OCR
pfeifen aus dem Nadelwald. Ich erinnere mich nun in der freien Luft des Englischen. Das Deutsch liegt erdenschwer und beklagt sich nicht. Sonne-Himmel, ich erwacht. Verlasse die behagliche Umarmung meines Mannes. Letzte Nacht durchbrach seine tiefe beruhigende Stimme meinen Albtraumschrei. Du bist in Sicherheit! Gartenpracht, unser Streifen Land, und ich schließe mich dem Juli an. Wolkenloser Tag, wie gemacht, Ribiseln zu pflücken. Purpurner Saft, der meinen in Amerika geborenen Gaumen umspielt. Nächste Woche hineingenascht, süße Stachelbeeren dann reif, garniert mit einem Blutstropfen von den Dornen am Busch. Schmaler Streifen Land, von meinen Eltern bepflanzt. Hierher verplanzter polyglotter österreichischer Misch-Masch-Garten in Putnam County, New York, USA. Im Frühling durchbrechen junge Halme die harten Krusten des Winters. Warmer Regen und Sonne fluten die Erde. Meine Wurzeln bahnen sich ihren Weg. X. Ein Lied bricht durch Flut schwellt die Zunge auf und nieder stoßend verebbt der Fluß des Atems Mond in dem Monat meines Körpers Zeit, geronnenes Meer Kämpfe — all das. Meine Familie, alle Familien. Zerre, schneide, stell Neues her! Senke und Hebe. Wiederum lebe! Danach schlief ich elf Stunden. Unglaublicher Sonnenuntergang Karminrote Ballung All dies nur Treibgut Sonnenglanz Brandung Wilde Wasser Sturzbäche und ich bin das Lied. Verstreutes Wenn man unter Rassismus versteht, Personen als typische Angehörige einer Kultur, eines Milieus, einer Religion, Hautfarbe oder Weltgegend anzusehen, so daß sie ganz und gar nur mehr das sind, was sie an der Außenfläche ihres Daseins an Unterscheidungsmerkmalen darbieten, dann ist die Entmoralisierung unseres Umgangs mit Menschen dem Rassismus nicht nur dadurch förderlich, daß sie die Bedenkenlosigkeit von Urteilen ohne Gewissensbisse hingehen läßt, sondern auch dadurch, daß sie es uns unmöglich macht über die äußere Erscheinung hinaus 26 _ ZWISCHENWELT XI. Postskriptum NIE WIEDER! Schrei mit mir. Erhebe deine Hände, schwöre mit mir und Großtante Mitzi, meiner Überlebensmuse, Nie wieder nie NIE WIEDER! Zitiert wurden: Hermann Frischauf (1879 — 1942): „Die Fragmente.“ In: Des Lebens tausendfältige Gestalt. Wien: Europäischer Verlag 1962. S. 122. Marie Pappenheim-Frischauf (1882 — 1966): „Lager Gürs 1940“, und „Ende März 1941“, In: Verspätete Ernte, Zerstreute Saat. Wien: Europäischer Verlag 1962. S. 51 bzw. S. 49. Elisabeth Frischauf (geboren 1947 in New York) wuchs in der Upper West Side von Manhattan, New York auf. Elisabeth Frischaufs Mutter, die Psychoanalytikerin Else Frishauf (geb. Pappenheim, 1911 — 2009) floh 1938 vor den Nazis aus Wien über das Mandatsgebiet Palästina in die USA. Den ebenfalls aus Wien emigrierten Stephan H. Frischauf (Stephen H. Frishauf, 1920 — 2011) kannte sie von Kindheit an. Im Exil in den USA begegneten sich Elisabeth Frischaufs Eltern wieder und heirateten 1946. Elisabeth Frischauf, ausgebildete Fachärztin für Psychiatrie in New York, ist seit über 40 Jahren künstlerisch aktiv und seit über einem Jahrzehnt ausschließlich als Künstlerin tätig. Sie arbeitet mit unterschiedlichen Materialien und in diversen Medien, schafft Keramiken, Aquarelle, Collagen, Mobiles und Installationen. Eng mit ihren Kunstwerken verbunden ist das Schreiben von Gedichten für Frischauf: „Writing poetry is intimately bound up with my artwork. These many avenues allow me to convey my personal perspective on the world I live in — the playful side of me, my love of story telling, but also serious social commentary., Ihre Geschichte als Kind Geflüchteter und die ihrer Angehörigen, die von den Nazis ermordet wurden, finden Eingang in ihre Lyrik. www.elisabethfrischauf.com Ubersetzung aus dem Englischen zum Teil von der Autorin (basierend auf einer Erstiibersetzung von Susanne Scholl) und von Konstantin Kaiser in Zusammenarbeit mit Lisa Emanuely. an die moralische Persönlichkeit der je Anderen zu appellieren, sie als in Widersprüchen und Konflikten befangen zu sehen, ihr Streben nach dem Guten und der Wahrheit gering wahrzuhaben, ihre widersprüchliche Persönlichkeit und die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, zu würdigen. An die Stelle des moralischen Urteils ist eine bläßliche formelle Anteilnahme am Schicksal rassistisch distanzierter Personen getreten, eine Anteilnahme, die die Distanz nicht überwindet, sondern vielmehr erst so richtig etabliert. Und die Mitfreude scheint gänzlich verschwunden, die aber nur eine Freude an dem Guten, das Menschen erstreben und tun, sein kann, wenn sie nicht bloß am Exotischen sich amüsiert oder begeilt. Und