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(abgesehen von Saloniki) lässt sich umlegen, was Ivo Andriz in seinem Roman Die Brücke über die Drina über das Bosnien der 1870er-Jahre beschrieb: „Aber überall und für jeden bestand Angst. Die einmarschierenden Österreicher fürchteten Hinterhalte, die Muslime fürchteten die Österreicher. Die Serben beide. Die Juden aber fürchtete alles und jeden, zumal, insbesondere in Zeiten des Kriegs, jeder stärker war als sie.“ Nirgends findet sich auf dem Balkan die abwertende Verwendung des Worts Jude häufiger als in griechischen Quellen. Ioannis Makrygiannis schreibt über seine muslimischen Feinde bei der Schlacht um Athen 1827: „Wir hassten sie, als wären sie ein Haufen Juden.“ Das slawische Element „Ich bin weder Bulgarin noch Serbin, sagte die alte Frau trotzig, als wir die Strafe von Monastir bei Dobraveni verließen. Ich bin nur eine Mazedonierin und ich hasse den Krieg“ National Geographic Magazine, 1917 Nichts kündete um 1800 auf der Morea und im südlichen Rumeli von den Slawen, außer den Ortsnamen. Diese waren aber dermaßen häufig, dass ihre Präsenz in Griechenland mehr als nur eine Randnotiz der Geschichte bedeutete. Orte, die auf -itsa, -itsana und -ova enden, beweisen das. Und wie immer hielten sich ältere Strukturen im Bergland: Bis weit ins 16. Jahrhundert sollen Nachfahren der Stämme der Milingen und Ezeriten im Taygetosgebirge in der südlichen Peloponnes Slawisch gesprochen haben. Weitere Enklaven slawischer Präsenz: Epiros und die Himara (im heutigen Albanien), wo sich schr lange slawische Vornamen hielten. Ab dem nördlichen Thessalien begannen die Gebiete einer ungebrochenen slawischen Kontinuität bis in die pannonische Tiefebene hinauf. Die Identität dieser bäuerlichen Bevölkerung war wie die ihrer griechischen Nachbarn eine orthodoxe; ethnische Bekenntniszwänge des Nationalismus würden sie ab 1870 zwischen griechischen und bulgarischen, später mazedonischen Ansprüchen aufreiben und auf griechischem Staatsgebiet einer rigiden Assimilation aussetzen, die bis heute fortdauert. Daes iiber Slawopohone zumindest im südlichen Griechenland nicht viel zu berichten gibt und zumindest ihre nationalen Gefühle nicht mehr verletzt werden können, ist dieses Unterkapitel der geeignete Ort, noch einmal kurz auf einige weitverbreitete Irrtümer über ethnische Kultur hinzuweisen. Bekanntlich behauptete der Orientalist Jakob Philipp Fallmerayer, die Griechen seiner Zeit seien nichts als hellenisierte Slawen und Albaner, seine Gegner — die gesamte westliche gräkophile Geisteswelt und einige gebildete Griechen — widersprachen energisch, um die Kontinuität zwischen alt- und neugriechischen Menschen zu verteidigen. Beide haben unrecht, denn beide dachten in den überkommenen Kulturkonzepten ihrer Zeit, die leider noch immer unsere Vorstellungen rahmen. Fallmerayer und seine Gegner operierten nicht mit rassebiologischen, sondern kulturalistischen Konzepten, doch die Metapher des reinen Blutes wies bereits in diese Richtung. Für sie alle bedeuteten Griechen, Slawen, „Albanesen“ mehr als nur Sprachgruppen, sondern in sich geschlossene Stämme, die in einem darwinistischen Wettkampf um die Güter des Lebens einander unterwerfen, verdrängen, töten, assimilieren. Infolge der romantischen Wende wird die barbarische Invasion edler Achaier, Dorer, Germanen oder Slawen als die notwendige Läuterung dekadenter Zivilisation aufgefasst. Die Reinheit von Kultur und Sitte wird einer zunehmend mit Dekadenz und Degeneration assoziierten kulturellen Vermischung entgegengehalten. Was den realen Kern solcher Vorstellungen anbelangt: Erste Wellen dieser Invasionen waren stets räuberische Vorstöße, dienten der Plünderung und Requirierung von Sklaven. Im Jahr 582, berichtet die Chronik von Monemvasia, hätten die Slaven die gesamte Peloponnes überrannt, die einheimische Bevölkerung sei in alle Richtungen geflohen. Kurz danach gelang es dem byzantinischen Kaiser Maurikios, die Eindringlinge zu unterwerfen. Weitere Einwanderungswellen gebärdeten sich aber weniger kriegerisch. Ein Großteil der slawischen Besiedlung des Balkans, ist sich die Geschichtswissenschaft mittlerweile einig, erfolgte relativ friedlich. Elementar ist die Auffassung, dass der Sprachgebrauch nicht mit einer genetischen Abstammung von den ursprünglichen Sprechern einhergehen muss und dies auch in den seltensten Fällen tut. Ansonsten könnte in der heutigen Türkei nicht ein so geringer Teil der Bevölkerung von Menschen, also den ursprünglichen „Türken“, abstammen, die aus Zentralasien kamen. Wenn die Vorstellung der demographischen Verdrängung einmal vom Tisch ist, ergibt sich daraus wiederum der noch größere Irrtum, eine kriegerische, dominante Schicht hätte die alteingesessene Bevölkerung zwangsassimiliert. Kein slawischer Häuptling dürfte je mit gezogenem Schwert den griechischen Ureinwohnern befohlen haben, ihr Dorf von nun an nur noch Arachova oder Gramenitsa zu nennen. Die slawischen Siedler waren wie die ursprünglichen Bewohner Ackerbauern, seltener Viehhirten. Hier wiederholte sich vermutlich die häufigste Form des Sprachwechsels, der eben kein Kulturwechsel ist. Weil die Sprache nicht der Kern der jeweiligen Kollektividentität ist. Es handelt sich meistens um einen symbiotischen Prozess, Bevölkerungen sind zunächst mehrsprachig, irgendwann setzt sich ein dominanter Dialekt durch. So wandern Sprachen hin und her wie Dünen. Da Griechisch als Liturgiesprache beibehalten wurde, konnte Slawisch Griechisch nie dominieren, im Vergleich zum Norden, wo Messen in Kirchenslawisch gehalten wurden und die alteingesessene Bevölkerung ursprünglich Latein sprach. Kurzum: Unsere ethnischen Referenzkategorien (Slawen, Griechen, Albaner, Wlachen), mit der wir nach fast 200 Jahren der Nationalisierung auch die Vergangenheit restrukturieren, hatte auch für die Bevölkerung zur Zeit des Aufstandes keine oder wenig Relevanz. Griechischer und albanischer Sprachgebrauch korrespondierten nicht mit griechischen und albanischen Trachten, Sitten, Identität. Slawische, albanische und griechische Bauern in einer Region teilten mehr Kultur miteinander als mit den Sprechern aller drei Sprachen in anderen Regionen. Somit muss der Sprachwechsel auch nicht einem Kulturwechsel gleichkommen, einem Kontinuitätsbruch oder gar dem Verrat am Herkunftskollektiv. Auch die Bewohner des alten Griechenlands hatten zwar im Laufe eines langen Akkulturierungsprozesses die Sprachen der Achaier, Ionier und Dorer angenommen, deren genetischer Fußabdruck dürfte aber genauso wenig tief gewesen sein wie jener der Türken in Anatolien und der der Slawen auf dem Balkan. Und so setzte sich die Geschichte bis zum Nationalstaat fort. Deshalb ist Fallmerayers Ihese ebenso falsch wie die seiner Gegner. Juni 2021 59