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machen gegen die unabhängige Justiz und gegen kritische Medien. Der Populist zelebriert die Missachtung dessen, was allgemein zum Wertekatalog gerechnet wird. Mit seinen Auslassungen über Minderheiten, über Andersdenkende, über Frauen zeigt er an, zur Grenzüberschreitung bereit zu sein. Sein Programm ist offenkundig er selbst — und in diesem Sinne kennt er keine Halbheiten. Das ist seine Haltung. Er greift nach der ganzen Macht. Die Frage ist indes, was angesichts dieser Kräfte jene tun, die versichern, für die parlamentarische Demokratie einzutreten. Sind die Fraktionen der Mitte bereit, den Feinden der offenen Gesellschaft zu widerstehen und ihnen entgegenzutreten? Es ist erst wenige Monate her, da rief Donald Trump seine Fans auf, das Kapitol zu stürmen. Sie hatten angekündigt, schwarze und jüdische Abgeordnete zu Iynchen. Die bewaffneten Aufständischen drohten mit der Ermordung von Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses und errichteten für den republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence einen Galgen vor dem Gebäude. Fünf Menschen starben an jenem Tag. Auch republikanische Abgeordnete rannten um ihr Leben, doch nun sind sie zu feige, um Trump endlich in ihrer Partei zu entmachten. Ihre Angst vor den Rechten im eigenen Lager ist so groß, dass sie sich ihnen ausliefern. Es heißt ja, es gebe Menschen, die so eine dicke Haut haben, dass sie ohne Rückgrat geradezustehen vermögen. „Haltung“, so hieß das Buch, das Reinhold Mitterlehner, der vorherige Obmann der österreichischen Volkspartei, vor zwei Jahren verfasste. Er beschrieb darin, wie erbeiseite gedrängt wurde von einer Politik, die nur der Meinungsumfragen wegen alle christlichen Grundwerte verwirft und sich dem Pakt mit den Freiheitlichen ausliefert. Der Kanzler bedient Ressentiments gegen die Europäische Union. Ein Politiker rühmt sich, die Grenzen für all jene gesperrt zu haben, die vor Mordregimen fliehen müssen. Jene, die auf hoher See das Leben der Versinkenden zu retten versuchen, indem sie ihr eigenes aufs Spiel setzen, werden als Gesetzesbrecher verurteilt. Die unabhängige Justiz wird, wenn sie gegen eigene Minister ermittelt, diskreditiert. Freie Medien, die dieses Doppelspiel kritisieren, werden diffamiert. Wie verlogen war es doch, eine Koalition mit Rechtsrechten einzugehen, um hernach erstaunt zu tun, wenn in ihren Burschenschaften der Mord an Millionen Juden besungen wird, wenn sie das Bundesamt für Verfassungsschutz stürmen lassen, wenn sie auf Ibiza die Republik zum Verkauf anbieten. Wen wundert's, dass die Freiheitlichen nun mitten in einer Pandemie gemeinsam mit gewaltbereiten Neonazis demonstrieren? Wieso sollten jene, die kein Problem mit Auschwitzleugnern haben, nicht auch frech lügen, um die Gefahr der Seuche kleinzureden? Selbstverständlich war bereits 2017 bekannt, welcher Ungeist die Freiheitlichen umtreibt. Aber dieser heimische Hang zum Selbstbetrug hat Tradition. Den Freiheitlichen wird gerne vorgeworfen, keine klare Haltung gegenüber der nazistischen Vergangenheit zu haben, doch die Wahrheit ist, ihre Einstellungen waren seit jeher ziemlich eindeutig. Die demokratischen Fraktionen waren es, die jahrzehntelang an der Lüge von einem nationalen Unschuldskollektiv festhielten. Haltung ist der Prüfstein für die eigene Gesinnung. Im Ernstfall zeigt sich, ob eine Person wirklich meint, was sie sagt. Es gibt jedoch auch ein Zuviel an Haltung. Wer täglich Alarm schreit, dem wird zurecht nicht mehr zugehört. Wenn immerzu der Ausnahmezustand herrscht, wird die Freiheit nicht verteidigt, sondern eingeschränkt. Während der Hohn der Hetzer zunimmt, 8 _ ZWISCHENWELT grassiert zugleich unter jenen, die dem Hass entgegentreten wollen, eine Unerbittlichkeit gegenüber jedem kleinen Widerspruch zum vermeintlich wahrhaft Guten. Bekämpft werden so nicht die Scharfmacher, sondern alle eigenständig Denkenden. In so einem Klima allgemeiner Erregung ist es leicht, mit abseitigen Zoten, mit einschlägigen Klischees oder mit kruden Verschwörungsmythen seinen Scherz zu treiben und die falschen Lacher hervorzukitzeln, um hernach zu behaupten, das sei doch bloß Satire. Haltung bedeutet oft auch Zurückhaltung, Nicht jede Diskussion muss zum Zerwürfnis werden, sonst wird nicht eine Meinung abgelehnt, sondern sogleich die Existenzberechtigung desjenigen, der sie vertritt. Als in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts der Dichter Peter Huchel von der Staatssicherheit der DDR überwacht und isoliert wurde, widmete Wolf Biermann ihm das Lied „Die Ermutigung‘: Du, lass dich nicht verhärten In dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen Die allzu spitz sind, stechen Und brechen ab sogleich. Selbst in den Tagen der Unterdrückung fand Biermann zu einem Ton der Hoffnung. Ich weiß nicht, ob ich unter solchen Bedingungen zu so viel Zuversicht fähig gewesen wäre, doch heute sollte es viel leichter fallen, ohne Verbitterung und Starrsinn, sondern mit Esprit und Humor für die offene Gesellschaft, für die Demokratie und für die Menschenrechte zu streiten. Es braucht in unserer Gegenwart gar nicht viel Mut, um für Asylsuchende die Stimme zu erheben. Aber es gibt Auseinandersetzungen, die eine klare Haltung verlangen. Das lehrt auch die Salzburger Bücherverbrennung von 1938, der wir heute gedenken. Sie zielte - anders als jene 1933 in Deutschland - nicht nur gegen jüdische und linke Intellektuelle, sondern ebenso gegen Persönlichkeiten des Austrofaschismus. Nichts hatte es dem Ständestaat geholfen, noch 1936 ein Juliabkommen mit dem Dritten Reich zu schließen, daraufhin alle Propaganda gegen den Nationalsozialismus zu unterdrücken, die inhaftierten Nazis zu amnestieren und Edmund Glaise-Horstenau zum Minister zu ernennen. Nichts hatte es damals den Christlich-Sozialen gebracht, die Demokratie zu zerstören. Viele Politiker der österreichischen Diktatur wurden in Konzentrationslager gesperrt. 1958 sagte Erich Kästner in Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr an! Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. (...) Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, che sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders. Nicht des Heroismus.“ Noch stürzt keine Lawine auf uns herab, aber nicht nur in Ungarn, nicht nur in Polen gerät die Grundlage von Demokratie und Rechtsstaat ins Rutschen. Wer gerne mit Nazis marschiert, hat in der Regierung nichts zu suchen. Wer mit Rechtsextremen koaliert, wagt den Aufstieg auf abschüssigem Terrain. Wenn wir nicht allesamt hinabgerissen werden wollen, gilt es dagegen aufzutreten und Haltung zu zeigen. Doron Rabinovici, vielfach ausgezeichneter Schriftsteller und Historiker, u.a. mit dem Jean-Amery-Preis (2002) und dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln (2015).