangewachsen ist.“ Siebenunddreißig Jahre später ist die Privatisierung öffentlichen Interesses kaum noch rückgängig zu machen. Das wirft Fragen auch hinsichtlich der Aktualität Kramers auf: Haben seine Gedichte inzwischen nur noch einen archäologischen Wert, nämlich für die, die ihren sozialutopischen Gehalt nicht einmal mehr leugnen, sondern ihn einfach nicht mehr begreifen? Oder anders gefragt, haben sich durch die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte die gleichen falschen Oppositionen in unser Dasein geschlichen, von denen wir glaubten, sie in der Auseinandersetzung um die „richtige“ Lesart Kramers für immer überwunden zu haben? Daran musste ich denken, als ich unlängst — aus Anlass des Erscheinens seiner „Beskiden-Chronik“ auf deutsch — einen Kommentar des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk las. Dieser stellte mit Sorge und Ingrimm fest, dass sich seine Landsleute in der Gewissheit, den Wettlauf mit dem Westen endgültig verloren zu haben, auf die Beschwörung der ins Ruhmreiche verzerrten nationalen Vergangenheit zurückgezogen hätten. Und die Vergangenheit sei „das, was vorbei ist“. Stasiuks Skepsis ist uns vertraut, wir kennen sie seit Beginn des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs der extremen Rechten in Österreich, Haider, dann Strache, hintennach ein langer Rattenschwanz, als ein Großteil derer, die sich für kritisch und oppositionell hielten, eine Rettung nur noch von außen erhofften, vom Aufgehen Österreichs in ein europäisches Imperium, das sie sich als eine Art großdeutsches Disneyland vorstellten, das von wackeren Antideutschen angeführt wird. Kramer hatte mit Europa nichts am Hut. Er war Patriot und Internationalist in einem, wie Attila Jozsef und César Vallejo, und die Vergangenheit war ihm etwas, das eben nicht vergangen ist: Geschichte, die Chancen für die Zukunft bereithält, solange sie in der Gegenwart umstritten ist. Aber nicht sein dialektisches Weltverständnis, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der Legionen von Intellektuellen Europa (den „Westen“) mit Fortschritt, Nation mit Verderben und Geschichte mit Vorbeisein gleichsetzen, ist mehrheitsfähig, ist es längst geworden. Wie seinerzeit im Urteil über Kramers Gedichte sind sich die Liberalen und die Reaktionäre einig im Befund ihrer Völker, nur dass diese gut finden, was jene verabscheuen. Und die Linke ist hilflos. Ich muss mich für den trüben Ausklang entschuldigen. Aber die Zeiten eignen sich eben wirklich nicht für einen besseren. Was den fälligen Dank des Preisträgers angeht, der sich wegen des Namensgebers über eine Auszeichnung noch nie so gefreut hat wie jetzt, so will er es mit Theodor Kramer halten. Blaukopf zufolge hatte Kramer die Honorare fiir Privatlesungen, die er zwischen 1934 und 1938 in wechselnden Wohnungen seiner Gönner abhielt, „dankbar, weder kniefällig ergeben noch olympisch erhaben“ angenommen. „... er hat das anerkannt“. So wie heute ich die Entscheidung der Jury. Ehrung für Hans Landauer Am 18. Oktober 2020 wurde die städtische Wohnhausanlage Schüttelstraße 71, 1020 Wien, nach dem Spanienkämpfer Hans Landauer benannt. Geboren 1921 (verstorben 2014), war er der Jüngste aller österreichischen Spanienkämpfer. Zusammen mit Erich Hackl verfasste er das „Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936-1939“ (2. Auflage 2008). Erich Hackl erinnerte bei der Benennungsfeier an Hans Landauers Einsatz für die spanischen Mitgefangenen im KZ Dachau.