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Tischler — ein Lehrer, der während der NSZeit nach Vorarlberg verbannt war — kehrte im Juli 1945 nach Kärnten zurück und trat als Vertreter der Slowenen in die provisorische Landesregierung ein. Auf seine Initiative hin wurde im Oktober 1945 beschlossen, im zweisprachigen Gebiet Südkärntens den Grundschulunterricht für alle Kinder in beiden Landessprachen zu gestalten. Im Herbst 1945 herrschte über das zweisprachige Schulwesen noch weitgehend Übereinstimmung zwischen den politischen Parteien; auch die britische Militärverwaltung begrüßte diesen Schritt. Anstelle einer Identitätsbildung durch verhärteten Nationalismus und Abgrenzung sollte dieses Modell langfristig eine Öffnung und mit durchgängiger Zweisprachigkeit die Abkehr vom Ethnozentrismus ermöglichen. Bald danach schied Tischler wegen Differenzen mit der OF wieder aus der Landesregierung aus. Nach der Befreiung trat die OF für einen Anschluss Südkärntens an Jugoslawien ein. Obwohl Jugoslawien die Gebietsansprüche 1949 aufgegeben hatte, wurde die vorübergehend offene Grenzfrage auch danach nicht nur von deutschnationaler Seite massiv instrumentalisiert. Die Bevölkerung wurde demnach in ‘“Heimattreue” und “Landesverrater” eingeteilt und Kärntner Slowenen gerieten leicht in den Generalverdacht des Irredentismus. Schon 1946 wurde mit dem Bund österreichischer Slowenen eine der Landesregierung genehme Organisation gegründet. Und mit dem pejorativen Konstrukt der “Windischen”, die “deutschfreundlich” wären und denen eine im Vergleich zum Deutschen minderwertige Dialektvariante zugeschrieben wurde, sollte die Minderheit gespalten werden und den “Windischen” als treuen Kärntnern eine Vorbildfunktion gegenüber den ausgegrenzten “Nationalslowenen” zukommen. Die politische Atmosphäre im Land wurde genauso dadurch bestimmt, dass etliche belastete nationalsozialistische Funktionsträger in ihren Ämtern blieben und eine halbherzig durchgeführte Entnazifizierung ein allzu frühes Ende nahm. So wurden die nach Kriegsende erfolgten Verschleppungen nach Jugoslawien nie in Bezug zur vorangegangenen Gewaltpolitik des Nationalsozialismus gesehen. Bevor sich 1949 mit dem Verband der Unabhängigen das deutschnationale Lager und die früheren Nationalsozialisten wieder offen formieren konnten, waren es vor allem Teile der ÖVP (wie etwa der aus dem ehemaligen Landbund kommende Vinzenz Schumy), die sich dem Kampf gegen eine vermeintliche Slowenisierung verschrieben hatten. Auch Hans Steinacher-ein bekannter völkischer Extremist und ab 1933 Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland — konnte die ÖVP als Leiter ihres Grenzlandreferates gewinnen. Ebenso betrieb die SPÖ in Kärnten relativ erfolgreich eine Politik der Integration früherer NSDAP-Mitglieder und gefiel sich mitunter in der Rolle der Abgrenzung von den Slowenen mittels antiklerikaler Polemik. Eine Ausnahme bildete Landeshauptmann Ferdinand Wedenig, der aber schließlich aus Gründen des Machterhalts für seine Partei vor diesen Stimmungen kapitulierte. Obwohl Knight in seinem Buch etliche Aspekte der ethnischen Politik auf Landes- und Bundesebene, aber auch — vor allem anhand der Staatsvertragsverhandlungen-in internationalem Rahmen behandelt und mittels vieler originärer Archivquellen interessante Einblicke gewährt, bleibt die Frage des zweisprachigen Schulwesens als gleichsam “roter Faden” im Brennpunkt seiner Untersuchung. Anhand der Auseinandersetzungen um die Schule weist Knight nach, mit welchen Mitteln deutschnationale Kräfte wieder die ideologische Hegemonie erringen und die slowenische Minderheit erfolgreich zurückdrängen konnten. War 1945 nach außen hin noch ein Konsens über die zweisprachige Schule vorhanden, so wurde der bilinguale Unterricht bald zur Zielscheibe der Deutschnationalen und als “Zwangsschule” denunziert. Die Forderung nach Abschaffung der verpflichtenden Zweisprachigkeit wurde mit einem vermeintlichen “Elternrecht” begründet, das freilich für die anderen Lehrgegenstände nicht zur Geltung kam. Knight zeichnet alle Etappen dieser Kampagne mit großer Detailgenauigkeit nach. Von Seiten der Bundespolitik gab es-zumindest während der noch offenen Staatsvertragsverhandlungen—bei der Verteidigung der zweisprachigen Schule bestenfalls passiven Widerstand, aber sonst ist hier ebenfalls ein schrittweises Zurtickweichen zu beobachten. Und dass in Ministerratssitzungen der Slowenenvertreter Josko Tischler als “Verräter” bezeichnet wurde, ist ein Indiz dafür, dass derlei Ressentiments sich nicht auf Kärnten beschränkten. Auch von den britischen Besatzern, die bald nach der Befreiung in Konfrontation zur OF gerieten, kam wenig Unterstützung für die Slowenen. Nach der Aufgabe der Gebietsansprüche versuchte Jugoslawien eine Autonomielösung für Südkärnten zur Sprache zu bringen, was von Österreich abgelehnt wurde. Überhaupt konstatiert Knight ein cher halbherziges Eintreten Jugoslawiens für die Rechte der Kärntner Slowenen. Das Interesse an guten diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich war stärker und sorgte dafür, dass Konflikte stets begrenzt gehalten wurden. Letztlich fand der bekannte Artikel 7 für die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten 1955 Eingang in den Staatsvertrag. Dieser Artikel fordert das Verbot von Organisationen, “die darauf abzielen, der kroatischen und slowenischen Bevölkerung ihre Eigenschaft und ihre Rechte als Minderheit zu nehmen.” Ungeachtet dieser Bestimmung wurde 1955 der Kärntner Schulverein Südmark gegründet, der ausdrücklich die Nachfolge des alten Deutschen Schulvereins Südmark antrat, der bereits als Germanisierungsinstrument im Nationalitätenkampf der Monarchie wirkte. Und 1957 kam es zur Wiedergründung des Kärntner Heimatdienstes, der in den folgenden Jahrzehnten als Speerspitze im Kampf gegen die slowenische Minderheit agierte. Als erste große Aufgabe nahmen diese Organisationen die Beseitigung des zweisprachigen Schulwesens in Angriff und waren damit - nicht zuletzt mit der Initiierung von Schulstreiks-bald am Ziel: Ein Erlass des Landeshauptmannes vom September 1958 ermöglichte die Abmeldung vom Slowenischunterricht. In einer beispiellosen Kampagne wurde von jenen Gruppen, die sich stets hinter dem Argument des “Elternrechtes” verschanzt hatten, nun massiver Druck auf die Eltern ausgeübt. Kinder erhielten mitunter in der Schule Abmeldeformulare ausgehändigt. Auch ökonomische Abhängigkeiten kamen dabei ins Spiel: So wurden slowenische Forstarbeiter vom Arbeitgeber eingeschüchtert und gezwungen, ihre Kinder abzumelden. Landeshauptmann Wedenig war angesichts dieser Praktiken empört; obwohl immer ein Befürworter des zweisprachigen Schulwesens, hatte er aber als Realpolitiker letztlich diesen Stimmungen nachgegeben. Eine konsequentere Haltung hätte ihm wahrscheinlich jenes Schicksal beschert, das seinen Nachfolger Hans Sima 15 Jahre später erwartete: von der eigenen Partei fallen gelassen zu werden. Im März 1959 wurde im Nationalrat das Minderheitenschulgesetz verabschiedet. Fortan bedurfte es einer separaten Anmeldung für den Unterricht in Slowenisch. Da eine solche Anmeldung als “nationales Bekenntnis” gewertet wurde, scheuten auch viele slowenischsprachige Eltern zurück, in dieser aufgeheizten Atmosphäre ihre Kinder zum bilingualen Unterricht anzumelden. Die Konsequenz war eine voranschreitende Assimilation und ein drastisches Zurückdrängen der slowenischen Sprache. Robert Knight stellt des weiteren grundlegende Überlegungen zur Frage der Assimilation an. Auch abseits des speziellen Kärntner Exempels sind in jedem Staat der Moderne mächtige Wirkkräfte zur sprachlichen Homogenisierung und zur Assimilierung einer Minderheitsbevölkerung vorhanden. Es gibt verschiedene Auffassungen über die Rolle des Staats in diesem Prozess. Soll er “neutral” sein und gleiche Wettbewerbsbedingungen garantieren, die zumindest eine Nichtdiskriminierung der Minorität zur Voraussetzung haben? Oder soll er aktiv die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen der Minderheit fördern und Juni 2021 83