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noch einmal einen anderen Charakter. Sie sind die Erstaufnahmezentren, die im Rahmen des EU-Türkei-Deals entstanden sind und deren Rechtsstaatlichkeit mehr als nur fraglich ist. Die Ursprungsidee war es, im Schnellverfahren zu prüfen, ob Menschen, die aus der Türkei nach Griechenland flüchteten, einen Anspruch haben in Europa einen Asylantrag zu stellen. Wenn nicht, sollten diese abgeschoben werden und an ihrer statt Flüchtlinge aus den türkischen Lagern aufgenommen werden. Dieses Prozedere ist gescheitert. Aus den vorgesehenen drei Wochen Prüfungszeit wurden teilweise zwei Jahre. Aber es geht noch weiter. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die EU-Menschenrechtserklarung geben Menschen, die einen Asylantrag stellen, einen eigentlich sehr starken Rechtsstatus. Das ist die Idee der Genfer Fliichtlingskonvention als Reaktion auf den 2. Weltkrieg. Jemand der einen Asylantrag stellt, wird rechtlich de facto dem Bürger des Landes, in dem er Schutz sucht, gleichgestellt. Diese Rechte sind unter der Aufsicht des UNHCR einzuhalten. Es soll verhindert werden, dass noch einmal eine Situation wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eintritt, in der IDPs (Internally Displaced People, Anmk.) und Flüchtlinge das bildeten, was Hannah Arendt in ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ die „Republik der Staatenlosen“ bezeichnete. Es sollte verhindert werden, dass Menschen wie toxischer Giftmüll über irgendwelche Grenzen Hin und Her geschoben werden. Wenn nun heute Menschen ohne ausreichenden polizeilichen Schutz, ohne Wasserversorgung und ohne Strom in irgendwelchen Campingzelten monatelang dahinvegetieren, werden diesen ganz bedeutende materielle Rechte, die ihnen die GFK eigentlich zusichert, vorenthalten. Das muss man in dieser Deutlichkeit festhalten. Diese Politik hat nun aber Brüssel, nicht Athen zu verantworten. Der EU-Türkei-Deal ist eine europäische, keine allein griechische Verantwortung. Das zweite große und wohl wichtigste Problem hier in Moria war die fehlende Souveränität im Sinne einer benennbaren Letztverantwortung. Wir hatten es mit einem Konglomerat unterschiedlicher Zuständigkeiten zu tun. Das Zentralcamp stand unter der Verwaltung Athens und des Militärs. Die unmittelbar angrenzenden Olivenhaine wiederum, die man auch immer in den Pressebildern gesehen hat, also dort, wo diese ganzen Zelte herumstanden, waren entweder herrenloses No-Man's-Land, für das weder die griechische Regierung noch die Stadtverwaltung von Mytilini sich verantwortlich fühlten. Oder, und das ist das absurdeste überhaupt, sie wurden von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) gemietet bzw. angekauft. Moria war also zum großen Teil ein Flüchtlingslager, das von NGOs betrieben wurde (die das aber nicht offen sagten), die, finanziert durch Spendengelder, Leistungen zur Verfügung stellten, die eigentlich staatliche Hoheitsaufgaben wären. Natürlich müssen sie nun die Situation schlecht darstellen. Wenn die nicht mit schockierenden Bildern hausieren gehen, bekommen sie auch keine Spendengelder. Dort saßen 1.000e Flüchtlinge in ihren Zelten und es waren ausgerechnet Bilder dieses Elends, die ebenjene Situation weiter finanzierten. Flüchtlinge, die auf „NGO-Boden“ leben, wussten nicht mehr wer für sie eigentlich zuständig ist. In jedem anderen, normalen Flüchtlingslager ist eine solche Zuständigkeit evident. Die Bewohner wissen, wer verantwortlich ist und wen man, sollte es schlecht laufen, verklagen kann. In Moria war noch nicht einmal dieses Minimum geklärt. De facto hat Moria nie unter einer gemeinsamen Souveränität gestanden. Es ist faszinierend, dass dieser Skandal niemals thematisiert wurde. Stattdessen haben alle immer dasselbe Moria-Narrativ wiederholt: Ach, die armen Flüchtlinge, Kinder, Minderjährige, etc. Niemand fragte sich bisher: Wie kann es sein, dass mitten in Europa zehntausende Menschen unter solchen Bedingungen leben, Millionen an Spenden gesammelt werden und trotzdem nichts besser wird. Zum Beispiel hätte innerhalb einer Woche eine Wasserversorgung zur Verfügung stehen können. Nur sagte die Stadtverwaltung: das machen wir nicht. Warum sollen wir hier Wasserleitungen in ein illegales Flüchtlingslager verlegen, nur damit darauf die EU entgegnet: Ist jaalles prima, das können wir die nächsten 10 Jahre so lassen. Auf Lesbos versucht ihr einen anderen Weg zu gehen als die von dir erwähnten NGOs. Wir (Wadi e.V.) unterstützen in verschiedenen Ländern Partnerorganisationen denen wir unser Knowhow und unsere, manchmal auch besser funktionsfähige Hintergrundbürokratie zur Verfügung stellen. Seit 2017 kooperieren wir mit der lokalen Organisation „Stand by Me Lesvos“. Sie ist spezifisch auf Bildungsprojekte ausgerichtet und bietet, in Kooperation mit der lokalen Volkshochschule, Sprach- und Fortbildungskurse für vor allem Flüchtlingsfrauen aber auch Kinder und Männer an. Diese kleinen und übersichtlichen Projekte unterstützen wir und sammeln über unsere Netzwerke Geld für sie. Mytilini ist eine griechische Kleinstadt, in der die Bevölkerung vor der Ankunft von Flüchtlingen natürlich nicht mit den Untiefen und Problemen der NGO-Arbeit vertraut war. Hier unterstützen wir bisher recht erfolgreich und entlang unseres Grundsatzes Frauenbildung und Ausbildung einen großen Wert beizumessen. Besonders skandalös ist es ja, dass vielen Frauen, die beispielsweise aus Afghanistan nach Europa kommen, denen von den Taliban die Schulen abgefackelt wurden und die in der neu erlangten Freiheit lernen und tun wollen, was sie zu Hause nicht durften, nun in Europa keine Perspektive und Chance auf Betätigung gegeben wird. Für so einen Missstand wollen wir so gut es geht Abhilfe schaffen. Dass es dabei zu einer engen Kooperation zwischen AsylwerberInnen und der griechischen Bevölkerung kommt, ist überhaupt der wichtigste Aspekt: Expertise und Verantwortlichkeiten sollten vor Ort auf der Insel bleiben. Man braucht keine Hundertschaften an importierten Pseudoexperten, sondern was man lokal machen kann, sollte man auch vor Ort versuchen zu tun. Wie hat sich die weltweite Corona-Pandemie auf eure Arbeit ausgewirkt? Anfangs war die eigentliche Aufgabe von „Stand by Me Lesvos“ nicht die Coronaprävention, Müllmanagement oder ähnliche Projekte. Diese kamen erst später notgedrungen hinzu. Während der ersten Corona-Welle, als die meisten internationalen Hilfsorganisationen ihre MitarbeiterInnen abzogen - u.a. auch deshalb, weil es kleiner Zusammenstöße mit lokalen Faschisten gegeben hatte — war die Insel mit all diesen Problemen alleine gelassen und in keiner Weise auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Die ohnehin katastrophale Situation der 21.000 CampbewohnerInnen wurde noch unübersichtlicher. Niemand wusste, was Corona eigentlich ist, es gab keine Verlautbarungen oder offizielle Handlungsleitfäden. Diese Lücke haben wir gefüllt, jedoch nicht Juni 2021 69