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meinem ersten Armenienaufenthalt den Berg Ararat tatsächlich nicht schen konnte wegen des Dunstes, der über der Stadt hing. So bleibt am Ende das Gegenständliche, der Heilige Berg, unsichtbar und die große Wunde, der Genozid mit seinen Auswirkungen weiterhin spürbar. Regina Hilber, geb. 1970, lebt als Lyrikerin und Essayistin in Wien. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, ihre Iyrischen Zyklen Khor Virap, Roadtrip in Armenien es fährt die Soutane im deutschen Wagen ein Rock ist ein Rock schwarz wer wird sie tragen die Wörterkinder ohne Namen es fahren Alpha Ken Kent in enge Kehren es fährt Kanada es fährt ein Land ohne Känguruh Ashot und Artak zwei und zwei die alles sehen weil immer einander es fährt Gamprs genannt Hund auf der Rückbank döst er und kennt Anfang Ende Chaos der Köter fädelt Worte auf Bilder Säume es fährt der Oktober mit der Sonne Anna Weinkamer Ein Buch, ein Leben Das Cafe ist alt. Der Kaffee ist gut. Ich bin nicht zum ersten Mal hier, kann mich aber an das letzte Mal nicht erinnern. Die Einrichtung gefällt mir. Kein Sessel gleicht dem anderen. Die Sitzgelegenheiten sind aber nicht bunt zusammengewürfelt, sondern haben System. Wenn ein Sessel durchgesessen ist, wird er ersetzt. Manche Sitzgelegenheiten stammen also noch aus der Eröffnungszeit des Cafes und andere sind erst ein paar Wochen alt. Zumindest behauptet das eine Freundin von mir, die das Cafe stolz ihr zweites Wohnzimmer nennt. Das Cafe erinnert auch an ein Wohnzimmer. Die Rückwand wird von einer massiven Bücherwand eingenommen. Die Bücher sind zwar dem Anschein nach nicht zum Lesen da, zumindest spricht dafür die Staubschicht, die ich selbst von hier aus sehen kann, aber sie sind ausgesprochen dekorativ. Bücher haben ein gutes Leben. Sie kennen ihre Anfänge und wissen, wer ihre Eltern sind. Sie wissen, wer sie erzeugt und erschaffen hat. Sie können sich an ihre Entwicklung erinnern, wie sie aus einer Idee, einem Wort und einem Satz gewachsen sind. 46 ZWISCHENWELT in mehrere Sprachen übersetzt. Lesungen bei internationalen Poesiefestivals. Sie ist auch als Herausgeberin und Publizistin tätig und wurde zu zahlreichen Aufenthalisstipendien geladen. 2017 war sie Burgschreiberin in Beeskow/Brandenburg. Sie betreibt den Weblog www.dielavoir.com. Buchpublikationen zuletzt: Palas (Edition Art Science, 2018); Landaufnahmen (Limbus Verlag, 2016). 2018 gab sie die zweisprachige Anthologie Armenische Lyrik der Gegenwart — Von Jerewan nach Tsaghkadzor (Edition Art Science) heraus. Khor Virap entgegen draußen Armenien fliegt vorbei es fliegt die Soutane es fliegen und flattern die Ohren des Hundes im Fahrtwind es fliegen die weichen Konturen eines Berges hinter Dunst eine Ahnung Ararat es fliegen die Stunden zu den Minuten hinunter im freien Fall Ararat bald springen Sekunden wie die Brote vom Morgen auf in Jerewans Nachtdunkel es bleibt das Staunen in offenen Miindern es bleibt das nicht Gesagte ohnehin sichtbar auf Bordflachen kleben Regina Hilber Biicher wissen, wann ein neues Kapitel beginnt und wann sie einen Absatz machen miissen. Sie wissen, wann ihre Geschichte zu Ende geht, ob sie ein tausend Seiten Roman sind, oder vielleicht nur eine Novelle. Die Biicher stehen in den Regalen der Menschen. Bei manchen sind sie gut sichtbar auf Augenhöhe zu finden. Bei anderen verstauben sie unsichtbar im hintersten Winkel und werden vergessen. Manche Menschen nehmen die Bücher oft zur Hand und gehen pfleglich mit ihnen um. Andere besinnen sich erst wieder auf sie, wenn ihr Tisch wackelt. Manche Bücher stehen in bestimmten Regalen für immer. Sie werden zwar ab und zu umgestellt, bleiben aber. Andere Bücher werden irgendwann aussortiert, werden verschenkt oder am Flohmarkt verkauft. Auch wenn das traurig ist, bringt es die Chance mit sich, jemand Neuen zu treffen, den man sonst nie kennengelernt hätte. Am schönsten ist es natürlich, wenn die Bücher im Regal verbleiben, weiterempfohlen werden und so in weitere Regale einziehen dürfen.