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für schwierige Mädchen in Parma gelebt hatte, schaffte es, aus dem Krankenhaus in Zwiefalten zu fliehen. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. In einigen Fällen dürfte das Leben vor der Internierung in der Psychiatrie kaum weniger schrecklich gewesen sein. Der junge Eduardus kam aus einer slowenischsprachigen Familie, er war gehérlos und war zu Hause teilweise angekettet worden. Er starb 16-jahrig in Zwiefalten nur wenige Monate nach seiner Ankunft, angeblich an “Bauchfellentziindung”. Margaretha starb im Jahr 1942 mit 29 Jahren, ihre Todesursache ist unbekannt. Zu den Uberlebenden der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik gehörten Emilia und Josef. Sie kehrten jedoch beide nicht mehr in ihre Heimat zurück, sondern starben hochbetagt in Deutschland, so wie dies auch bei manchen SüdtirolerInnen passiert ist, die man nach Kriegsende jahrzehntelang einfach vergessen Walz Widerstand Wiederaufbau In der Vorbemerkung schildert Halbrainer den Grund, dies Buch zu machen über Sepp Filz (1906 — 1994), den Arbeiter aus dem Industriegebiet Leoben-Donawitz. „Als im Mai 2020 an den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus erinnert wurde, wurden wieder einmal Karl Renner oder Leopold Figl als zentral Handelnde in den Mittelpunkt gestellt. Kaum ein Wort wurde hingegen über jene verloren, die bis zum 8. Mai 1945 im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv waren.“ (S.7) Der Autor kannte Filz seit Anfang der 1990er Jahre persönlich und hörte von ihm immer wieder: „Interessant ist, dass das nirgends steht!“ Gemeint sind die Kämpfe der Arbeiter und die Widerstandsbewegung im Bezirk Leoben. In der unveröffentlichten Diplomarbeit (1993) stellte der Autor das Leben von Filz bereits dar. Quellen waren etwa Akten der Stadt Leoben und der Alpine Montangesellschaft aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, auch Polizei- und Gerichtsakten im Steiermärkischen Landesarchiv und im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Dazu kommen die Aufzeichnungen von Gesprächen mit Sepp Filz und dessen Manuskripte (16 Titel in der Literaturliste). Die Gespräche sind von einer Unmittelbarkeit, etwa wenn der alte Mann dem Autor erzählt, dass — vor dem Ersten Weltkrieg — die Mutter aus der Zeitung „Arbeiterwille“ den fünf Kindern und dem Vater vorlas, wenn der nach einem zwölfstündigen Arbeitstag aus Donawitz heimkam und beim Vorlesen erschöpft einschlief. Die Eltern waren in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), der „Arbeiterwille“ war „das Organ des arbeitenden Volkes für Steiermark und Kärnten“. (S. 12) Chronologisch verquickt das Buch die gesellschaftlich-politische Entwicklung mit der hat. Der Grödner Pepi Demetz (1916 — 1998), der in Zwiefalten starb, ist ein Beispiel dafür. Es ist wichtig, in solchen engagierten Projekten und lokalen Initiativen wie jenem in Udine - sie finden vereinzelt auch in Südtirol statt —, die Menschen wieder in Erinnerung zu rufen, die mit ihrer Ermordung vollkommen ausgelöscht werden sollten — aber auch jene, die der Mordmaschinerie entkamen und die trotzdem in der Weltgeschichte verloren gingen, weil ihre Rückkehr auch nach dem Ende der NS-Herrschaft nicht erwünscht war. Elisabeth Malleier Dove ci portate? Wohin bringt ihr uns? Kam nas peljete? A cura di Paolo Ferrari, Kirsten Maria Diisberg. Udine: Verlag Kappa Vu 2018. (Mit Beiträgen von Sefan Lechner, Lara Magri, Gian Paolo Gri, Mario Novelle, Maria Angela Biografie von Filz. Er— nach der Schlosserlehre im Hüttenwerk Donawitz - erlebte ab 1922 die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft („Scharnierjahre in der steirischen Geschichte“). Vor und nach 1918 gab es Hungersnot — 90% der Kinder waren unterernährt, Ungarn und Tschechoslowakei stoppten nötige Lieferungen von Kartoffeln, Getreide und Obst. Halbrainer schildert den Mangel und die Folgen der Inflation. Filz tritt 1922 der KPÖ bei, geht nach der Lehre über Vorarlberg nach Deutschland. Detailreich und sozialgeschichtlich lesenswert ist die „Walz“ 1924 bis 1932, zuletzt von Holland über Frankreich, Algerien, Nordafrika-Suez. Dort ausgewiesen, geht Filz 1932 zurück nach Donawitz, arbeitslos (Donawitz — 1930: 3 518 Arbeiter, 1932 nur noch 804). (S. 70) In Österreich radikalisiert sich die Gesellschaft, Filz ist ab 1932 politisch aktiv, wird kurz verhaftet. 1934 wenden sich manche früheren Sozialisten der KPÖ zu. Filz arbeitet am Bau und in der Landwirtschaft. 1935 ist er in Moskau am VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, hält daheim Vorträge gegen Faschismus und Krieg, agitiert in illegalen Zeitungen. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 scheitert die KPÖ. an der Errichtung einer „Arbeitereinheitsfront“ mit den Sozialisten. (S. 117) Die Repressalien gegen die Gegner des Regimes nahmen zu. Durch Kontakte zu „Fremdarbeitern“ entschloss sich Filz, mit einem Freund 1943 „zu den Partisanen nach Jugoslawien“, nach Krain zu gehen. (S.135) Nach einigen Monaten folgten sie dem Vorschlag der slowenischen Widerständler, in der Steiermark als Partisanen zu wirken. Vom Stützpunkt Irofaiach aus arbeitete die „Partisanengruppe“ des Sepp Filz mit gefährlichen Aktionen gegen das Regime. Einige Bertoni, Renzo Bonn, Michela Vogrig, Raimondo Domenig, Anna Wedam, Lucioano Lister.) Anmerkungen 1 Tagung vom 18. Februar 2017 im Museo Etnografico in Udine und Tagung anlässlich 80 Jahre Rassegesetze und 40 Jahre Basaglia-Gesetz (legge 180) am 15. November 2018 im Palazzo D’Aronco, Udine. Hinzuweisen ist hier auf die verdienstvolle Reihe 180 — Archivio critico della salute mentale, die seit vielen Jahren von Aldo Mazza, Verlag Alphabeta in Meran herausgegeben wird: http:// www.alphabetaverlag.it/180 2 Stefan Lechner: Die Absiedlung der Schwachen in das ‚Dritte Reich‘. Alte, kranke, pflegebedürftige und behinderte Südtiroler 1939-1945. Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs, Bd. 40. Innsbruck: Universitätsverlag 2016. 3 Giuseppe Pantozzi spricht von Verschleppung; siehe: G. Pantozzi: Die brennende Frage. Zur Geschichte der Psychiatrie in den Gebieten von Bozen und Trient (1830-1942). Bozen 1989; Original: Gli spazi della follia. Trient 1989. Kameraden kamen dabei ums Leben, Filz erlitt 1944 Verletzungen. Am 8. Mai 1945 kehrte er ins Hüttenwerk Donawitz „direkt aus den Bergen“ zurück als „der Führer der Österreichischen Freiheitsbewegung — OFF — in Leoben und jetziger Vorsitzender der Kommunistischen Partei“, so der damalige Direktor devot an die Sieger - in der Steiermark war das für einige Monate die Rote Armee. (S. 162-165) Viele Angehörige der nationalsozialistischen Eliten entkamen in den „Westen“. In Leoben übernahmen Filz und seine Genossen die öffentlichen Funktionen und versuchten alles, damit die Betriebe in Leoben-Donawitz nicht zum Stillstand kamen. „Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung sowie die Wiederingangsetzung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft und die Ein Donawitzer Arbeiter auf der Walz im Widerstand und beim Wiederaufbau Heimo Halbrainer SEPP FILZ Dezember 2020 59