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Landschaft ist etwas, wie man es sich kaum vorstellen kann. Es ist vielleicht gar nicht so sehr die schreckliche Bläue der Ägäis, die stechende Klarheit der wenigen Farben, die es gibt, das Weiß der Häuser, das Braun und Rot der Erde und das Schwarz der Zypressen, sondern eine metaphysische Kraft, die hinter alldem steckt und durch die diese Landschaft ganz sie selbst ist, nur sie selbst ist. [...] Und das Entziickende an diesen Menschen ist, dass sie sich in dieses Spiel vollkommen natürlich einfinden, erfüllt von einer ganz ungeheuren Liebe zu diesem Land, von einer Liebe, die eigentlich kein Nationalismus ist, sondern nur die reine Freude an dieser reinen Schönheit. Landschaft und Klima, das sind die beiden einzigen Mysterien der Antike und der ganzen griechischen Geistigkeit.“”” Gyömörey reiste fortan nur noch nach Griechenland. Was ihn an den Menschen in Griechenland so faszinierte, beschrieb Gyömörey im Vorwort seines Buches. In einem Kafenion setzte sich der einzige andere Gast an seinen Tisch und redete heftig auf Griechisch mit ein paar Brocken Englisch aufihn ein: „Er war Tabakarbeiter. Er erkundigte sich nach meiner Heimat, meinem Beruf, meinem Familienstand, meinen Eltern, der Zahl meiner Geschwister und der politischen Situation in meiner Heimat. Während des Gesprächs bezahlte er unauffällig meinen Kaffee und bot mir noch eine Zigarette an. / Das war meine erste entscheidende Begegnung mit Griechenland. Nicht mit der Landschaft, nicht mit der Antike, sondern mit dem Griechen. Und diese Begegnung war für mich sozusagen ein ‚soziologischer Schock‘. Wie war es möglich, dass ein Arbeiter sich ganz selbstverständlich, souverän an den Tisch eines Ausländers setzt, der offensichtlich ein Intellektueller ist, mit dem ein Gespräch beginnt, von gleich zu gleich, ohne die Unterwürfigkeit oder die feindselige Ablehnung, die im übrigen Europa in einer ähnlichen Situation das Normale wäre?“ ?° Im Sommer 1967 putschte in Griechenland eine Gruppe von Generälen um Georgios Papadopoulos gegen die bürgerliche Regierung von Panajotis Kanellopoulos. Zwar kursierten Augenzeugenberichte von grausamen Folterungen und der Errichtung eines Konzentrationslagers auf der Insel Jaros, doch es fehlte an politischer Hintergrundinformation. In dieses Vakuum publizierte Gyömörey 1970 bei Zsolnay das Buch Griechenland, ein europäischer Fall. Das Vorwort verfasste Friedrich Heer, der mit seinem Buch Kreuzzüge”' wesentlich zum Denken Gyömöreys beigetragen hatte. Bereits davor hielt er in einem Gutachten fest: „Ausgehend vom Militärputsch 1967 und einer genauen Analyse der politischen Struktur der Gegenwart, legt der Autor wie mit dem Spaten des Archäologen Schichte um Schichte fast 4.000 Jahre griechischer Vergangenheit frei: den Aufstand gegen die Türkenherrschaft 1821, das zähe Ringen des neuen Staates gegen die skrupellose Interessenpolitik des ‚philhellenischen Europa‘, die absurde ‚Europäisierung‘ dieses Landes, dessen Tradition in eine ältere, dem Europäer fremde Vergangenheit zuriickreicht; Byzanz, nicht Hellas, ist der Ursprung Neugriechenlands- nicht das verkommenen Byzanz der europäischen Schulbücher, sondern der fortschrittliche Staat des Mittelalters, dessen demokratische Struktur tausend Jahre überdauert hat, bis sie unter den Schlägen der westlichen Barbarei, der Kreuzfahrerhorden, zusammengebrochen ist.“”? In einer Rezension heißt es: „Bei der Buchpremiere wies Doktor Pittermann, Präsident des Vereines der Freunde der griechischen Demokratie, auf die Tatsache hin, dass der europäische ‚Fall Griechenland‘ der erste seit 1945 war, in dem die Demokratie nicht von einem östlich-kommunistischen, sondern von einem westlichen Regime gestürzt wurde. Pater Gyömörey bedauerte, dass die ÖVP bisher nichts getan hätte, um für die Demokratie in einem Land einzutreten, in dem ihre demokratisch-konservative Schwesterpartei von einer fremden Macht vertrieben wurde.“ Bruno Pittermann war damals nicht nur Vorsitzender der SPÖ, sondern auch der Sozialistischen Internationale (SI). Im Verein der Freunde der griechischen Demokratie wurde er von der späteren Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg und dem Wirtschaftswissenschaftler und ehemaligen Exilanten Prof. Dr. Kurt Rothschild unterstützt. Als Sekretär fungierte der aus Israel zurück gekommene Menachem Bargil.”* Über die Aktivitäten des Vereins ist wenig bekannt, jedenfalls buchte er am 31. März 1968 das Wiener Konzerthaus für Mikis Theodorakis, der zusammen mit den Sängerinnen Maria Faranduri und (der späteren Kulturministerin) Melina Mercuri ein umjubeltes Konzert gab. Laut dem Hinweis von Andräs Weiss, schmuggelte Gyömörey Gelder der SI nach Griechenland, um dort oppositionelle Politiker wie Georgios Mavros und Panajotis Kanellopoulos zu unterstützen. Ein Dokument im Nachlass vom 7. Dezember 1972 nennt einen Herrn Protopapas, der Spitalskosten von 48.000,—6S benötige. Auch findet sich eine Namensliste vom 22. Mai 1974, auf der Deportierte auf die Insel Jaros und Folteropfer verzeichnet sind. Bereits im März 1971 schrieb Kannellopoulos auf Deutsch an Gyömörey: „Jede Gelegenheit, die ich bisher gehabt habe, die Situation in meinem schwer geprüften Vaterland, und die griechischen Probleme überhaupt, mit Ihnen zu besprechen, ist für mich immer schr wertvoll gewesen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen und bitte Sie, meinen guten Freunden im Ausland meine Ansichten mitzuteilen.“”° Weitere Briefe in der Korrespondenz sind in griechischen Sprache.” In einem Brief Gyömöreys 1974 an den nunmehrigen Vizekanzler Bruno Pittermann heißt es: „Ich bin als Geistlicher mit keiner Partei verbunden, bin aber durchaus ein politisch denkendes Wesen, und habe mich daher, gerade im Falle Griechenlands, das ich kennen und lieben gelernt habe, immer für den Kampf gegen die Diktatur eingesetzt. Da ich alles, was ich für dieses Ziel unternommen habe, stets aus eigenem Antrieb und mit eigenen Mitteln tat, und da ich darüber hinaus durch die letzte Entwicklung in die Gefahr geraten bin, vom griechischen Polizeistaat nicht mehr ins Land gelassen zu werden, vielleicht sogar mein Haus auf der Insel Amorgos zu verlieren, fühle ich mich berechtigt, die letzte Bitte der noch vereinigten griechischen Opposition um finanzielle Hilfe, in jener Schärfe vorzubringen, wie es im beiliegenden Bericht getan wird.” In diesem Bericht verweist er auf Spannungen innerhalb der Junta — Papadopoulos war inzwischen durch einen anderen General ersetzt worden — und die katastrophale wirtschaftliche Lage, die Studentenunruhen und deren brutale Niederschlagung durch die Polizei sowie deren brutale Foltermethoden. Das permanente Hereinströmen von Waffen fördere die Gefahr eines Bürgerkriegs. Die Opposition sei mit der Lage ebenso überfordert wie die Regierung, die US-Militärpräsenz würde bewaffneten Widerstand gegen die Junta unterbinden. Zuerst müsse der Opposition überhaupt erst ermöglicht werden, sich auf einen möglichen Umschwung zur parlamentarischen Demokratie vorzubereiten, bislang verfüge sie nicht einmal über ein Informationsbüro. Hier äußerte Gyömörey heftige Kritik an der bisherigen Praxis: „Jahre hindurch wurde im Ausland unverhältnismäßig viel Geld für die Unterstützung Juni 2021 43