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Ungarn gebliebenen Brüdern Csaba und Läszlö wurde deswegen das Universitätsstudium verboten. Mein Vater war noch keine 18 Jahre alt, er hatte als Akt des Widerstands bei den Benediktinern in Györ Latein gelernt, weil dieses in Ungarn als Amtssprache der Vergangenheit verboten war. Beide Brüder wurden in Österreich speziell von Prälat Leopold Ungar unterstützt, woraus sich ebenfalls eine quasi familiäre Bindung ergab. Sonntags hatte der Chauffeur des Prälaten frei und in den 1970er Jahren brachte ihn deshalb mein Vater mit seiner Familie zum gemeinsamen Mittagessen zum Haus hinauf auf den Kahlenberg. Dort putzte mein Vater alle Pfeifen oder packte die Koffer für die nächste Reise. Vor ihm hatte Gyömörey diese Aufgabe übernommen, später übernahm dies Zsolt Patka. Zu Weihnachten sahen wir das ORF-Spendenspektakel Licht ins Dunkel, aber nur bis der Prälat dort seinen Auftritt hatte. Einmal wurde er dort vom Moderator gefragt, ob er ein „Bettelmönch“ sei. — Dieser antwortete: „Nein, ein Raubritter! Ich bettle nicht, sondern fordere von Christen Mitmenschlichkeit ein!“ Gyömörey und der „Doktor“, wie Pralat Ungar bei uns ehrfurchtsvoll genannt wurde, waren keine Freunde, daftir waren ihre Charaktere wohl zu unterschiedlich. Auch erzahlte mein Vater gerne die Anekdote, wonach Gyömörey einmal den „Doktor“ im Kulturzentrum mit großem Zeremoniell begrüßte, dann aber leider irrtümlich Salz statt Zucker in dessen Kaffee schüttete. Ein Zitat von 1978 passt ins Bild: Gyömörey war zu Ohren gekommen, der Prälat habe Kritik an seinem Hang zur Berauschung geäußert, man möge ihm daher bestellen: „Ich bin stolz darauf, dass ich Zeit meines Lebens kein Rauschgift je ausprobiert habe, nicht einmal Haschisch, obwohl ich dazu Gelegenheit hatte. Im schlimmsten Fall sind meine Siichte Krautfleckerln, Grammelschmalzbrot und Kartoffelgulasch (insbesondere das letztere ist in den letzten Wochen zu einer gefährlichen Sucht geworden!), die er gewiss mehr verachtet als Haschisch, Opium oder Heroin.“? Gemeinsam war ihnen die absolute Verehrung für Karl Kraus, doch es mag sein, dass jeder Krausianer, der Egomanie des Meisters folgend, nur sich selbst für den einzig wahren Interpreten hält. Wie auch immer, gemeinsam betreuten die beiden ungleichen Priester 1968 die aus der CSSR geflüchteten Schüler und Studenten. In des „Doktors“ Umfeld kam Gyömörey mit anderen Intellektuellen ins Gespräch: Michael Guttenbrunner, Friedrich Heer, Adolf Holl, Erika Mitterer, Ursula Pasterk, Anton Pelinka oder György Sebestyen, ganz am Rande auch Heimito von Doderer. Ein Freund aus der ungarischen Szene war Emmerich Benedek, der in den 1960er Jahren für die hektographierte Literaturzeitschrift Noch mehr als Herausgeber fungierte. Ein weiterer war der TU-Professor Andras Weiss, der als halbes Kind noch das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hatte.'° Bald fanden sich neue Projekte: Zusammen mit dem Geistlichen und lebenslangen Freund Heribert Holzer verfasste Gyömörey Drehbücher für fünf ORF-Dokumentationen, darunter Aufbruch in der Kirche (1969, Regie Imre Lazar)", Altsein in Osterreich, Klosterschulenreport (1970) und Kirchensteuerreport (1971, alle Regie Robert Dornhelm). Die letzte allerdings schlug ein wie eine Bombe und bewirkte nicht nur einen vernichtenden Artikel auf der Titelseite der Wiener Kirchenzeitung"*, sondern auch einen wütenden Anruf von Kardinal Franz König bei Gyömörey. Daraufhin verwies Inge Santner in der Weltwoche darauf, dass zuvor schon Adolf Holl von Kardinal König mit TV-Verbot belegt worden sei, Gyömörey jedoch pardoniert.'? Da der Artikel aber mit massiver Kritik am 42 ZWISCHENWELT Kardinal nicht sparte, wurde die Angelegenheit für Gyömörey hochnotpeinlich. Durch eine Replik in der Furche zog die Causa auch in Wien weitere Kreise.'* Da nutzten auch erklärende Briefe Gyömöreys an ORF-Funktionäre Alfred Payrleitner und dessen Vorgesetzten Helmut Zilk nichts mehr. Die spannende Arbeit als TV-Journalist war beendet. Es bleibt anzumerken, dass Adolf Holl für das Buch zur Dokumentation Priester gegen Rom getadelt wurde, das ursprünglich Gyömörey zusammen mit Anton Pelinka hätte schreiben sollen, letzterer zog jedoch vorzeitig zurück." Ein Satz Gyömöreys aus der Sendung Vorläufig ohne Titel schaffte es in die Kolumne TV-Zitate der Neue Kronen-Zeitung: „Die Kultur war immer nur das Statussymbol einer kleinen herrschenden Schicht, es war der Schmuck ihres Hofes, es war nicht etwas, was sie für ihre Völker getan haben. Dieses Kulturbewusstsein lebt weiter in Form unserer Exportkultur, unserer Oper, unserer Philharmoniker, die keinen Österreicher wirklich interessieren.“'° Dass Gyömörey gerade im katholischen Lager seine Stimme erhob, zeigt ein Leserbrief an Presse- Herausgeber Otto Schulmeister, in dem er im Oktober 1967 dessen Leitartikel Politik als Happening kritisiert: „Die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, besonders jene in Amerika, ausschließlich den Beatniks und den Hippies zuzuschanzen, und von allen anderen, darunter von Leuten wie Martin Luther King, Dr. med. Benjamin Spock, dem zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling u.a.m. mit dem verächtlichen Vermerk ‚und neuerdings auch die Pastoren und Padres‘ Notiz zu nehmen, ist eine Verfälschung der Tatsachen, wie sie von keinem, noch so ehrlich scheinenden weltanschaulichen Engagement entschuldigt werden kann, weil sie bereits den Eindruck der bösen Lüge erweckt.“ Da erstaunt es wenig, dass die ehemalige Sacre Coeur-Absolventin Ingrid Nowotny mir einmal über den Abschied aus Wien 1974 erzählte: „Von einem Tag auf den anderen war Pater Gyömörey verschwunden. Auf Fragen hieß es nur: ‚Er ist nach Griechenland abgereist‘, doch es klang so, als ob er für ein schweres Vergehen in die Verbannung geschickt worden sei.“ Vereint für die Demokratie in Griechenland Die erste Reise Gyömöreys nach Griechenland dürfte 1963 stattgefunden haben. Verklärt schrieb er an Paul Badura-Skoda: „Als Alpenbewohner und fleißiger Italienpilger habe ich immer geglaubt, dass ich weiß, was Berge sind, was das Meer ist. Also nichts habe ich gewusst! Und das Licht, das Griechische Licht! Ich habe die Orgien der Beschreibung dieses Lichtes im Stillen immer bezweifelt: aber auch hier übertrifft die Wirklichkeit alles, was man darüber erzählen kann. [...] Das alles ist ungeheuerlich. Wahrscheinlich werde ich die letzte Bedeutung dieses Landes erst erfassen, bis ich wieder daheim bin. [...] Was es auch immer ist, für mich ist es jetzt das abenteuerlichste und schönste Erlebnis meines Lebens.“'® Zur selben Zeit heißt es in einem Briefan den englischen Jugendfreund Nicholas Mann, er sei in Athen: „Und zwar in voller Lebenskraft, von allen Widerwertigkeiten beurlaubt, in reiner Lebensfreude. Ich habe für einen Monat alles hinter mir gelassen, bin von Wien geflüchtet und hierhergekommen, um hier noch mehr zu finden, als ich erwartete: das wirkliche Griechenland. Nicht das der Ruinen und der Touristen, sondern die Landschaft, das Meer, die Menschen, kurzum alles das, wodurch dieses Land auch heute lebt, und wie intensiv! Schon die