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verrät wenig darüber, wie es Mavrokordatos von Italien aus gelang, seine Machtbasis vorzubereiten. Als er erfuhr, dass ein hydriotisches Schiff Segeln gesetzt hatte, um ihn nach Griechenland überzusetzen, ließ er sich in einem Brief an Mary zu einer kleinen infantilen Spitze gegen deren Mann hinreißen: „Wenn Mr. Shelley so stolz darauf ist, eine Barke mit zwei Kanonen zur Verfügung zu haben, können Sie sich vielleicht vorstellen, wie stolz ich darauf bin, nun eine Brigantine mit 18 Kanonen mein Eigen nennen zu können.“ Bei der Barke, auf die Mavrokordatos ansprach, handelte es sich um das Segelboot, das Shelley soeben erstanden hatte und zu Ehren seines Freundes Lord Byron nach dessen Versepos auf Don Juan getauft hatte. Ein Jahr später sollte der seeunerfahrene Dichter bei einem Sturm vor Viareggio kentern und ertrinken. Kaum in Messolongi angekommen, setzte sich Alexandros Mavrokordatos an die Spitze der dortigen Lokalregierung, des Senats von West-Rumeli. Dies ist insofern bemerkenswert, als er dort als völlig Unbekannter auftauchte, ein untersetzter schnurrbärtiger Mann mit Brille, europäischer Kleidung und studentischer Schirmkappe. Das Hinterland von Messolongi waren das Zygosgebirge und die heißumfehdeten Agrafa-Berge, um deren Kontrolle die Kleften- und Armatolenhäuptlinge Rumelis konkurrierten. Binnen kürzester Zeit hatte er das Vertrauen einiger ihrer Führer gewonnen und damit ein wichtiges militärisches Druckmittel gegen die Warlords und Primaten der Peloponnes im Ärmel. Er wusste, dass er sich auf der Peloponnes nicht durchsetzen konnte, wie das traurige Schicksal seines Konkurrenten Ypsilantis zeigte. So bezog er sein Hauptquartier in Messolongi und begann in erstaunlich kurzer Zeit seine Hausmacht auszubauen. Mit gutem Recht kann man den Überlebenskünstler Mavrokordatos als politisches Genie bezeichnen. Weder ein selbstloser Idealist wie Shelley noch eine besonders charismatische Persönlichkeit, nicht einmal eine sonderlich sympathische Figur, gelang es ihm doch durch all die Jahre mit Geduld und Beharrlichkeit seinen Einfluss in der sich dauernd ändernden Machtchoreographie der Revolution stabil zu halten. Die Warlords sahen in dem Mann mit Brille und Frack zunächst einen dieser fränkischen Wichtigmacher, mit deren Hilfe man sich internationale Anerkennung und Kredite sicherte, um sie hernach beiseitezuschieben. Alle seine Versuche, ihren Respekt durch militärische Siege zu erringen, scheiterten kläglich. Doch er war ein guter „Netzwerker“ und beherrschte die fanariotische Kunst der Intrige, ohne die ein politisches Überleben in Griechenland unmöglich war. Dadurch gelang es ihm, schon beim ersten Verfassungsentwurf Robert Streibel 1821, die Prinzipien des modernen Rechtsstaats in das archaische wie anarchische Gefüge des Aufstands zu schmuggeln und die Griechen für England, die englische Politik für Griechenland zu interessieren. Hätte es ihn nicht wirklich gegeben, hätte dieser dialektischer Antiheld eine exemplarische Erfindung von Hegel oder Diderot sein können. Ein zweifelhafter Charakter, der mit unlauteren Mitteln sich zum effektiven Werkzeug gesellschaftlichen Fortschritts machte, denn nichts anderes stellte seine rechtsstaatliche Opposition gegen die lokalen feudalen, die überkommenen osmanischen sowie großrussischen Interessen der meisten Akteure dar. Unter seinem Frack trug Mavrokordatos ein dickes Fell. Er zeigte eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit gegenüber Spott und Kritik und verstand sich in der griechischen Kunst des Hinhaltens und des Das-Blaue-vom-Himmel-Versprechens, auch wenn der Himmel wolkenverhangen blieb. Commodore Gawen Hamilton, der philhellenische Kommandant der britischen Ägäis-Flotte fand zynische Worte für ihn: „Mavrokordatos wird von allen Parteien gehasst, ist aber noch immer von Nutzen für mich. Auch ich schenke ihm kein Vertrauen, aber gebrauche ihn als Spion, bequemerweise als einen, den ich nicht bezahlen brauche.“ Westliche Beobachter wie Byron, Millingen und viele andere beklagten seine Nachgiebigkeit und sein schwächliches Auftreten gegenüber den Warlords Rumelis. Diese in napoleonischen Maßstäben denkenden Westler erkannten nicht, welch große Leistung darin bestand, die Banditenführer zumindest temporär zu seinen Gefolgsleuten zu machen und ihren Respekt zu erlangen, wenngleich dieser von ihrem Eigennutz diktiert war. Immerhin dachten sie modern genug, um zu erkennen, dass die große Sache, die da im Entstehen war und bei der man seine Pfründe sichern musste, nicht ohne das Management von bürgerlichen Brillenträgern wie Mavrokordatos möglich war. Als Mavrokordatos Pisa verließ, schrieb Shelley an Claire: „Er ist ein großer Verlust für Mary, und folglich auch für mich - jedoch nicht andersrum.“ Auch wenn sich das Verhältnis der beiden abgekühlt hatte, Shelley widmete ihm sein episches Poem Hellas, und Mavrokordatos war von seinem radikalliberalem Denken nicht unbeeinflusst geblieben. Der junge Enthusiast hatte aufihn denselben radikalisierenden Einfluss wie auf Byron. Byron und Mavrokordatos waren als aufgeklarte Monarchisten nach Italien gekommen. Und segelten nach Griechenland als Republikaner. Dass Mavrokordatos später für eine konstitutionelle Monarchie optierte, war politisches Kalkül, denn keine europäische Großmacht hätte eine reine Republik auf griechischem Boden geduldet. Die Griechen und Stein, auf den ersten Blick eine sonderbare Verbindung. Was haben Griechen in Stein zu tun? Ohne die Griechen wäre die Geschichte des Massakers am 6. April 1945 im Zuchthaus Stein vielleicht nicht in öffentlicher Erinnerung verblieben, sicherlich gäbe es kein öffentliches Gedenken unmittelbar vor den Toren der Haftanstalt. Mit dem Erscheinen des Buches „Antonis Sanoudakis: Widerstand in Griechenland und 61 _ ZWISCHENWELT Stein. Die Geschichte von Nikos Mavrakis“' im Frühjahr 2020 schließt sich der Kreis. Das Buch, das der Verfasser ausfindig gemacht hat, übersetzen hat lassen und mit einem Kommentar versehen hat, ist ein besonderes Dokument über die Geschichte der Häftlinge in Stein, denn mit diesem Buch liegt die umfangreichste Schilderung über den Alltag in dem Zuchthaus an der Donau vor. Juni 2021 61