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sagt, mein eigener „understudy“? Er schreibt, das Begräbnis einer Mutter müsse zweimal stattfinden. Das erste Mal ist man so davon in Beschlag genommen, wie man dasteht oder die anderen beobachtet. Ich versuche, ehrlich zu mir zu sein: wird mir der berühmte wohlige Schauer des Grauens über den Rücken laufen, wie dem Kronenzeitungsleser, der zum zehnten Mal im Monat liest, wie ein Ehemann seine Frau erschlagen hat? Ich habe soviel über meine Reaktion auf Auschwitz im Vorhinein nachgedacht, dass ich zum Schluss über diese Reaktion enttäuscht bin. Auschwitz soll das Böse schlechthin darstellen, eine Fabrik der Grausamkeit, den industrialisierten Mord. Tatsächlich stehen hier auf einer Fläche, die man fast überblickt, zu meinem Erstaunen, 24 Backsteinhäuser, sehr ordentlich nebeneinander und hintereinander, dazwischen Spazierwege, es singen die Vögel, alles schr sauber, man sicht auch kleinere Menschengruppen, die entweder in diese Häuser eintreten oder darin sind oder heraustreten, meistens von einem Führer begleitet. Der Stacheldraht ist nicht immer sichtbar. Ich denke mir jetzt, es ist nicht schrecklich genug. Dieser Ort wirkt nicht überzeugend. Die Schrecklichkeit hat er vielleicht bereits ausgedünstet, sie wurde ausgelaugt im Laufe der Jahre, da man versucht, sie in Worte zu fassen, zu dokumentieren, in ein „Museum“ zu stecken. Das Schild hier heißt nicht: ehemaliges KZ Auschwitz. Es heißt „Museum Auschwitz“. Man befindet sich hier in einem Museum, in dem man spazieren gehen kann. Erster Teil des Museums ist das Eingangstor, über das in verrostetem Eisen „Arbeit macht frei“, steht. Ich vergegenwärtige mir, dass hier tausende Menschen durchgegangen sind. Dass es tatsächlich Millionen waren, kann ich mir nicht vorstellen. Der Ort und seine Geschichte fallen auseinander. Der Ort ist zu gepflegt, alles ist zu organisiert. Man zahlt keinen Eintritt. Das registriere ich. Der Gedanke, dass der polnische Staat vielleicht eine Fremdenverkehrseinnahmequelle hier haben könnte, wäre mir unerträglich. Die Führer, die es hier gibt, betreiben ihren Job als Nebenverdienst, wie mir der unsere sagt. Zuerst geht man durch das Eingangshaus. Eine Art Empfangshalle. Dort gibt es Dokumentation, einen Kinosaal und gewisse Schilder zur Orientierung. Dann betritt man das Gelände. Der erste Eindruck: mehrere Reihen dieser Backsteinhäuser, in „Reih und Glied“, dazwischen Wege. Die Häuser sind nummeriert. Sie sind schr solide gebaut. Wie für die Ewigkeit. Ohne Verputz, daher kann auch keiner abbröckeln. Vater und ich stolpern die Wege entlang. Man kennt sich einfach nicht aus. Ich denke mir, das kann doch nicht so klein sein. Wenn man in der Mitte steht, sieht man alle vier Mauern, man braucht keine zehn Minuten, das Areal zu durchschreiten. Mein Bild von Auschwitz war das Bild der Rampe. Die sehe ich natürlich nicht, wenn ich drinnen bin. Davor, als wir sie gesucht haben, sind wir, bei der Einfahrt in die Stadt, lange an einer Mauer mit Stacheldraht entlanggefahren. Ich war überzeugt, das sei das Lager. Doch dann schen wir, dass es sich um eine chemische Fabrik handelte. Später, im Lager, sagt uns der Führer: Die Amerikaner haben IG Farben, die chemische Fabrik, die nicht weit von hier war, bombardiert. Deswegen gab es hier auch Bunker für die SS. Bei Bombenalarm sollten sie in den Bunker. Die Fabrik, an der wir vorbeigekommen waren, war also die ehemalige IG Farben, die Mauer ist die gleiche wie hier, sagt der Führer. Beim Schreiben am Abend im Hotelzimmer, in Erinnerung, gewinnt der Ort seine Schrecklichkeit zuriick, die Phantasie gibt ihm die fehlende Dimension, da ich das, was noch sichtbar ist, nicht mehr vor Augen habe, gewinnt das Unsichtbare wieder die Oberhand. Vielleicht hatten sie alles stehenlassen sollen, wie es war? Stattdessen sicht man hier, in riesigen Glasvitrinen, Augengläser, Haare, Prothesen, Taschen. Man soll sich, sagt der Führer, vorstellen, wie viele Menschen hier umgekommen sind, wenn vielleicht nur jeder Zehnte Brillen getragen hat, und es hier einen Berg Augengläser gibt. Er sagt dies täglich zwei Mal, und Tag für Tag. Und immer mit derselben Steigerung im Tonfall, um die Vorstellung der Menge der Opfer zu erleichtern und die Erschütterung hervorzurufen, die sich ziemt. Ich hatte mir die Erschütterung zu genau ausgemalt, mich zu sehr mit ihr befasst, bevor ich den Ort betreten habe, sie ist mir dabei abhandengekommen. In Auschwitz hat man erschüttert zu sein, deswegen bin ich es nicht. Ich bin es nicht, weil ich es mir schon vorher gedacht habe, ich muss dort erschüttert sein, und davor habe ich Angst gehabt, zu sehr erschüttert zu sein, und wenn ich es nicht hätte sein dürfen, wäre ich dort wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen. Aber da ich doch eine gewisse Verpflichtung zur tiefen Betroffenheit gespürt habe, und diese Verpflichtung genau analysiert habe, hat sie sich dort nicht eingestellt. Vielleicht hat sie sich zeitweise, momentweise, eingestellt, doch das war alles schon durch die Reflexion, die ständige Reflexion darüber, abgeschwächt. Ich erwartete eine Erschütterung, und daher stellte sie sich nicht ein. Ich dachte und denke, es muss vielen so gehen, an diesem Ort. Die Phantasie hat hier viel zu tun. Sie muss sich die deutsche SS vorstellen und die Häftlinge und die Menschen vor den Krematorien. Ich fülle die Leere mit Bildern, die ich von Fotos und Filmen habe. Ich will mich nicht über meine Gefühle täuschen, will nur Betroffenheit zeigen, wenn sie echt ist. Da fallen gleich viele Betroffenheiten weg. Jedoch kann man auch mit Ehrlichkeit kokettieren. Wo ist ein Ende? Wir verließen das Lager durch das Tor „Arbeit macht frei“. Eigentlich war das Museum schon gesperrt. Unser Führer zeigte uns jedoch noch den Block, der dem Gedenken der jüdischen Opfer gewidmet ist. Außerdem noch eine Dokumentation. Er selbst ging weg, als sie anlief. So waren wir die letzten dort. Es