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Elisabeth Malleier Die Fragestellung zu Südtiroler Umsiedlerfamilien im „Reichsgau Sudetenland“ hat sich aus ZeitzeugInneninterviews entwickelt. Die Interviews erfolgten im Rahmen eines Zukunftfsfondsprojekts zum Thema „Kindheit und Opüion“.! Die Archivrecherchen zum Thema erfolgten —zum Teil auf eigene Kosten — im Staatsarchiv in Prag und im Bundesarchiv in Berlin im Bestand des RKE, sowie im Südtiroler Landesarchiv in Bozen und im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck. Einen Teil des Projekts - insgesamt acht Monate vom 1. Juni 2019 bis 31. Jänner 2020 -, hatte ich die Möglichkeit, die Forschungen im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses — gefördert durch die AMS-Aktion 50+ — bei der Theodor Kramer Gesellschaft durchzuführen, wofür ich mich herzlich bedanke. 1. Grundlegend für diese Forschungsarbeit war eine gründliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in der Tschechoslowakei. Dies schließt auch die kritische Auseinandersetzung mit Begriffen wie „Sudetenland“ und Sudetendeutsche“, sowie der Darstellung der Bevölkerungsvielfalt in den Grenzgebieten mit ein. Weiters ist die Umsiedlung von SüdtirolerInnen ins „Sudetenland“ in den größeren Kontext der nationalsozialistischen Idee der „Germanisierung des Ostens“ sowie der Funktion der „Volksdeutschen“ in diesem Gebiet zu stellen. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit Frauen- und Geschlechterbildern in der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“. 2. Ein weiterer Forschungsschritt ist die Auseinandersetzung mit den Anfängen der Umsiedlung von SüdtirolerInnen ins Sudetenland. Bereits in einer Rede von Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei und späterer Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, vom 30. Mai 1939 wurde Nordmähren als Teil des zu „germanisierenden“ Ostens und als potentielles Ansiedlungsgebiet für Südtiroler UmsiedlerInnen genannt. Mit der Errichtung des „Ansiedlungsstabes Sudetenland“ im Herbst 1942 durch Konrad Henlein - d.h. nach der Ermordung Reinhard Heydrichs? und der darauffolgenden Terrorwelle gegen die tschechische Bevölkerung -, wurden von oflizieller Seite Pläne zur Umsiedlung von SüdürolerInnen konkretisiert. Zu diesem Zweck wurden den NS-Organisationen wie der ADERSt‘, der DUT* und dem „Ansiedlungsstab Sudetenland“ sog. „Besichtigungsreisen“ von Umsiedlungswilligen SüdtirolerInnen organisiert. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Stellen — wobei es im Grunde um die Frage ging, wer das Recht hatte die „Beute“ zu verteilen und welche Klientel dabei als erstes zum Zug kommen sollte. Die verschiedenen zum Zweck der Umsiedlung geschaffenen ; “a \ 5 a] 7 A _ Stellen, deren Aufbau und Vernetzung waren ebenfalls Gegenstand der Forschungsarbeit. Die Ansiedlung der Südtiroler war insbesondere verbunden mit der Vertreibung von tschechischen Bauern und Bäuerinnen. Dabei war auch zu untersuchen, mit welchen Methoden und auf welche Weise die Vertreibung und Enteignung mit dem Anschein des Legalen versehen und Aufgrund verschiedener ns-Gesetze und Erlasse durchgeführt wurde. 3. Das Hauptmaterial zu den Südtiroler UmsiedlerInnen selbst besteht hauptsächlich aus den sog. DUS-Akten? und einigen wenigen DUT-Akten zu den einzelnen Familien, die ich im Sommer 2019 in Innsbruck gesichtete habe (insgesamt über 100 Akten). Seitens der Südtiroler UmsiedlerInnen waren nicht alle gut informiert. Viele erwarteten sich eine Verbesserung ihrer Lebenssituation, doch schienen manche von ihnen durchaus auch die Verschlechterung der Lebenssituation anderer Menschen (in diesem Fall vor allem TschechInnen) in Kauf genommen zu haben. Nach den sog. „Besichtigungsfahrten“ entschieden sich allerdings viele SüdtirolerInnen, doch nicht ins Sudetenland zu ziehen; andere stimmten zu und wurden ab Ende 1942 und insbesondere 1943 „abberufen“. 4. Anhand einzelner Fallbeispiele wird das Procedere der Umsiedlung, die Lebenssituation und die = ug tas ‘(of x 2 ae ae. Dezember 2020 55