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Ins Herz geschrieben Überraschend klare Worte, für jedermann lesbar, nicht in einem Ghetto der Erinnerung, sondern auf offener Straße, am Ort des Geschehens. Dass dieses Denkmal seit Jahrzehnten dort steht und alle erinnert, die lesen wollen, ist ein Verdienst von Gerasimos Garnelis. Gerasimos bekam doch sein Begräbnis und eine späte Würdigung, mit einer für ihn passenden Gedichtzeile aus „Io Axion Esti“ (Gepriesen sei) des griechischen Nobelpreisträgers Odysseas Elytis: Dein Auftrag — sprach sie — diese Welt und ist dir ins Herz geschrieben Erkenne sie, müh‘ dich und kämpfe — sprach sie — Aber kein Platz fiir den Ruhm der Sonne, dass er durchdringt zur Zukunft kein Tag des Gerichts, denn wir, Brüder, sind der Tag des Gerichts unser die Hand der Apotheose die hinschleudert alle die Silberlinge! Gerasimos Garnelis hat den Auftrag, der ihm ins Herz geschrieben wurde, aufgenommen und hat gekämpft, nicht im übertragenen Sinne, sondern auch mit der Waffe in der Hand in seiner Heimat Griechenland, nachdem das Land von deutschen Truppen besetzt worden war. Er hat sabotiert, mitgewirkt an der Zerstörung von deutschen Bombern. Doch nicht nur in dieser Phase seines Lebens entsprach er den Gedichtzeilen von Odysseas Elytis, denn er war, wie viele Tausende andere auch, der Meinung, dass für eine Verurteilung der Unmenschlichkeit nicht auf ein fernes Gericht zu warten ist— „denn wir, Brüder, sind der Tag des Gerichts“. Gerasimos Garnelis hat diesen Kampf verloren, er wurde verhaftet, zum Tode verurteilt und hat doch überlebt, interniert auf einer Gefangeneninsel in der Ägäis. In einem Viehwaggon kam er nach Stein. Das Konzentrationslager Mauthausen, in dem viele Griechen ermordet wurden, blieb ihm erspart. Gerasimos Garnelis hat diesen Kampf gewonnen, denn er hat überlebt, er hat das NS-Regime überlebt. Es gibt nur wenige Menschen, die zweimal in ihrem Leben unter den Toten lagen, Gerasimos Garnelis war einer von ihnen. Schwer verwundet lag er in einem Berg von Leichen am 6. April 1945, als SS, SA-Männer und Wehrmachtssoldaten mehr als 386 Häftlinge des Zuchthauses Stein niedergemetzelt hatten. Durch ein Wunder überlebte er gemeinsam mit einer Handvoll Häftlingen im Keller des Zuchthauses — ohne ärztliche Versorgung — bis zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung. Nach dem Krieg konnte er wegen des blutigen Bürgerkrieges in Griechenland nicht mehr zurück in seine Heimat. Er half mit bei der Vereinigung der griechischen Landsleute im „Griechischen antifaschistischen Komitee“ in Österreich. In Krems organisierte er Kulturveranstaltungen, brachte die erste Opernaufführung in den Brauhofsaal, veranstaltete Boxturniere, Bälle und Konzerte. Man kann ihn ein „Original“ der Stadt nennen. Als er an das Sterbebett seiner Mutter in Korfu eilte, wurde er während der Militärdiktatur in den siebziger Jahren noch einmal verhaftet, und es hat lange gedauert, bis österreichische diplomatische Vertreter sich für ihn einsetzten. Im Zuge der Gedenkveranstaltung „386“, die der Verein B-project, der Regisseur Gerald Buchas und der Verfasser am Platz vor der Strafanstalt organisiert hatten in Erinnerung an die 50. Wiederkehr des Massakers, sprach er erstmals öffentlich über sein Leben. 386 Kreuze standen für einige Wochen mit den Namen 64 ZWISCHENWELT und Daten der Opfer rund um die Strafvollzugsanstalt. Zehn SchauspielerInnen sprachen die Erinnerungen von Häftlingen, Opfern und Zeitzeugen auf offener Straße. Der Schauspieler Ottokar Lehrner war an diesem Tag Gerasimos Garnelis: Den 6. April werde ich nie vergessen, alles kann man vergessen, das aber nicht, dieser Tag ist nicht so schnell zu vergessen, ich kann ihn nicht vergessen. Ich bin etwas marod gewesen, ich habe Fieber gehabt, ich hatte mich verkühlt, denn wir hatten nur Holzpantoffeln und keine Strümpfe gehabt, nur so Fetzen, so sind wir im Schnee gegangen. Das war so Mittag, ich bin Richtung Haupttor gegangen, ich bin bei dem einen Tor rausgegangen, da habe ich plötzlich einen Schuss gehört. Ich habe sofort nur einen Gedanken gehabt, dass der Russe da ist. Ich bin weitergegangen, Richtung Haupttor, ich habe gehört, dass jemand zu mir sagt: ‚Zurück! Ich habe das nicht verstanden, ich habe mir gedacht, wir sind frei, ich will hinaus, ich habe dann immer mehr Schüsse gehört. Plötzlich habe ich dann Soldaten hereinlaufen gesehen, da habe ich dann gewusst, da stimmt was nicht. Da hat dann einer auch schon geschrien: ‚SS, SA!‘ Draußen haben sie richtig geschossen. Ich war plötzlich bewusstlos, nach einer Zeit, ich weiß nicht, wie lange, bin ich munter geworden. Im Gesicht, in der Hand, aufdem Kopf, ich war von mehreren Schüssen getroffen. Ich machte die Augen auf, da haben sie mich gebrannt, es war alles voll Blut. Da habe ich gewusst, da stimmt was nicht, das können doch nicht die Befreier sein. Ich mache dann wieder die Augen auf und sehe die SS herumlaufen und weiterschießen, mit Maschinenpistolen. Ich bin liegengeblieben, wahrscheinlich drei, vier Stunden gelegen, die haben nicht mehr so wild geschossen, aber einzelne Schüsse hat man noch gehört, manchmal auch Schüsse etwas weiter weg. Dann kommen zwei Griechen zu mir, der eine nimmt mich bei der Hand, der andere am Fuß und sie schleppen mich weg. Die haben mich ganz einfach auf diesen Haufen geworfen. Die haben gesagt: ‚Pass auf damit du nicht erstickst, wir legen nur zwei Tote über dich, mehr können wir nicht machen. Wenn du schreist, so merken das die SSler, die erschießen dann alle.‘ Die zwei haben geglaubt, dass sie nach ihrer Arbeit auch erschossen werden. Dann ist eine andere Partie gekommen, die haben wieder Tote auf mich geschmissen, wie viele, das weiß ich nicht. Weil ich echte Schmerzen gehabt habe, ich habe nicht schreien dürfen, habe ich die Hand des Toten genommen und habe hineingebissen, ich habe das ganze Fleisch der Hand einfach durchgebissen. Dann habe ich auch gehört, wie sie gesagt haben, jetzt müssen wir das ausschaufeln und dann werfen sie uns hinein. Dann ist es finster geworden. Gerasimos Garnelis war damals, im April 1995, unter den Zuhörern, und plötzlich war er der elfte Mann und berichtete selbst über sein Leben. Die positiven Reaktionen auf die Berichte und den Filmbericht waren für ihn so etwas wie eine zweite Verleihung der Staatsbürgerschaft, er fühlte sich erstmals akzeptiert. Damals haben die Versuche begonnen, ihn auch offiziell, durch die Stadt und das Land, zu ehren. Vergeblich, wie auch Vizebürgermeister Ewald Sacher bilanziert, der als einziger oflizieller Vertreter der Stadt zum Begräbnis kam: „Drei Wochen vor seinem Tod traf vom Land Niederösterreich die Mitteilung ein, dass eine Ehrung für Gerasimos Garnelis ohne Angabe von Gründen verweigert wird. Zum Glück hat er das nicht mehr erleben müssen.“ „Mit dem zweiten Tod von Gerasimos Garnelis sind uns alle Chancen genommen worden, ihm auch gerecht zu werden. Was wir bisher nicht getan haben, jetzt können wir es nicht mehr tun“, musste es am offenen Grab heißen. Rote Nelken auf dem