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Es regnet. Ich bin ganz klein geworden, klettere einen Stacheldraht entlang. Zerrreiße meinen Rock. Schürfe mir die Knie auf. Schere mich nicht um’s Blut. Lehne mich hinüber. Ich will den Regen wischen von der gläsernen Wand zwischen mir und diesen vornehm gerade sitzenden Menschen. Aber meine Hände schaffen es nicht, der Regen behauptet sich. Mir ist, als müsste ich immerzu hinter Papas langen Beinen Die grünen Augen des Panthers glühen. Kauernd auf dem Wall aus Glas knurrt er: Du bist schwach, ein Abklatsch deiner Vorfahren. Eingeschüchtert krächze ich: Ich kenne nur meine Eltern. Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins, nie habe ich Ssss, ein verächtliches Zischen. Er läuft davon. Ich schüttle und beutle mich wie ein nasser Hund. Alles, um dieses kranke Gefühl unten im Magen loszuwerden, diesen Hunger nach der Umarmung von Verwandten in meiner Umgebung. 5. Orange Dämmerung, Eine unbekümmerte Taube plustert ihr feuchtes Gefieder. Jetzt, da der Terror real ist in Amerika, dringt das Lied aus mir wie eine warme Wolke. Ich, Erdenkind, nähe und salbe die Wunden. Meine Hände malen den Himmel. VII. Für alle habe ich Tränen Nackt rühre ich die Wahrheit meiner Existenz auf, Schicht für Schicht. Keine Räume der Kindheit mehr, in denen Puppen lächeln ob in Ich stolpere. Versäumt hab ich den Untergang des Mondes verpasst den Sonnenaufgang, den Fortgang der Stunden. Fröstelnd im Traum. Ein tropfnasser Fetzen fest auf meinem Was ist bloß los mit dir? Deine Mutter ließ nie schmutziges Geschirr über Nacht stehen, schimpft die Abwasch. Ich spüle den Dreck in den Ausguss. Dieses bittere ‘Ich weiß es nicht’ kratzt in meiner Kehle. Mama. Ach, in ihrer sanften, von violetter Trauer erfüllten Stimme, der Hunger quält so sehr. Ich konnte nicht schlafen. Sie war vier, der Erste Weltkrieg und zwanzig Jahre später der zweite. Ihr Leben hing dazwischen wie eine sich von selbst immer wieder spannende Wäscheleine, die sich bereitete, Platz zu schaffen für das nächste Desaster. Sie wollte, dass ich aufflége, aufstiege zur Chefarztin an der Columbia University. Stattdessen stutzte sie mir die Flügel: Es steht einer Frau nicht gut zu Gesicht, aggressiv zu sein! Mama rückte mein lüsternes, fließendes Protoplasma zurecht. Aber, sie rettete sich, mir das Leben zu geben und um so lange zu leben, wie sie konnte. Gestatte mir einen Moment des Vergnügens, jaule ich. Hast Du schon das Bett gemacht? Das Regal schielt nach mir. Verliererin, stößt der Staubsauger verächtlich aus, dieser Lurch auf deinem Schreibtisch spiegelt das Chaos deines Geistes wider. Mein Vater nahm mich dann zur Seite, so dass meine Mutter uns nicht hören konnte. Dein Geist ist frei. Das kann dir niemand nehmen. Sein Rat, Werde Stewardess! Coffee, tea or me. Hah, Hah, hah! Mein Gesicht sagte ihm alles. Als wäre eine Mine hochgegangen. Naja, ist wohl eine gute Möglichkeit, die Welt zu sehen, wollte er ausbügeln. Au! Gl Joes Spielzeuggewehr sticht in meine Ferse. Barbies straffer Leib spottet meiner Schlaffheit. Meine Kinder sollten diese tiefen Pfützen nicht trockenlegen müssen Kinder atmen, lachen. Und sind nahe bei mir. Bitte lass mich wiedergeboren werden, jammere ich den Kühlschrank voller Milchpackungen an. Unten aus der Tür ein Rinnsal von einer undichten Packung, unaufhaltsam Ich weiß, ich werde ertrinken. Ich habe für alle Tränen. Meine Vorfahren hielten sich an Einstein, Freud Ich verehre Elvis und die Beatles. Ich stehe auf verlorenem Posten. IX. Verwurzelt/ Entwurzelt Tränen spülen die Träumende aus dem Teleskop. Wo bin ich? Ein Abgrund tut sich über mir auf, ausgestoßen von einem lange ruhenden Vulkan. Jedes Mal, wenn ich zurückblicke, zerlaufen meine Fußspuren im uralten Sand. Wo bin ich? Ich rieche warmen Vanille-Schokolade-Gugelhupf. Elfen September 2021 25