OCR
... Insgesamt läuft das Projekt zwei Jahre: Im zweiten Jahr soll die Lehrkraft ihr Wissen und ihre Erfahrung in der Schule so umsetzen, dass sie als Multiplikator für die Themen fungiert, mit denen sie sich im Vorjahr befasst hat...“ Abgesehen davon ob es rechtlich überhaupt möglich ist, dass ein Lehrer als Leiharbeiter zeitweise in der Privatwirtschaft arbeitet, ist dieses Hineinregieren der Wirtschaft in die öffentlichen Schulen konsequent zu verhindern. Die Ideologie von Wirtschaftsunternehmen hat in öffentlichen Schulen nichts zu suchen. Den Aufschrei des bürgerlichen Lagers, sollte der ÖGB eine ähnliche Aktion zu den Themen: Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Pensionsversicherung, Konsumentenschutz, Gleichbezahlung für Frauen und Männer planen, können wir uns alle vorstellen. Gewerkschaften, Arbeiterkammern und VKI versuchen durch Anschauungsmaterial, das in den Schulen verteilt wird, die LehrerInnen ihrerseits durch gezielte Informationen im Unterricht, die Schüler gegen aggressive Werbemethoden von Banken, Handyfirmen und Unterhaltungskraken zu immunisieren. Diese Versuche werden durch das Ansinnen der Wirtschaft, die Lehrer auf die andere, auf ihre Seite zu ziehen, konterkariert. Ist es nur die Ablenkung durch Corona, dass die Sozialdemokratie diesen Angriff der Wirtschaft aufunsere Schulen nicht wahrnimmt? Dann wäre es aber Zeit: „Das Projekt „Seitenwechsel“, das von der „Mega Bildungsstiftung“ unterstützt wird, startet im September 2021.“ In der Tagespresse blieb es zunächst bei diesen zwei Artikeln vom 9. Dezember. Hat sich das Projekt in Luft aufgelöst? Ganz im Gegenteil: Am 2. März 2021 („Kurier“, S. 11) wird der Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) unter dem Titel „Wirtschaftsbildung: Blümel denkt an Finanzführerschein“ zitiert: „Im österreichischen Schulsystem wird deutlich zu wenig Wissen über Wirtschaft und Finanzen vermittelt. Das Finanzministerium arbeitet deshalb schon seit Mai 2020 an einer einheitlichen nationalen Finanzbildungsstrategie ...“ Fragt sich nur welches Wissen? Aber es ist wenigstens eine ehrliche Aussage. Wozu brauchen wir für die Schulen noch ein Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung? Die Agenden von Minister Heinz Faßmann könnten im Sinne der Wirtschaft ins Finanzministerium übertragen werden. Die Bediensteten könnten dann in gebotener Sparsamkeit ins Megaministerium von Gernot Blümel wechseln — oder werden eingespart. Aus Sicht der Wirtschaft ist der „Seitenwechsel“ super. Neben den schon vorhandenen Werbeplakaten von privaten Firmen in Österreichs öffentlichen Schulen hängt dann die coole Aufforderung: „Einstiegsaktien schon ab 14. Infostand immer Freitag in der großen Pause. Aktien sind megageil!“ oder auch „Warte nicht, bis Du berufstätig bist. Zahle jetzt schon in Deine Pensionskasse ein. Verlass dich nicht auf den Staat. Der Staat trägt keine Zinsen!“ Nachtrag zu den Eigentumsverhältnissen: Mega-Bildungsstiftung, 1130 Wien, Vorstand: Mag. Norbert Zimmermann, Mag. Sonja Zimmermann, Dr. Peter Pichler, Firmenbuch: HG Wien FN 51409 9d, Stiftungszweck: Förderung des österreichischen Unternehmertums durch die Förderung von Bildungsmaßnahmen, Projekten und Bildungseinrichtungen. Stifter: B&C Privatstiftung, Berndorf Privatstiftung. 18 _ ZWISCHENWELT Bernd Zeller Grenzwertig? Liessmanns ,,Das neue Lob der Grenze“ Bevor man spricht, sollte man denken. Wenn nicht, seinem Sinn entgegengesetzt, als Sprechverbot gegen nicht genehme Einwande vorgebracht, scheint dies ein verniinftiges Gebot. Wie viel mehr gilt es noch fiir das gedruckte Wort, das nicht im nachsten Augenblick schon wieder zurückgenommen werden kann. Denk, bevor du schreibst! Bei Missachtung droht die eigene Beschränktheit unreflektiert den Rahmen für das Geschriebene vorzugeben. Diesen engen Horizont kann auch die Uferlosigkeit abgeben. Und die Beschränktheit der Uferlosigkeit hat Methode. Man nehme einen Begriff und hänge alle darunter subsumierbaren Dinge, unterschiedlichste Bedeutungen und wesensfremde Themenfelder aneinander, schon tanzt ein Reigen munterer Assoziationen und gibt sich als Nachdenken aus. Bestaunen konnte man dies gar nicht seltene Phänomen geistiger Unredlichkeit in den Ausführungen von Konrad Paul Liessmann zum Begriff’ der Grenze. Was ist nicht alles eine Grenze? Wo überall spielt dies Wort eine Rolle? Und welche? Hat die Grenze nicht je nach dem Zusammenhang, in dem sie steht, ganz unterschiedliche moralische Konnotationen? Das wirkt umsichtig, offen, alle Seiten einer Sache betrachtend und ganz und gar unideologisch. Stets das Sowohl-als-auch im Blick blendet den Professor die eigene Scharfsicht. Ein scheinbar endloses Aneinanderreihen von Grenzbegriffen macht jedoch noch keinen Begriff der Grenze. Es spielt bloß den uninteressierten Beobachter, leistet jedoch propagandistische Arbeit, indem es Unterschiede verwischt und über alles gleichermaßen den weisen Blick des Denkers gleiten lässt. Nachdem der Allesdenker in seinem „Das neue Lob der Grenze“ betitelten Artikel in der „Presse“ (24.3.2020) klar gemacht hat, dass durch das Auftreten einer Pandemie die Grenze als positiver Wert wieder zurück ist, sowohl real als auch im Diskurs, stellt er ganz sokratisch die Frage: Was ist denn nun eine Grenze eigentlich? Und er antwortet sich selbst: eine Linie, die Dinge voneinander trennt, die eine ununterscheidbare Masse erst zu bestimmbaren Dingen macht. Ohne sie wäre Denken nicht möglich. Das Grenzenziehen als Grundakt von Erkenntnis. Wie wahr, wie wahr. Um nicht im Sumpf des Unbestimmten zu versinken, muss man trennen und bestimmen. Und jetzt beginnt der Tanz mit den Begriffen, von nun an wird wild gesprungen. Hinein ins Unterscheiden von gesund und krank, infiziert und nicht infiziert, Tirol oder Bayern. Als wären diese Grenzzichungen notwendige Unterscheidungen im Erkenntnisprozess und nicht medizinische, gesellschaftliche, politische und historische Entscheidungen. Schon wird ins Ich gehüpft, um es ebenfalls als Grenze zu bestimmen, zwischen mir und dem Anderen: „wenn es ernst wird, bestimmt die Grenze das, was ich bin: Angehöriger einer Risikogruppe oder eine Gefahr für den Anderen“. Doch nicht die Grenze bestimmt das, sondern jene, die die Grenzen ziehen. Das Funktionale der Grenze verwandelt sich unter der Hand des Allesbeantworters in eine inhaltliche Bestimmung der Grenzgebiete. Liessmann unterschlägt, dass das denknotwendige Unterscheiden noch nicht vorgibt, wo welche Grenzen begrifflich und real gezogen werden sollen. Dies kann natürlich nicht vollends willkürlich geschehen,