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Anmerkung zum Essay von L.M. Schabauer Dieser Artikel oder „Essay“ sei zur Diskussion gestellt, spiegelt er doch eine weniger generations- als zeitbedingte Denkweise wider. In einem diffusen, sich der Parteilichkeit enthaltenden Mitgefühl werden die Opfer des nationalsozialistischen Massenmordens zu einer imaginären Masse ohne Gesicht. Nur vom Krieg ist die Rede, nicht vom Nationalsozialismus. Die Erinnerungen verblassen mit dem zeitlichen Abstand, als gäbe es keine Unterschiede der Bedeutung. Besonders irritiert der pointiert vorgetragene Satz: „... niemand ist verantwortlich für Taten, die begangen wurden, bevor man überhaupt geboren wurde.“ Die Feststellung ist banal. Sie verschiebt aber die Frage auf vergangene Taten, die zu begehen den Nachgeborenen verwehrt bleibt, wo es um Gegenwärtiges Dine Petrik Das Überspringen der Welle Dieses strahlende Monster in Weiß, eine Verblendung, eine Blendung die den Blick zaudern lässt: Fuji? Fujisan? Fudschijama? Offenbart seine Pracht, seinen schneeweißen Schirm vom Himmel herab zum Himmel hinauf, das Standbein verankert im blauen Dunst. Ob er revoltieren wird, eruptieren? Ob er befriedet ist, alt geworden, ein träger Feuerwerker im schneeweißen Cape? Oder mahnt ihn die Göttin Asama zur Ruhe, die Augen geheftet auf ihn, auf jede Bewegung? Eingeschreint und befriedend die Feuergöttin, im Rauch der Stäbchen halluzinogen? Wehrt sie seine Ausbrüche ab oder tun es die Schreine, die Sengen-Schreine an seinen Hängen mit ihren unzählig darin verglühenden Feuerstäbchen? Im Sog des Schauens. Eingekreist von Touristen. Die Wirbel drehen sich und spannen bis — Musiken, Klänge, Töne, Tonkontinuen -fa-, Fasern aus Menschenwebe. Die Braue gehoben, den Blick geheftet auf ihn, bis dann der Sternenhimmel, der riesige, kreisrunde Mond, orangerot und der unrunden Erde ganz nah. Der Bonsay im Augenfenster knickt ein unter ihm. Fudschijama: Von vielen, wie vielen Malern gehalten, gemalt und gebannt. Und doch in die Irre geführt. Oder Worte, in Worte gefasst: Schönheit. Als sei sie zu fassen. Fujisan: Durch Gezeiten geheiligte Ruhe, in unruhigen Nebeldämpfen und Schwefelgestank, in Gründen und Abgründen und Lichternetzen über dem Wasser — Gekräusel wie Diamanten, im Geflüster Unsichtbarer wie klingende Schellen, die Handgelenke stets in Bewegung, ein Klingen der Wipfel, der Lüfte, der Sinne. Fuji: Ein Vulkan. Sein Name nicht übersetzbar, nicht überschätzbar. Erhaben im weißen Stützmieder Frost. Ein Mönch, eine Mönchin die ihn bestiegen, erstmals, egal wann. Bis ganz an den Rand — angestanden, gestanden — und dann. In den Krater geblickt, der Flamme entgegen. Und doch bestanden, dem Sog widerstanden. Ob es ein Taumel ist, eine Blendung? Ob meine geneigte Gestalt schon zum Fallen bereit? Im Rauch der blassgelben Sonne, die irgendwo auf der Bahn. Schon so früh am Morgen. Wann graute der Tag? Tokio Reflexionen. In die Irre geführt. Träume vom Monster in Weiß. Vom Drehen im Kopf an der fernöstlichen Krümmung der Erde. Vom leeren Magen. Vom Sound der Sprache, der Sätze und Silben, vom oft zu hörenden Wort verstrahlt. Vom Zauber 32. ZWISCHENWELT Handeln zu tun ist. Verantwortung tragt man dafiir, den durch die Untaten geschaffenen Weltzustand nicht zu akzeptieren und dazu beizutragen, dass die Untaten sich nicht wiederholen können. Schätzenswert ist Lara Maria Schabauers Versuch, die Folgen des „Krieges“ im späteren Verhalten von Mitmenschen zu dechiffrieren. Wahrscheinlich unterschätzt die Autorin aber das durch die NS-Herrschaft aufgerissene ,,Niemandsland zwischen den Generationen“ (Anna Seghers), den kulturellen und historischen Bruch, der mit Lügenbrücken überspannt ist, worauf die Vehemenz eines plötzlich aufbrechenden Krisengefühls Jahrzehnte später hinzudeuten scheint. 1992 sagte der spätere Nobelpreiträger Imre Kertesz in Wien: „... vom ersten Augenblick an war der Holocaust mit einem schrecklichen Bangen behaftet, dem Bangen vor dem Vergessen“ -K.K. des Parks mit dem tosenden Grün um den Kaiserpalast, in dem jetzt (noch nicht so lang) das Kaiserpaar residiert. Und dieser nach Feierabend den Park umkreisende endlose Zug aus Joggern. Auf den Beinen die halbe Stadt: „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“, sagt Haruki Murakami. Fettleibigkeit? Hier keine Spur. Auch von Kirschblüten nichts, nur im Kopf. Herbstluft atmet auf steinernen Brücken. Die Alten in Gleichmut. Die Bänke belagert. Gehstöcke. Taschen. Die Udon-Nudelsuppe um dreihundert Yen. Gesichter verrunzelt. Yoga und Nickerchen zwischendurch. Oder Worte. Geflüster. Mund Bewegungen wie im Gebet. Unter graugrauen Haaren tiefliegende Augen, schräg hin zum Fuji. Und dann mit der Seilbahn (Made in Austria) bergan: Söuzan? Lieber nicht. Oder doch. Blick am Gondelfenster hinunter-hinauf. Mit offenen Augen in Räume hinein, in die Welten Asamas. Aus den grünblauen Heimlichkeiten hinauf in die weißen Segel aus Dampf, weiße Boote, vom jähen Nass überrascht, vom dichten windlosen Regen, von sanftkalter Feuchte hinauf zur hellsten Streuung des Lichts. Blick zum Fuji. Schwefeldampf inside. In die Irre geführt. Die Wirklichkeit wie ein Riss durch den Blickfaserstoff, aber sichtbar gemacht, in kleinste Teile zerlegt. In Wellen aus Staub. Staub, der die Seen verstrahlt. Hellroter Staub, vom Fuji ausgespuckt. Was wirklich ist, was Symbol? Lass es sein. Ob es bewahren wird, das Gedächtnis. Die Gründe und Abgründe. Die Atemfahnen der Angst, das Pochen innen im Korallenriff Blut. Was dich bewogen hat. Gehen. Ein paar Schritte noch bis zum Rand — und dann? Ins Museum. Gibt Auskunft, weiß über Flora und Fauna und Feuervögel, abgelagert im alten Gestein. Spuren frühester Sterne. Fossile Schnäppchen als Souvenir. Im Blick die andere Art. Religion egal, in den Strömungen Zeit, ob Shinto, ob Buddah. Vom Rummel fern. Mitten drin. Um Ruhe zu finden nach dem Schwefeltrip Söuzan. Fujisan, der Vulkan. Hinter dem Ashisee aufgespannt. Auskunft suchend vom Nordufer aus. Abgerissener Lebensbogen. Auseinanderdriftendes Land. Inselland. Abgründe und Risse. Revoltierende Platten. Schwefelhaltige Krater. Land unter Feuer und Dampf. Naturenergie ohne Maß. Alles ungenutzt vergeudete Energien, mit denen der Wind sein Spiel hat. Heiße Quellen und Dampf