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Lisa Emanuely Eine Helle im Augenwinkel Überlegungen zu Angst und Angstbegegnung in der Pandemie Es ist Zeit, sich zu besinnen. Wir suchen offenbar nach einer Einsicht, die uns das Wesen der Angst erschließt, nach einem Entweder— Oder, das die Wahrheit über sie vom Irrtum scheidet. Aber das ist schwer zu haben, die Angst ist nicht einfach zu erfassen.‘ (Sigmund Freud) Wie ist das, wenn es zu einer „Naturkatastrophe“? in Form einer Pandemie kommt, und wir uns inmitten eines Virusgeschehens befinden, das sich — insbesondere in Niedriginzidenzphasen — geräuscharm benimmt und schwer einschätzbar macht, wie stark die Erde gerade bebt? Die Initialphase der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 mitall den drohenden Gefahren und Gefahrenszenarien, den realen (bereits dokumentierten) und den imaginierten (Schwere der Erkrankung, Folgen etc.), hat bei einer Vielzahl an Menschen Unsicherheit und Angst erzeugt. Die Angst — dieses Affektgeschehen, das „nicht einfach zu erfassen“? ist — scheint auf wenig Akzeptanz zu treffen. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärt am Nationalfeiertag Angst — zusammen mit Wut — zu schlechten Ratgebern‘. Wenn man jedoch nach Freud geht, so ist der Angst eine Lanze zu brechen: „Ich glaube nicht, dass die Angst eine traumatische Neurose erzeugen kann; an der Angst ist etwas, was gegen den Schreck und also auch gegen die Schreckneurose schützt.“, schreibt Freud in Jenseits des Lustprinzips. In der medialen Öffentlichkeit wird gemeinhin von Sorge gesprochen. Expert_innen, Politiker_innen werden beständig gefragt, ob ihnen zu diesem oder jenem Zeitpunkt — zum Beispiel zum Auftreten der Mutation B.1.1.7 — etwas Sorge bereiten würde. Wenn die Vermutung stimmt, sich in manche Sorge Angst verkleidet hat, so soll sie nicht das sein, was sie ist: soll die Angst nicht Angst sein, weil das der Angstentwicklung zu zuträglich wäre, so sei sie Sorge — ein ebenfalls nicht einfach zu erfassender Affekt, der vielleicht weniger mit Kontrollverlust assoziiert ist, dem im Sinne Foucaults Selbstsorge° auch etwas Ermächtigendes zu Teil wird. So sich die Angst in der Sorge tarnen muss, hätte sich das Ich allerdings bereits zur Wehr gesetzt, wurde die Abwehr wirksam. Wenn man Freud folgt, bedeutet die Angst noch kein In-Schrecken-versetzt-sein sondern sie versetzt uns in einen Zustand, der den Schrecken im besten Falle verhindern kann. Freud, der der Angst an den Leib gerückt ist, sie in ihre verschiedenen Momente zerlegt hat und ihr für unsere Selbstbewahrung viel abgewinnen konnte, sieht die Angst ähnlich einem Impfstoff: ein Vorwegnehmen einer basierend auf Erfahrungen zu antizipierenden traumatischen Situation.’ Wesentlich scheint an dieser Stelle auf die von Freud 1926 in „Hemmung, Symptom und Angst“ ausgearbeitete zweite Angsttheorie hinzuweisen: „Die automatische Angst steht für Freud im Gegensatz zum Angstsignal“®. Das Angstsignal ist es also, das gleich einer Impfung wirksam wird: „in einer abgeschwächten Form die ursprünglich in einer traumatischen Situation erlebte Angstreaktion reproduziert, was die Auslösung von Abwehroperationen ermöglicht.“? Nun ist der Signalton über das letzte — erste — Jahr der Pandemie zu einem Dauerdröhnen angewachsen. Die Zeitkomponente mag das Bild der Impfung Freuds aushebeln und lässt vermuten, dass die Angst uns nicht nur punktuell trifft, dass das Angstsignal, das Leo Rangell - zum Gefahrensignal erweitert — ein anhaltendes ist. Auch wenn Rangell die Unterscheidung Freuds zwischen automatischer Angst und Angstsignal aufhebt und vorschlägt: die Angst immer als Gefahrensignal zu verstehen'”, so ist für beide Zugänge festzuhalten, dass es sich um eine Reproduktion der Angst handelt. Das heißt, die neu erlebte Angst rekurriert auf eine „alte Angst“, die nun im Angesicht der Gefahrensituation aufgerufen wird ....sowohl als automatisches Phänomen wie als rettendes Signal, zeigt sich die Angst als Produkt der psychischen Hilflosigkeit des Säuglings, welche das selbstverständliche Gegenstück seiner biologischen Hilflosigkeit ist." Wir werden also unabdingbar mit schr früher Affektlandschaft konfrontiert. Ob nun die „Vorrichtung“ Angstsignal im Sinne Freuds gelingt, mittels der das Ich die Überwältigung durch die Reizanflutung vermeiden kann oder ob das Angstsignal nicht hilfreich werden konnte, die Angstentwicklung fortschreitet und es zu einer nicht bewältigbaren Reizanflutung kommt, hängt nebst den äußeren Quellen traumatisierender Reize auch von den inneren ab, die sich als Triebregungen melden." Das nachhaltige Drängen von Affektanspruch bzw. dem bestehenden Triebanspruch macht das Ich wehrhaft. Das Sträuben des Ichs gegen unerträgliche Vorstellungen und Affekte passiert über unterschiedliche Mechanismen. Freud hat in „Hemmung, Symptom und Angst“ den zuvor verworfenen Begriff der Abwehr wieder eingeführt, ihn allerdings mit neuer Bedeutung aufgeladen - ihn als Überbegriff für Mechanismen der Wehrhaftigkeit des Ichs verwendet und den zwischenzeitlich bedeutungsähnlich gebrauchten Terminus Verdrängung nun als einen „Spezialfall der Abwehr“? etabliert. Anna Freud sieht so in der Theorie Raum geschaffen „für andere Vorgänge, die dieselbe Tendenz, nämlich „Schutz des Ichs gegen Triebansprüche“ verfolgen. Die Finalität der Abwehr sei die Tendenz, die Integrität und die Konstanz des Ichs aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen und jede Störung, die subjektiv als Unlust empfunden wird, zu vermeiden." Das Praventionsparadox bzw. Praventionsparadoxon”, das nach Eindämmen des ersten exponentiellen Anstiegs der mit Sars-Cov-2 Infizierten — der „ersten Welle“ - in den Europäischen Ländern beobachtet wurde, ist ein Sendebote der Abwehrmechanismen des Ichs. Den Begriff Präventionsparadox'° wandte der deutsche Virologe Christian Drosten’’ im April 2020 auf das Phänomen zunehmender Verdrossenheit und zunehmenden Unverständnisses gegenüber Präventionsmaßnahmen an. Das Präventionsparadox bezeichnet das In-Frage-stellen von Präventionsmaßnahmen, wobei es sich nicht um Kritik an Einzelmaßnahmen handelt (wie z.B. den rigorosen Eingriffen in Grundrechte) sondern überhaupt in Frage gestellt wird, ob es Maßnahmen bedurft hätte und das Einfordern der Abschaffung solcher Maßnahmen. Der Erfolg der Prävention"® ist dabei justament der Nährboden für dieses Infragestellen. Die Gefahr durch das neuartige Virus sahen viele im Frühjahr und im Sommer 2020 gebannt und die Ausbreitung Juni 2021 9