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Schwierigkeiten der Südtiroler UmsiedlerInnen vor Ort geschildert. Dabei kann in einzelnen Fällen auf ZeitzeugInnenberichte und auf Briefe der UmsiedlerInnen selbst zurückgegriffen werden, aber auch auf Berichte von NS-Behörden. Vielen UmsiedlerInnen wurde nach und nach klar, auf was sie sich eingelassen hatten, und sie wollten bereits nach wenigen Monate wieder weg, was von den NS-Stellen mit Missfallen zur Kenntnis genommen wurde. 5. Abschließend wird noch versucht nachzuzeichnen, wie sich das Kriegsende und die Flucht zurück gestalteten. Nach den Informationen aus den Akten scheinen viele der „Ostsudetenflüchtlinge“ aus Südtirol in Nordtirol gestrandet zu sein, beispielsweise in Schwaz und im Südtiroler Flüchtlingslager Siglanger in Innsbruck; andere kehrten „schwarz“ über die Grenze nach Südtirol zurück. Anmerkungen 1 Zukunftsfonds Österreich, P18-3330; Laufzeit: Mai 2019 — November 2020. 2 Reinhard Heydrich (1904 — 1942), SS-Obergruppenführer, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und Stellvertretender Reichsprotektor im Protektorat Böhmen und Mähren. 3 ADERST auch: ADEuRSt: Amtliche Deutsche Einund Riickwandererstelle. 4 DUT:Deutsche UmsiedlungsTreuhandgesellschaftm.b.H. 5 DUS: Dienststelle Umsiedlung Siidtirol, Innsbruck. Wer sich sein Recht stehlen lässt, der zweifelt an seinem Recht! Zweifelt ihr? Fritz Rosenfeld lenkt in seinem Fortsetzungsroman „Johanna“ (erschienen con Oktober bis Dezember 1924 in der sozialdemokratischen „Salzburger Wacht“) das Scheinwerferlicht auf die Seele der am Land geborenen heranwachsenden Waise Johanna, die von einer zu nächsten Hand gereicht wird. Früh zieht in Johanna die Erkenntnis der Ungerechtigkeit ein, und ein Wille aufzubegehren. Aber dieses Aufbegehren ringt nicht nur mit den Hindernissen, die im Außen angesiedelt sind, den Unwägbarkeiten der harten Arbeitswelt, auch das Triebleben — die Innenwelt - verfolgt Johanna und berichtet von der Zeit, in der dieser Roman entstand, von der Erkenntnis der Triebtheorie und ihrer populärwissenschaftlichen Behandlung, wenn etwa die Protagonistin sich dem Eros ausgeliefert fühlt, mit sich hadert und wegen ihrer Fleischeslust geringschätzt. Das Frau sein an sich hat etwas Unentrinnbares: ,,... weil sie Weib war und die Natur sie zum Unterliegen geschaffen hatte“. (S.52) Ein Innehalten in der Raserei der Ungerechtigkeit erfährt Johanna in der Liebe zu einem angehenden Schriftsteller, der ihr „das Gedicht von dem Weibe, das die Welt durch den Schmutz gezerrt und das doch rein geblieben“ (S.118) widmet, das aber niemand abdrucken will. Vielleicht schreibt Fritz Rosenfeld sich hier in die Erzählung ein. Als der 22-Jährige den Fortsetzungsroman „Johanna“ verfasste, war er erst seit kurzem journalistisch tätig, trat ein Jahr vor Erscheinen von „Johanna“ in die Kulturredaktion der Arbeiter-Zeitung ein, war „zunächst noch ‚Mädchen für alles““, bekam „als Jüngster, den Rest - die unwichtigsten“ Aufgaben und „überhaupt herrschten in der Redaktion durchaus schwierige Bedingungen“. (zitiert nach: Brigitte Mayr, Michael Omasta (Hg.): Fritz Rosenfeld, Filmkritiker. Wien: Filmarchiv Austria 2007, S.16) Der Schriftsteller, der erste Mann, den Johanna liebt, ist seinerseits absturzgefährdet; auch er droht an dieser Welt zu scheitern. Die Beschreibung sozialer Missstände, die Auseinandersetzung mit der Ungerechtigkeit und das Pochen auf Recht, das in der Traumszene des Romans einen Höhepunkt erfährt, so Primus-Heinz 56 ZWISCHENWELT Kucher in seinem Nachwort, bilden „die Brücke zum Sprechchorwerk, zur Kerker-Metaphorik und zur Erlösungsidee durch Solidarisierung und Kampf“. (S.173) Der Schriftsteller-Aspirant erhält ein Angebot, in die USA zu gehen, und will, dass Johanna ihn begleitet. Das Erlösung versprechende Angebot nimmt Johanna jedoch nicht an. Sie fürchtet Abhängigkeit und bezweifelt ihre Möglichkeit zur Ireue, erliegt abermals ihrem Leib und seinem Begehren. Fritz Rosenfeld wird neun Jahre später (1933) die Frauenfiguren des Films kritisch typisieren: Der Film steht daher bei der Behandlung aktueller Themen scheinbar auf der Seite der Frau, wie er bei der Darstellung sozialer Konflikte scheinbar auf der Seite der arbeitenden Menschen steht. In Wirklichkeit propagiert er die Moralanschauungen der GrofSvater. Er ist durch und durch konservativ, er spielt immer die Ideale von gestern gegen die der Gegenwart aus. ... Erzeugnis der kapitalistischbürgerlichen Gesellschaft, verteidigt der Film immer die herrschende Moral, die die Moral der herrschenden Klasse ist. Die grofse Kokette, die das Vermögen ihrer Anbeter verschwendet, oder das kleine Dirnchen, das aus Zwang des Blutes von Mann zu Mann wandert, sie enden in den ach, so moralischen Filmen beide zumeist kläglich im Armenhaus oder im Spital. (zitiert nach: Fritz Rosenfeld (1933): „Frauen im Film“. In: Mayr, Omasta, S.379) Rosenfelds Johanna läuft durchaus Gefahr, in diesem Sinne verstanden zu werden. Der innere Kampf Johannas zeugt allerdings von einem differenzierten Bild. Es ist ein Kampf, der von Auflehnung und Revolution berichtet. Das Bild des sich prostituierenden, hungernden, immer wieder von Begehren gepeinigten und verwitternden Körpers der — mittlerweile Mutter gewordenen — Johanna, begleitet den/ die LeserIn in dem ,,Crescendo bereits erlebter Abstiegsspiralen in neuen Variationen“ ... und in dem „Stakkato weiteren Wirbelns nach unten in die Obdachlosigkeit und Bettelei*. (P-H. Kucher, S.173.) Der malträtierte Körper der Frau wird dabei zum Sinnbild eines Missstands, den der Autor anprangert. Damit wird das Bild der Sünderin, die bestraft werden muss, brüchig. „Mein Leib ist ein Sumpf, in den jeder spuckt, mein Leib ist ein Ding, das jeder kauft... .keine trug, was ich trage....“ (S.144), tönt es in dem wirren Traum Johannas. 1934, zehn Jahre nach dem Abdruck von „Johanna“ und im Jahr, in dem Fritz Rosenfeld nach Prag flüchtete, entstand - ohne Rezeption in Europa und somit ohne den Filmkritiker Fritz Rosenfeld zu erreichen - in Shanghai der Film „Shennü“ („Die Göttin“) unter der Regie von Wu Yonggang. Dies scheint deswegen erwähnenswert, da dieser in ähnlicher Weise den misshandelten Frauenkörper als Projektionsfläche für Verfall und krankhaften Zustand eines zu kritisierenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems heranzieht. Die namenlose Frau, die Wu Yonggang in seinem Film beschreibt, spiegelt die Doppelbedeutung des Begriffs „Shennü“ wider, denn einerseits war „Shennü“ eine Bezeichnung für Prostituierte, andererseits repräsentiert das „Göttliche“ auch den hohen moralischen Anspruch, den diese Frau in ihrer Rolle als aufopfernde und selbstlose Mutter stellt. Hierin liegt eine weitere augenfällige Parallele zu Johanna. Die Metapher der Prostitution wurde in der Republik China von vielen Künstlern und Intellektuellen eingesetzt, um Kritik an den gesellschaftlichen Missständen der Nation zu üben. Wie Johanna auch, verflucht sich die Protagonistin und stellt sich selbst an den Pranger. Ein markanter Unterschied ist jedoch der Ausgang der Erzählungen. Denn während sich in Wus Film ein Schuldirektor des Kindes der zur Gefängnishaft verurteilten Protagonistin erbarmt, verendet Johanna elendiglich und das Schicksal ihres zurückgelassenen Kindes ist ähnlich determiniert wie das ihre. Der patriarchal-konfuzianische Anklang des Filmes hat in Fritz Rosenfelds Welt keinen Auftrag. Der Kampf gegen den Verfall sittlicher Werte hingegen schon. Rosenfeld schließt seine Kritik „Frauen im Film“ mit den Worten: Die proletarische Frau, von deren Eintrittsgeldern die Filmindustrie lebt, kennt der Film überhaupt nur in der verzerrten Gestalt der armen Kirchenmaus, der Stenotypistin, die den Klassenkampf ablehnt, weil die Klassensätze ja ohnehin vor dem Traualtar ausgeglichen werden. Hier Abhilfe zu schaffen ist Sache der Frau selbst; ... solange die Frauen ihre Macht als Kinobesucher ungenützt lassen, werden sie im Film der bürgerlichen Welt seelenlose Puppen